Endlich, endlich. Mit langer Verspätung hebt sich der Vorhang für „Das Rheingold“. „Der Ring des Nibelungen“ 2020 in der Regie von Valentin Schwarz feiert Premiere bei den Bayreuther Festspielen 2022. Es folgen: gut 16 Stunden Wagner-Wucht. Und schon auf den ersten Blick wird klar: Hier wird nicht gekleckert.
Ein Auge ist dahin
Währen im Vorspiel der Rhein wogt, kommt langsam Licht ins Dunkel. Das zunächst Undefinierbare windet sich zu einer Lichterschlange, im Zoom zeigt sich eine Blut-pulsierenden Schnur – einer Nabelschnur, die zwei Babys vorsorgt. Niedlich, unschuldig wie es kaum unschuldiger geht, schweben sie im Mutterleib, halten Händchen, umarmen sich. Eine Hand geht in des Anderen Gesicht. Uups. Da fließt Blut. Das Auge ist hin. Aha, so ist das mit Wotan und seiner Augenklappe, von der übrigens in weiterer Entfernung im Zuschauerraum nichts zu sehen ist.
Schnitt. Rhein-Wogen vorbei. Es öffnet sich der Vorhang und zeigt ein elegantes, ebenerdiges bühnenbreites Brunnen-Bassin. Kinder erleben mit ihren Müttern einen fröhlichen Badetag. Nur eines sitzt mit dem Rücken zum Zuschauerraum. Gelbes T-Shirt, schwarzgelbes Käppi. Ein Außenseiter, der noch eine Hauptrolle spielen wird.
Alberich schnappt sich den „Ring“, das Kind
Aber zunächst stieben die Rheintöchter Woglinde (Lea-Ann Dunbar), Wellgunde (Stephanie Houtzeel) und Floßhilde (Katie Stevenson) wild durchs Wasser. Echtes Wasser, keine Lichtinstallation. Es platscht und plitscht und trieft temperementvoll nass auf die Bühne. Alberich (Olafur Sigurdarson), geiler Störenfried, wird mit nassen Handtüchern malträtiert und endet schließlich vollends im knöcheltiefen Nass als Spottfigur. Aber er nimmt sich, was er will. Den Ring – das Kind. Den Außenseiterjungen mit dem gelben Shirt schnappt er sich nach wildem Spiel und ist dahin.
Jetzt wissen wir also, was dieser Ring ist. War es bei Castorf das Öl, das als wertvollstes Gut der Gesellschaft angesehen wird, sind es diesmal Kinder. Warum nicht?
Die grandiose Technik im Bayreuther Festspielhaus lässt im Zwischenspiel elegant den Brunnen in der Versenkung verschwinden, um Platz für die Hauptkulisse zu machen. Es fährt und rollt und schwebt ein: eine komplette Villa. In festspielwürdigem Aufwand. Eine Halle und eine Garage (inkl. Porsche Cayenne) werden langsam eingefahren, von oben folgt wie im Fertighaus der erste Stock. Und alles folgt einer Choreografie. Es knirscht nichts, das Aufsetzen des oberen Teils ist so getimt, dass es von der voluminösen Musik aus dem Graben eingesogen wird.
Willkommen bei den Nibelungens
Hier ist sie also, die von Regisseur Valentin Schwarz versprochene Netflix-Serie. Ältere im Publikum mögen sich an „Dallas“ oder den „Denver Clan“ erinnert fühlen, denn der obligatorische messinggerahmte Bar-Tisch mit starken Getränken, die in schwere Gläser gefüllt werden, fehlt nicht. Man zeigt, was man hat. Willkommen bei den Nibelungens: Papa Wotan (Egils Silins), die gestrenge Gemahlin Fricka (Christa Mayer), deren Schwester Freia (Elisabeth Teige), ein paar Götter-Kumpels wie Loge (Daniel Kirch), Froh (Attilio Glaser) und Donner (Raimund Nolte), dazu jede Menge Dienstpersonal, die viel wegzuwischen haben. Aber im Grunde, haben es die Riesen schon fein hinbekommen, dieses Walhall…
Wotan, Sportskanone, kommt wohl vom Golf- oder Tennis-Match, wie sein schick-sportliches Outfit verrät, er geht nach oben, um noch ein paar Gewichte zu stemmen. Was man halt so tut, wenn man nur Gott ist.
Das Licht in der Garage geht an: Dem Porsche entsteigen – die Riesen Fasolt (Jens-Erik Aasbo) und Fafner (Wilhelm Schwinghammer), die jetzt den Preis für die Nobelimmobilie abholen und wegen Nichtbezahlung die Schwester der Frau des Hauses ins Auto zerren. Also machen sich Wotan und Loge auf die Socken, den Nibelungen-Schatz zu holen. In der „Unterwelt“ treffen sie nicht auf düsteres Knechten, sondern eine Kaderschmiede für wohlerzogenen oder gut brauchbaren späteren Nachwuchs. Mime leitet den Unterricht. Die Mädchen sehen beklemmend uniform aus, blond, rosa Kleidchen, weiße Kniestrümpfe, schwarze Lackschühchen. Ganz darauf bedacht, wohldressiert zu werden. Dazu gibt es einen Rabauken. Der mit dem gelben T-Shirt und dem schwarz-gelben Käppi macht Rabbatz, wirft Farbe, macht durch die Scheibe Fratzen. Und weil er der „Ring“ ist, ist er auch Beute für Wotan und Loge. Alberich ist erschüttert.
