Der magische Zauber liegt vor der Tür – bis aufs Vorfeld der Kinderopern-Bühne am Festspielhaus schaffen es die glänzenden Flitter, die gerade bei „Parsifal“ in einer fürs junge Publikum gekürzten und inszenierten Fassung bei den Bayreuther Festspielen 2023 gezeigt wurde. Der magische Zauber ist eigentlich leicht zu haben: Streit belegen, Zoff vergessen, sich um umarmen. Dann blühen die Blumen. Alles ist gut!
Da lacht selbst Amfortas, der leidende König, aus vollstem Herzen. Olafur Sigurdarson, der immerhin u. a. den „Alberich“ im „Ring des Nibelungen“ im Festspielhaus singt, setzt sich in dieser Produktion von „Wagner für Kinder“ die Krone aufs Haupt und muss dem kraftvoll schimpfenden Papa Titurel (Jens-Erik Asbo) gestehen, dass er sich den „magischen Speer“ hat stehlen lassen. Dabei hat er sich auch weh getan.
Das ist die Wunde, die so schmerzt und nicht heilt. Klingsor wollte den Speer, weil er auch so schöne Blumen haben will, wie die Gralsritter. Üppige Gewächse sind das, die allerdings langsam den Kopf hängen lassen. Denn im Frühling erhalten sie durch einen magischen Zauber (Gral) ihre Kraft. Die droht zu schwinden. Denn für den magischen Zauber braucht es ein Speer. Und der ist weg.
Der Retter Parsifal naht
Immerhin: Der Retter naht, der Tor Parsifal, tötet zwar den Schwan, aber dann wird ihm von Gurnemanz bewusst gemacht, dass das ein großer Fehler war. Jetzt könnte Parsifal beweisen, dass er sich nicht ablenken lässt. Nicht durch Schokolade, nicht durch Torte, nicht durch Sprüche. Durch nichts. Er könnte also der Retter sein.
Sicher ist sicher: Hier kommt die „Heilerin“ ins Spiel. Irmgard Seemann hat eine Sprechrolle und ist die Verbindung zum Publikum auf den Rängen. Herrlich phantasievoll als Kräuterfee gekleidet, sammelt sie bei den Kindern Zutaten für ihre Medizin ein, Schnittlauch, Basilikum („muss immer sein“) und andere Inkredenzien, um Amfortas zu helfen. Und sie sorgt dafür, dass Parsifal seinen Job macht: Soll der Gral die Kraft dir schenken – „lass dich nicht ablenken!!!“.
„Lass dich nicht ablenken“
Natürlich funktioniert das. Aber Kundry ist eigentlich eh nicht so böse. Und Klingsor muss auch nicht sterben. „Ihr wisst, wo ihr mich wiederfinden könnt“, verabschiedet sich Parsifal, nachdem er den Speer bekommen hat. Wenn’s der Sache dient, kann der Text – wie hier am Ende des zweiten Akts – ausnahmsweise eine leichte Abwandlung erfahren. Hier wird es zur Einladung für die beiden „Feinde“: Kommt doch mit zum Frühlingsritual der Blumen.
Das ist der magische Zauber
Das Regieteam um Regisseurin Ruth Asralda hat sich viel einfallen lassen, um das Mammutwerk Parsifal in eine kindgerechte Sprache zu übersetzen und trotzdem die Aussage zu erhalten. Da geht es aber weniger um eine religiöse Ritterschaft, als um handfeste Aussagen: Helfen, verzeihen und fröhlich Arm in Arm von dannen ziehen. Das ist der magische Zauber.
Dass er wirkt, ist unübersehbar und -hörbar: Noch in die letzten schwebenden Schlussakkorde bricht der Jubel hinein. Was im Festspielhaus eher undenkbar wäre, ist hier höchstes Lob. Der Applaus kommt von Herzen, während sich das erwachsene Publikum tatsächlich – wie von Festspielleiterin Katharina Wagner im Vorfeld prophezeit – sich verstohlen hie und da die Tränen von den Wangen wischt, weil diese Oper so anrührend schön ist.
