Nur zweimal steht „Der Ring des Nibelungen“ bei den Bayreuther Festspielen 2024 auf dem Spielplan. Mit „Rheingold“ wurde am Dienstag, 21. August, zum zweiten Mal der Anfang des Bühnenfestspiels gemacht. Es ist ja der Vorabend der Ringtetralogie von Richard Wagner. Und tatsächlich bleibt noch Zeit, das volle Potenzial zu entfalten.
Während der Rhein vor sich im Vorspiel langsam vor sich hinplätschert, sehen wir als Videoeinspielung Zwillings-Föten, die sich schon jetzt nicht mögen. Es sind Alberich und Wotan, und hier erklärt sich, wo Wotan ein Auge verloren hat. Alberich hat es hier zerstört.
Flaute im Rhein
Dramatisch ist das Bild, die Musik drängt sich da noch nicht auf. Und auch beim „heiteren“ Spiel der Rheintöchter möchte man meinen, das Wasser im Pool sei nicht auf Temperatur. Die Schwestern des Rheins, in der Inszenierung von Valentin Schwarz, sind es Kindermädchen, die mehr oder weniger gelangweilt den Nachwuchs Gutbetuchter hüten, wirken noch etwas zäh. Dabei sind Evelin Novak (Woglinde), Natalia Skrycka (Wellgunde) und Marie Henriette Reinhold (Floßhilde) gut aufeinander eingestimmt. Aber zu dem Zeitpunkt fragt man sich bisweilen noch, ob es hier auch ein Orchester gibt, so leise und gediegen kommen die Klänge aus dem Graben. Flaute im Rhein.
Faszinierende Bühnenkunst
Doch wir stehen ja am Anfang. Und unterdessen bleibt Zeit, das hohe technische Niveau zu wundern. Das Bühnenbild von Andrea Cozzi nutzt die Möglichkeiten des Bayreuther Festspielhauses weidlich aus. Da schwebt ein Stockwerk von oben herab und senkt sich lautlos und taktgenau auf die „Garage“, in der die Riesen Fasolt und Fafner ihren Porsche-SUV parken; da fährt das Wohnzimmer der schrecklich netten Götterfamilie herein und wieder hinaus, um im nächsten Zwischenspiel ebenso perfekt und lautlos den „Kinderhort“ von Nibelheim zu platzieren. Sehr spannend, die hohe Kunst der Bühnentechnik zu betrachten.
Aber man ist ja wegen der Musik da – und wird nicht enttäuscht. Wenngleich auch nicht überwältigt. Darüber ist sich auch das Publikum einigermaßen einig. Es gibt viel Applaus, den meisten wohl für den Alberich von Olafur Sigurdarson. Aber auch John Daszak, der 2015 erstmals den Loge gesungen hat und nun Rückkehr feiert, überzeugt stimmlich und in seiner Rolle als beschäftigter und gewitzter „Familienanwalt“. Er kommt auf die Idee, mit der Entführung des Kindes (der Rhein-Schatz) Wotans finanzielle Misere zu lösen. Das gelingt sehr überzeugend.
Überzeugende Bayreuth-Debüts
Gespannt konnte man Christina Nilsson in der relativ kurzen Partie als Freia erwarten. Die Bayreuth-Debütantin machte mit glockenklarer Stimme schon eine Vorfreude auf 2025 – da singt sie die Eva in den Meistersingern von Nürnberg, nächste Neuinszenierung bei den Bayreuther Festspielen. Prachtvoll war nicht nur das Fahrzeug der zu Architekten mutierten Riesen Fasolt und Fafner – sondern auch die Stimmen beider. Tobias Kehrer als Fafner bereitet bekanntermaßen seinem Bruder Fasolt, ebenfalls wunderbar kraftvoll singend, Jens-Erik Aasbo, ein Ende. Schade eigentlich.
Eine Entdeckung ist sicherlich Mime Ya-Chung Huang, auch er Debütant bei den Bayreuther Festspielen. Da darf man sich schon auf Siegfried freuen, wo er ja eine längere Partie hat. Ebenfalls gelungenen Einstand singen (und spielen) Nicholas Brownlee als ständig gelangweilter und deshalb dem Alkohol zugewandten Donner und Mirko Roschkowski als Froh. Die beiden sind Brüder von Freia, die sie aber leider nicht vor dem Schicksal des „Verkaufs“ an die Riesen bewahren können.
Ring-Erzählung von Valentin Schwarz
Das erfährt man übrigens im lesenswerten Programmheft, in dem Regisseur Valentin Schwarz seine Idee der „Netflix-Serie“ über die Götter, die bei ihm eine überdrehte und vom Reichtum gelangweilte Familie ist, kurz beschreibt, Szene für Szene, Akt für Akt. Hier lässt sich gut und schnell nachvollziehen, um was es hier inhaltlich geht.
Der „Ring“ ist eben ein Mensch, genauer ein Kind, noch genauer, ein Balg von einem Jungen. Genervt, aggressiv und einzig mit den Waffen, die ihm „Papa“ Alberich zeigt“, einigermaßen zu beruhigen. Ansonsten ist er im „Kinderhort“, den Mime als Pädagoge zu führen sich bemüht, eine einzige Zumutung. Während die brav angezogenen und mit Zöpfen hübsch anzusehenden Mädchen schön zeichnen und sich sittsam benehmen, führt sich der Kleine auf wie ein Berserker. Kein Wunder, bei der Vorgeschichte seiner Entführung. Wie gesagt, ein Blick in den Beitrag des Regisseurs im Programmheft lohnt sich.
Und dann sind da noch die längst „gesetzten“ Sängerinnen und Sänger, nämlich Christa Mayer als hervorragend um Haltung bemühte Ficka und Okka von der Damerau als wunderbar mahnende Erda. In ihrem Fall ist sie die Hausdame, die mit einem großen Wurf Ruhe in die Bude bekommt. Und freilich überzeugt Tomasz Konieczny in seiner Paradepartie als Wotan, der zu den Schlussklängen des Rheingold siegreich tänzelt und sich und seinen „Sieg“ feiert.
Zu dem Zeitpunkt hat mittlerweile auch die Musik im Graben Schwung aufgenommen. Dirigentin Simone Young bekommt großen Applaus. Jubel ist das noch nicht. Aber das Rheingold ist ja auch erst der Anfang.
Hier geht es zur Besetzung des Rheingold
Beitragsbild oben:
Zurück im Atrium, aber Spaß hat hier niemand:
Tomasz Konieczny, (Wotan), Jens-Erik Aasbø (Fasolt), Tobias Kehrer (Fafner), Okka von der Damerau (Erda), Christina Nilsson (Freia) und Christa Mayer (Fricka). © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele