Nach dem Premierenjahr 2021 ist „Der Fliegende Holländer“ bei den Bayreuther Festspielen 2022 schon so etwas wie Inventar geworden, mit dem man rundum zufrieden sein kann. Elisabeth Teige als neue Senta kann sicherlich als die Entdeckung der Saison bezeichnet werden, die schon in der „Götterdämmerung“ als Gutrune überzeugte, in dieser großen Partei aber ihr Können richtig unter Beweis stellen kann. Wenn Daland von einem Georg Zeppenfeld gesungen wird, ist die Begeisterung am Ende zurecht eine große. Dahingegen verblasst Thomas Johannes Mayer als neuer und kurzfristig eingesprungener „Holländer“ ein wenig, auch Eric Cutler als Erik entfacht keinen großen Sturm. Nadine Weissmann wird als neue „Mary“ ihrer erweiterten Partie mit Schlüsselposition bravourös gerecht. Und Oksana Lyniv, Bayreuths erste und bislang auch einzige Dirigentin, kommt mit Orchester und Graben ausgezeichnet zurecht, das zeigt der lautstarke und mehr als anerkennende Applaus für sie.
Das Opfer der Mutter
Über die Inszenierung lässt sich so viel sagen, dass sie nicht weiter stört. Da sind diese trostlosen Backsteinhäuser, die zu Szenenwechseln wild umherkreisen, um eine neue Kulisse zu bilden. Wir sehen alte Tische und zerschlissene Camping-Stühle. Die Geschichte spielt nicht irgendwo auf dem Meer, sondern in einem 0815-Trostlos-Dorf. Zur Wiederaufnahme war der russische Regisseur Dmitri Tscherniakov nicht anwesend. Er hat dem „Holländer“ in Bayreuth eine Vorgeschichte gegeben, die sich während der Ouvertüre abspielt: Da ist die liebende Mutter, den kleinen Buben an der Hand, für dessen Wohl und Ernährung sie sich dem reichen Daland hingibt. Als der den Spaß an ihr verliert, wird sie zur Außenseiterin, da schwingt die Gesellschaft die moralische Keule – die arme Frau verzweifelt, hängt sich auf. Der Kleine muss zuschauen… Allzu klischeehaft ist diese Mutti-tut-alles-für-ihr-Kind-Geschichte, als dass sie wirklich zündet.
Der Kleine kehrt als „Holländer“ zurück
Jedenfalls: Der „Kleine“ wird erwachsen, reich und kehrt nun voller Rachsucht zurück. Ein Untoter in dem Sinne ist er in dieser Inszenierung nicht. Aber Daland, den er in der Kneipe seines Heimatdorfes trifft, ist er höchst willkommen, sucht der doch einen Schwiegersohn. Der „Südwind“ bläst und das „Schiff“ kehrt heim, wo die Mädchen sittsam „spinnen“ sollen. In dieser Inszenierung ist die Spinnstube eine Chorprobe auf dem Dorfplatz, angeleitet von Mary (Nadine Weissmann). Hier hat die aufmüpfige Senta ihren ersten Auftritt. Im Gegensatz zu Asmik Grigorian, die im Vorjahr ihr erstes und zunächst letztes Bayreuth- bzw. Wagner-Gastspiel gab, zeigt sich Elisabeth Teige in dieser Partie wesentlich entspannter als die Vorgängerin. Die war zum Teil stimmlich wie darstellerisch arg ins Hysterische abgeglitten. Natürlich ist es keine Frage, dass Grigorian hat eine phantastische Sängerin ist. Nicht umsonst feierte sie in diesem Jahr bei den Salzburger Festspielen einen riesigen Erfolg. Das war Puccini. Ob sie bei Wagner richtig war?
Die neue Senta ist indes zu 100 Prozent richtig in dieser Partie: Die Norwegerin Elisabeth Teige gibt eine stimmlich souveräne und darstellerisch eine wunderbar selbstbewusste Senta und ist ein großer Lichtblick im Dauergrau der Inszenierung, in der selbst Chor und Solisten von Kostümbildnerin Elena Zaytseva in grau-braun-grüne bzw. blaue Seemanns-Klamotten gesteckt werden. Eine Freude ist es übrigens, wieder echte Chorsänger auf der Bühne zu erleben und den Gesang nicht vom Chorsaal eingespielt zu bekommen. Allerdings fällt auf, dass die Harmonie zwischen Chor und Orchester noch nicht die Perfektion der Vor-Coronajahre erreicht hat. Insofern ist der Jubel für den Chor unter der Leitung von Eberhard Friedrich auch noch nicht wieder auf früherem Lautstärkemaß – aber freilich immer noch verdientermaßen groß.
Georg Zeppenfeld, der sich im Spießerpulli mit seiner dazugedichteten Gemahlin Mary um gute Stimmung beim Wintergarten-Date zwischen Senta und dem Wunsch-Schwiegersohn bemüht, feiert den größten Erfolg bei den männlichen Partien. Eric Cutler als Erik und Thomas Johannes Mayer in der Titelpartie müssen da einen Schritt zurück bleiben.
Die Inszenierung hat nicht nur eine Geschichte vor der Geschichte erdacht, sondern zudem einen neuen Schluss. Der Holländer ballert erst einmal wild um sich, fährt nicht davon, um nach sieben Jahren wieder an Land zu kommen, in der Hoffnung, endlich ein treues Weib zu finden: Er hat offensichtlich sieben Jahre zuvor bereits die arme Mary enttäuscht zurückgelassen. Die rächt sich nun – der Holländer fliegt nicht, er fällt.
Gesehene Vorstellung: Premiere, 6. August. Weitere Termine: 16., 20. und 27. August.