Dabei ist die Inszenierung alles anderes als simpel. Bühnenbildnerin Linda Tiebel hat eine Ritterburg mit allerhand Innenleben entworfen, die die Werkstätten der Bayreuther Festspiele in den Raum gebaut haben. Da lassen die Knappen die Zugbrücke herunter, um die „Gralszene“ zu eröffnen, in einem Turm schwingt die Parsifal-Glocke, im anderen hausen Kundry und Klingsor als eine Art altes, ewig sich zoffendes Ehepaar, das sich an seinen traumschönen Blumen erfreut, aber weiß, dass sie dafür immer wieder von den Gralsrittern magischen Zauber klauen müssen.
Weil Gesang, zumal von Künstlerinnen und Künstlern, deren Stimme ein großes Opernhaus füllen, für junge Ohren laut sein kann, ist es eine sehr gute Idee des Regieteams, manche Szene in der dämpfenden Halle der Burg spielen zu lassen. Überhaupt spielt Kreativität eine Hauptrolle in dieser Inszenierung: Gurnemanz (toll gesungen von Andreas Hörl) bekommt eine „Begleiterin“ in Form von einer süßen, weißen Ente, die ihm ferngesteuert überall hin folgt, das „Wasser“ in der Wanne, in der sich der König zum Lindern seiner Schmerzen niederlässt, besteht aus einem blauen Bällebad (Beitragsbild oben, © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele), und Klingsors Zaubergarten ist in UV-Licht getaucht, sodass neonfarbene Blumen in der Dunkelheit schweben.
Es gibt auch vier zauberhaft gekleidete und ebenso singende Blumenmädchen, die den im Original üppigen Parsifal-Chor des zweiten Aufzugs prächtig singen (Julia Grüter, Sonja Isabel Reuter, Margaret Plummer und Marie Henriette Reinhold).
Wenn Kinder das erste Mal eine Oper erleben, dann bekommen sie hier erste Sahne geboten: Die Partien sind allesamt mit Leuten der Festspiele besetzt, wie Nadine Weissmann, hier die lockende und Parsifal mit einem Kuss ablenkende Kundry, Jens-Erik Asbo als glänzender Bass Titurel, Jonathan Stoughton als überzeugender Parsifal im Robin-Hood-Kostüm, und Werner van Mechelen als tollpatschiger Klingsor. Dass sie allesamt über hohe Stimmqualität verfügen, zeigt sich daran, dass sie Festspielerfahrung haben, dort auf der Besetzungsliste stehen oder standen.
Das Orchester hat diesmal auch eine Art verdeckten Graben: Die Klänge kommen von der Rückseite der Rittersburg. Es spielt das auch in den Vorproduktionen bewährte Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt/Oder. Dirigent Azis Sadikovic leitet wieder gekonnt das Orchester und findet sich mit den akustischen Bedingungen ausgezeichnet zurecht und lässt die Parsifal-Klänge über die Burg in den Raum schweben.
Die Geschichte nimmt ein gutes Ende: Parsifal bringt den Speer, das Frühlingsritual kann gefeiert werden, natürlich inklusive Kundry und Klingsor – und so rieselt der magische Zauber von der Decke, die Blumen erblühen wieder, während der berühmte Parsifal-Schlusszauber des Orchesters über die Burg erklingt. Da gibt es kein Halten mehr. Begeisterung bei der „Kinderoper“, die in Wirklichkeit „Wagner für Kinder“ bei den Bayreuther Festspielen heißt, ist eigentlich üblich. Aber so groß war der Jubel tatsächlich selten, wenn überhaupt.
Und es stellt sich wieder einmal die Frage, warum nur Kinder und unzählige Kritiker dieses Projekt, 2008 von Festspielleiterin Katharina Wagner ins Leben gerufen und seither jährlich nach Festspiel-Vorbild im Kanon neu inszeniert wird, begeistert, aber nicht schon lange mit einem der großen Klassik-Preise wie dem Opus-Klassik geadelt wurde. Verdient hätte es das Projekt unbedingt, denn es bringt große Oper an alle Kinder, die das wollen – Geld brauchen sie nicht. Sowohl der Eintritt als auch das Programmheft, das am Ausgang verteilt wird, sind kostenlos.
Mehr über Regisseurin Ruth Asralda und Bühnenbildnerin Linda Tiebel erfahren Sie in der Ausgabe 2023 von „Hojotoho – das TAff-Festspielmagazin“, das unter diesem Link gratis zum Download bereitsteht. https://www.taff-ev.org/hojotoho-magazin/
Mehr über die Kinderoper und die Besetzung: https://www.bayreuther-festspiele.de/programm/kinderoper/