Im Strudel der GEfühle

Im Rausch der Gefühle – Tristan und Isolde

Mit großem Jubel und quasi ohne Buhs wurden die Bayreuther Festspiele traditionell am 25. Juli mit einer Neuproduktion von „Tristan und Isolde“ eröffnet. Als wäre das Publikum einfach froh, wieder in einem vollbesetzten Zuschauerraum sitzen zu dürfen und entsprechend der 36 Grad draußen, drinnen ordentlich zu schwitzen – und Wagner zu hören. Riesiger Jubel am Ende für alle, die dieses Stück in so kurzer Zeit gestemmt haben, allen voran für Dirigent Markus Poschner. Der Erfolg war keinesfalls garantiert. Es hätte vieles schief gehen können.

Masken eher selten

An Corona erinnern nur vereinzelt getragene Masken im Publikum (z. B. Angela Merkel). Aber es herrscht keine Maskenpflicht. Nur der Spielplan der Bayreuther Festspiele ist eben wegen der unübersichtlichen Lage aktuell (Inzidenz ca. 1300) nicht ganz traditionell: „Tristan und Isolde“ wurde zusätzlich und kurzfristig auf den Spielplan gehievt. Vermutlich eine ziemlich gute Idee von Festspielleiterin Katharina Wagner, denn nun gibt es ein Stück für alle Fälle. Sollten wirklich  größere Corona-Ausfälle im Chor stattfinden, muss der Abend nicht gestrichen werden. Dann gibt es „Tristan“ – keine schlechte Wahl.

Wenige Monate Vorlauf

In Anbetracht dessen, dass die Produktion nicht Jahre Vorlauf hatte, sondern nur wenige Monate, und Dirigent Markus Poschner ganze zwei Proben vor seinem Debüt im gefährlichen Bayreuther Graben hatte, war der Jubel durchaus verdient und angemessen. Das Bühnenbild über zwei Ebenen von Piero Vinciguerra blieb über alle drei Akte unverändert und diente als Umrahmung für sehenswerte Licht- bzw. Videotechnik, die mal Sternchen, mal Regen, mal blutrotes Wasser zauberten.

Brangäne im Liegestuhl
Brangäne (Ekatarina Gubanova) im Liegestuhl auf dem Weg nach Cornwall. Das Wasser färbt sich rot. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele 

 

Einige Regie-Ideen konnten allerdings nicht verleugnen, dass sich Regisseur Roland Schwab die Vorgänger-Produktion von Festspielleiterin Katharina Wagner zum Vorbild genommen hatte. Dort hatte man zum Beispiel einen von Kerzen umrahmten Tristan, auf dem Boden liegend, zu Beginn des dritten Aktes gesehen, wenngleich in größerem Dunkel. Aber so war es auch jetzt.

Tristan und Isolde, Bühnenbild
Tristan ist dem Ende nah. Er liegt auf dem Boden, Kerzen umgeben ihn. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele 

 

Während freilich die Festspielchefin für ihre Regiearbeit, die 2015 Premiere feierte, Jahre Vorlauf hatte,  und eine ästhetisch eindrucksvolle „Handlung“ auf die Bühne brachte, war so etwas in wenigen Monaten natürlich nicht möglich. In der aktuellen Inszenierung bleiben viele Momente im Vagen und die Personen etwas uninspiriert. Andererseits lässt sich Regisseur Roland Schwab auch nicht dazu verleiten, mit aufdringlichem Schischi von der Musik abzulenken. Die hat Raum und Platz. Sie spielt die Hauptrolle.

Und die kleine Nebenhandlung mit dem Statisten-Liebespaar, das tut, was den Hauptfiguren nicht vergönnt ist, nämlich zusammen durchs Leben zu gehen, nun ja. Im Dunkel der zweiten Ebene verpufft die Idee im zweiten Akt. Und am Ende, als das Paar alt und gebrechlich über die Bühne wackelt, eher überflüssig ist.

Die Musik von Tristan und Isolde

Die Sänger starten vielversprechend: Catherine Foster fegt stark als selbstbewusste Isolde zwischen den „Liegestühlen“ auf dem Deck des Luxusliners nach Cornwall los, kann aber ihren Elan nicht bis zum Ende durchhalten. Der Liebestod am Ende klingt etwas schwer verständlich und sicherlich auch wegen Hitze plus Premieren-Fieber relativ angestrengt.