Also können die Riesen im Porsche wieder vorfahren, Freia freigeben, einer den anderen erschlagen. Wotan tanzt. Alles könnte gut sein.
Ist es freilich nicht. Man kennt den Ring des Nibelungen. Und das schadet in diesem Fall nicht, denn die Regie schmeißt mit Details nur um sich. Ist das ein wichtig? Oder nur ein witziges? Manchmal weiß man das nicht. Und man muss bis zum Schluss der „Götterdämmerung“ abwarten, um zu sehen, ob alle Geschichten, die sich Valentin Schwarz hat einfallen lassen, tatsächlich aufgehen.
Festspielwürdiges Sänger-Ensemble
Aber wir befinden uns ja in der Oper. Da wird gesungen. Und wie gesungen wird. Das Sänger-Ensemble lässt keinen Zweifel am Festspiel-Anspruch. Alle Partien sind hochklassig besetzt – mindestens. Manche sogar noch besser. Egils Silins, relativ kurzfristig als „Rheingold“-Wotan eingesprungen, kann überzeugen. Sein „Mitspieler“ Daniel Kirch als Loge kann seiner Stimme die notwendige Spur Boshaftigkeit einverleiben. Großartig besetzt ist Mime mit dem Festspiel-erfahrenen Arnold Bezuyen, dessen Kieksen durchaus melodiös und nicht gekreischt in den Saal kommt. Bei den Riesen möchte man bedauern, dass nicht beide überleben. Denn sowohl Wilhelm Schwinghammer als Fafner als auch Jens-Erik Aasbo als Fasolt haben Wucht und Kraft in der tiefen Stimme, singen klar und – das hat eher Seltenheitswert – sind verständlich. Am Ende muss leider doch Fasolt sein Leben lassen.
Sehr überzeugend ist Olafur Sigurdarson als Alberich, den er ambivalent als Figur und stark in der Stimme gibt. Ebenso überzeugt Okka von der Damerau als mahnende Erda – auf deren feinen Gesang man schon hören könnte. Aber die Götterschar will es nicht glauben.
Überhaupt können die Frauen mehr als überzeugen: Christa Mayer – großartig gewandet (Kostüme Andy Besuch) – ist eine unglaublich präsente Wotan-Ehefrau Fricka, sowohl optisch als auch stimmlich. Ihre Mezzo-Stimme ist von wohltuender Präsenz, warm und klar in den Saal strömend. Einfach edel. Und Elisabeth Teige, Bayreuth-Debütantin, hat deutliche Präsenz und Selbstbewusstsein in der Stimme. Das spielt sie auch. Noch nicht ganz aufeinander eingestimmt sind die drei Rheintöchter. Hier darf noch etwas gefeilt werden.
Und auch im Orchestergraben wird das Gold noch gesucht. Cornelius Meister sprang extrem kurzfristig ein, nachdem der Ursprungs-Dirigent Pietari Inkinen vom Corona-Virus um seine jahrelange Arbeit mit Regisseur Schwarz und dem Team gebracht wurde. Inkinen gab das Dirigat nur wenige Wochen vor der Premiere zurück. Zu dem Zeitpunkt hatte Cornelius Meister bereits die Endproben übernommen.
Wunder zeichnen sich dadurch aus, dass sie äußerst selten passieren. Insofern kann man sie musikalisch bei diesem Ring nicht erwarten. Auffällig ist, dass Cornelius Meister reine Orchesterpassagen großartig gelingen, sehr gut abgestimmt nach oben kommen. Allerdings klappt die Abstimmung mit Sängern auf der Bühne und dem Orchester noch nicht so recht.
Jedenfalls: Dieser Ring ist kein harmloses Bühnenspektakel. Das zeigt sich am Ende des Rheingolds, das schwungvoll über die Bühne fegt. Hier lernt man eine Familie kennen, die vermutlich kein Phantasiegebilde ist, sondern leider Realität. Gierig, egozentrisch bis narzisstisch.
Am Ende des Rheingolds hat man viel gesehen und gestaunt und weiß: Allein der technische Aufwand, die pfiffigen Ideen des Regieteams mit Valentin Schwarz als Regisseur und Bühnenbildner Andrea Cozzi überhaupt in die Realität umzusetzen, ist ganz große Kunst.
Fortsetzung folgt schon am nächsten Tag mit „Die Walküre“.
Wir haben die Generalprobe am 26. Juli 2022 besucht.