Das Bild der Kinoankündigung hatte nicht zu viel versprochen: „Tristan und Isolde“, die Neuinszenierung der Bayreuther Festspiele 2024, ist mystisch, düster, was sich auf der Langstrecke für die Protagonisten als Vorteil erweist, weil sie sich auf ihren Job, das Singen, konzentrieren können. Zum Zuschauen ist es allerdings über den Abend hinweg etwas statisch. Vorne Sänger, dahinter Bühne.
Von Anfang an versprach die Inszenierung eine Reise durch Träume und Albträume. Camilla Nylund als Isolde verkörperte dies perfekt in einem Kleid, wohl ihrem Brautkleid, in dem sie einerseits gefangen ist und andererseits es wie ein Tagebuch vollkritzelt. Was darauf steht, ist in hinteren Reihen nicht erkennbar. Es könnte aber auch der Stoff sein, aus dem die Träume sind. Oder die Albträume.
Irgendwas mit Liebe
Es wird über Liebe gesungen in schönsten Tönen. Tristan und Isolde haben indes vielleicht irgendwas mit Liebe zu tun. Aber kaum miteinander. Es geht um die Suche danach, um die eigenen Vorstellungen und darum, dass sich die große, erfüllende Liebe nicht finden lässt, zumindest nicht in dieser Welt.
Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson und Bühnenbildner Vytautas Narbutas setzen auf statische Elemente. Die Möglichkeiten, die die Bayreuther Festspiele bühnentechnisch bieten würden, bleiben ungenutzt. Es hebt sich nichts, es senkt sich nichts, es fährt nichts ein und wieder weg. Die einzige Bewegung sind die wabernden Nebel im ersten Akt, die eine tatsächlich sehr märchenhafte Atmosphäre erzeugen. Das Schiff, auf dem sich die Szene abspielt, ist nur durch herabhängenden Tauen angedeutet. Ansonsten bleibt viel Platz für Schwarz.
Der zweite Akt spielt in einem rostigen Schiffsrumpf, König Markes Hof zeigt sich darin wie ein Sammelsurium aus Theaterrequisiten oder das Werk eines Messies mit seinen Erinnerungen an heldenhafte Zeiten – hier ein Bild, da eine Statue, dort ein Globus. Was sich eben so ansammelt im Laufe der Zeit.
Im dritten Akt bleiben davon noch einige Träger stehen. In der Mitte ist ein Müllberg angehäuft, in dem der sterbende Tristan nun seine lange Klage und den Ruf nach Isolde startet. Regisseur Arnarsson erklärte in der Pressekonferenz, dass Tristan auf dem Scheiterhaufen seiner Hoffnungen liegt. Irgendwas mit Liebe eben.
Wozu ein Liebestrank
Interessant stellt sich bei Tristan oft die Frage nach dem Liebestrank. Ist er nötig? Wenn ja, wozu? Der Regisseur ist der Meinung, die beiden brauchen kein Liebestrank, weshalb er es beim ohnehin ursprünglich von Isolde geforderten Todestrank belässt. So stirbt Tristan nicht an Melots Dolchstoß, sondern durch einen Schluck aus diesem Fläschchen, aus dem auch Isolde nach höchster Lust nippt und den Liebestod stirbt.
Die Musik
Andreas Schager zeigte als Tristan bis zum kräftezehrenden dritten Akt eine absolut beeindruckende Leistung, wobei eine leichte Schwäche am Ende auch eine künstlerische Interpretation des Sterbens gewesen sein könnte.
Camilla Nylund ist zweifellos eine wundervolle Isolde, nur hat sie sich vielleicht in den letzten Monaten doch etwas viel Sangesfreude gegönnt. Ihr Terminplan und ihr Repertoire seit Jahresbeginn sind atemberaubend – von Kaiserin (Frau ohne Schatten) über Isolde, Brünnhilde bis Tosca, dazwischen diverse Konzerte. Das ließe sich sicher auch locker über zwei Jahre strecken. Und man meinte, dass sich dieses absolvierte Mammutprogramm bei der Premiere bemerkbar machte.
Christa Mayer als Brangäne beeindruckte mit ihrer warmen Stimmfarbe, besonders in ihrem „Habet acht“-Ruf, der aus dem Bühnenhintergrund förmlich hervorschwebte.
Dirigent Semyon Bychkov führte das Orchester sehr transparent durch den Abend, verzichtete darauf, den Rausch der Musik und der Gefühle noch weiter anzuheizen. Das Tempo im Vorspiel kam zunächst etwas überzogen daher, aber dabei beließ es Bychkov aber auch. Er führte das hervorragende Festspielorchester stringent durch den Abend mit sehr anrührenden und auch aufbrausenden Momenten, aber ohne Überwältigungsversuch. Und so wurde der Premierendirigent 2024 verdient vom Publikum gefeiert.
Wie ein Schlag in die Magengrube kamen indes die Buh-Rufe nach dem zweiten Akt für Günther Groissböck als König Marke daher. Diese Publikumsreaktion war unverdient und ungerecht, zumal zu diesem Zeitpunkt, wenn der Sänger noch in den dritten Akt gehen soll. Das ist keine Motivation. Aber Groissböck steckte das weg und am Ende gab es auch keine Unzufriedenheitsbekundungen mehr. Groissböcks Bassbariton ist aber tatsächlich schon sehr viel kraftvoller und weniger angestrengt geflossen.
Übrigens waren auch die kleineren Partien vorzüglich besetzt. Matthew Newlin meisterte als junger Seemann den Stress, die ersten Takte ohne Orchester zu bewältigen, bravourös mühelos. Der Hirt Daniel Jenz und der Steuermann Lawson Anderson überzeugten ebenso wie sich Birger Radde in seiner weniger bedeutsamen Rolle als Melot gut in Szene setzen konnte. Auch Olafur Sigurdarson als Kurwenal bekam zurecht großen Applaus.
Am Ende gab es großen Jubel und Begeisterung. Vielleicht war es auch ein Stück Erleichterung. Niemand musste sich über die Regie so richtig aufregen. Klar, es gab wie meistens Buhs für das Regieteam. Die These aber, dass sich keiner der Sänger mit den ausgebuhten Regieleuten mehr vor dem Vorhang zeigen wollte, dürfte allerdings ziemlicher Quatsch sein. Denn bei den im Vorfeld geführten Interviews hörte ich ausschließlich viel Euphorie über die Zusammenarbeit.
Also wurde eine musikalisch festspielwürdige Aufführung gefeiert und eine Inszenierung, die nicht verstören wollte – und das auch nicht tat.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Danke für den hervorragenden Bericht. Schön das der Blog wieder belebt ist. Vielen Dank