Umgekehrt ist es bei Stephen Gould, der zunächst eher den Eindruck macht, die vielen Partien, die er auch in diesem Jahr bei den Bayreuther Festspielen stemmt (Tristan, Tannhäuser, Siegfried, Parkkonzert), könnten nun doch ihren Tribut fordern. Eine Befürchtung, die sich nach dem ersten Akt legt. Der kraftvolle Tenor hält sich zunächst zurück, um in den folgenden Akten zu strahlen und schließlich bis zu einem bitter-schönen Rollen-Tod hell und klar aufzutrumpfen. 

Zwei wahrhaft noble Stimmen sind Georg Zeppenfeld als König Marke und Markus Eiche als Kurwenal. Große, edle Stimmen, ganz große Klasse. Als Darsteller müssten sie allerdings noch etwas viel verzweifeln und gebeugt oder kämpferisch oder huldvoll schreiten, ebenso wie Olafur Sigurdarson als Melot.

Überhaupt wird ein bisschen viel rumgelegen, rumgeschritten, rumgesessen. Hier lässt sich sicherlich noch feilen, zumal es sehr schöne Ansätze gibt, zum Beispiel, wenn sich Tristan und Isolde nach Genuss des Liebestrankes dem Strudel der Gefühle entziehen wollen (oben). Das sieht klasse aus, dauert nur ein bisschen lange.

Ebenfalls wunderschön: Der einsam in die Nacht klingende Ruf des Hirten, das unendlich traurige Solo des Englisch Horn, das auf der oberen Ebene im Halbdunkel von einem Orchestersolisten gespielt wird, nicht dargestellt von einem Statisten. Das ist wirklich zauberhaft. An selber Position, also auf der oberen Ebene, wird leider Brangänes Ruf  (Ekaterina Gubanova singt Isoldes Begleiterin) – zumindest in den hinteren Reihen – vom Orchesterklang aufgesogen und geht mehr oder weniger unter. Sehr schade drum.

Großen Jubel bekommt am Ende Dirigent Markus Poschner, der das Husarenstück gewagt hat, und kurz vor der Premiere sein Bayreuth-Debüt zusagte: Mit diesem Stück, in der kurzen Zeit. Natürlich kann da kein Wunder aus dem Graben kommen. Aber vor allem im zweiten und dritten Akt gelangen Poschner starke, mitreißende Momente, während er im ersten Akt noch sehr auf Akkuratesse bedacht war. Das hörte sich noch nach Arbeit an. Nachdem sich das gelegt hatte, konnte er sich zurecht über einen Erfolg auf Anhieb freuen.

Husten, schnupfen, krachen

Gnadenlos war das Publikum in anderer Hinsicht – es sorgte auffällig lange für ziemlich viel Lärm: Spätkommer, die sich im Dunkel noch in die Mitte der Reihe wursteln, kullernde Flaschen (woher kommen die eigentlich bei den extrem strengen Kontrollen am Eingang?),  geräuschvoll auf den Holzboden krachende Schuhe, die heimlich abgestreift werden sollten, beim Hirtenruf wird ungeniert aus allen Richtungen kraftvoll geniest und Husten gebellt. Und dass sich der Vorhang noch nicht einmal geschlossen hat, während die ersten Bravo-Rufe losjaulen, ist vielleicht lieb gemeint und ein großes Lob für alle auf der Bühne. Aber der Effekt wäre fünf bis zehn Sekunden später sicher auch noch eingetreten.

Der tödliche Schlag naht
Effektvoll: Der tödliche Schlag für Tristan in der Inszenierung von Roland Schwab. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele 

 

Die Premiere jedenfalls ist geglückt. Es war schön, befanden Gäste und Promis gleichermaßen, applaudierten laut und heftig, und gingen zur Frage der weiteren Abendgestaltung über. Es steht zu erwarten, dass sich das nach dem „Ring“ in der Regie von Valentin Schwarz (Rheingold-Premiere am Sonntag, 31. Juli 2022) ändern wird.

An dieser Stelle wird natürlich von den Eindrücken im Festspielhaus berichtet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.