Was für ein Jubel im Festspielhaus von Bayreuth. Warum genau, ist ein bisschen unklar. In jedem Fall ist an diesem Premierenabend der Bayreuther Festspiele am 25. Juli 2021 eine sensationelle Freude spürbar, endlich wieder in diesem Haus sein zu dürfen, endlich wieder zu erleben, wie sich der Vorhang hebt, das Festspielorchester anhebt. Hätten die Musiker nur „Hänschen klein…“ angestimmt, das Herz wäre einem übergegangen vor Freude.
Es war aber der flirrende Auftakt von „Der fliegende Holländer“, mit dem das mit Spannung erwartete Debüt von Oksana Lyniv als erster Frau auf dem Dirigenten-Platz im Bayreuther Graben einen schwungvollen Anfang nimmt.
In das muntere Vorspiel fällt begleitende Szene. Das Mittel, in die Ouvertüre die Erklärung einzubauen, ist jetzt nicht mehr ganz neu: Bei Barrie Koskys „Meistersinger von Nürnberg“ findet ein lustiges Beisammensein der Wagners in „Villa Wahnfried“ statt, bei Tobias Kratzers „Tannhäuser“ erzählt Video-Künstler Manuel Braun, warum es zum Sturm aufs Festspielhaus kommt. Und beim „Holländer“ wird bedeutungsschwanger als Text mit unterstrichen, dass es um H. geht. Der „Holländer“. Aha. In dieser Temperatur der Originalität geht es auf der Bühne weiter. Dabei ist der Anfang ist durchaus bemerkenswert, nämlich, dass der „Holländer“ ein traumatisierter Bub ist, der von der Mutter „betrogen“ wurde und deren Ende er mit ansehen muss.
Doch dieser Faden wird nicht weiter fortgesponnen. Stattdessen gibt es im Laufe des Hauses Häuser und eine Kirche, die sich dank der Technik-Mannschaft der Festspiele munter drehen, auch wenn nicht so ganz klar wird, warum. Die riesige Bühne des Festspielhauses bleibt weitgehend ungenutzt, wenn nicht gerade der Chor dort auftritt. Da hat man endlich mal Sicht auf die Bühne – das ist dem „Schachbrettmuster“ geschuldet, in dem die Zuschauer wegen der Abstandsregelungen jetzt platziert werden -, aber die ist nur knapp spannender als der Hinterkopf des Vordermannes / der Vorderfrau zu normalen Zeiten. Es wird viel gesessen, in der Spinnszene, beim Aufeinandertreffen der Schiffsmannschaften, am Ende. Und die Gartenstühle, die immer wieder hin und her geschleppt werden, sehen so aus, als seien sie von der Ring-Inszenierung von Frank Castorf übriggeblichen. Der Unterschied: die Ring-Regie damals war zwar schräg, aber vorhanden. Den Eindruck hat man jetzt nicht.
Aber es gibt ja so viel Positives zu erzählen. Zum Beispiel über den Chor, der geteilt auftreten muss – die Pandemie ist ja leider noch nicht vorüber. Dass 70 Leute im Chorsaal singen und 70 auf der Bühne und beides zusammengemixt wird, ist tatsächlich nicht zu hören und wohl ziemlich gut gelöst. Chorleiter Eberhard Friedrich wird beim Schlussapplaus dennoch von Teilen des Publikums ausgebuht, was natürlich auch Emotion auf Verdacht sein könnte. Vielleicht hielt man ihn für den Regisseur… Wobei auch der echte Regisseur, Dmitri Tscherniakov, mit Team kurz darauf sein Fett wegkriegt.
Egal. Vorher gibt es ein großes Drama auf kleinem Raum: Eine Art Verlobung im Wintergarten, der wie in Holland üblich, komplett einsehbar ist und die Spießertafel von Papa Daland und Mary, die ist in dem Fall die Angetraute von Daland ist, zeigt. Mit dabei sind die „Frischverliebten“ Holländer und Senta. Also verliebt sind sie nicht. Eigentlich hat keiner für irgendjemanden offensichtliche Emotionen. Dafür gibt es viel Ex-Ostblock-grau, auf den Fassaden, in den Kostümen. Und so agieren auch die handelnden Personen. Gut nur: Sie singen wenigstens ganz vorzüglich. Asmik Grigorian ist eine tolle Senta, wenngleich ihr hysterisches Gehabe gewaltig auf den Senkel geht.
Die Herren gehen in dieser Inszenierung definitiv unter. Dabei ist es eine pure Freude, Georg Zeppenfeld als Daland zu erleben. Auch der Holländer John Lundgren ist in großen Teilen eine Wucht, während Eric Cutlers Erik ziemlich zerlegt wird von der Musik. Die Herren bleiben Randfiguren, erhalten gut höflichen Applaus, während Asmik Grigorian einen Jubelsturm erntet, der in dem Ausmaß zumindest nicht so ganz nachvollziehbar ist.
Aber es ist – soviel sei aus der Inszenierung verraten – der Abend der Frauen. Sie tragen auch im Spiel den „Sieg“ davon. Aus Erlösung wird Erschießung – was per se unlogisch ist, weil der „Holländer“ ja als Figur ein „Untoter“ ist, also auch erdrosselt und erdolcht werden könnte und dennoch wieder auf die Weltmeere zurück müsste. Doch er sinkt darnieder, womit es eigentlich für ihn ein Happyend wäre, endlich nicht mehr aufstehen zu müssen…
Für das Regieteam gibt es jedenfalls einen ordentlichen Buh-Sturm.
Ganz anders wird Oksana Lyniv behandelt, die erste Dirigentin von Bayreuth. Was für eine Feier. Verdient? Nun ja. Man erinnert sich an den Tannhäuser von 2019 und das Dirigat von Valery Gergiev zurück. Der wurde – zurecht – richtig böse ausgebuht. Oksana Linyv schafft es in Teilen, tolle Tempi zu halten, Stellen und einzelne Instrumente so ganz zauberhaft zur Geltung zu bringen. Sie schafft es aber auch, so auf die Bremse zu steigen, dass zum Beispiel Sentas Ballade fast ein Schlaflied wird. Mit langatmigen, fast manierierten Tempi macht sie auch den Sängern zum Teil ordentlich zu schaffen, weshalb Orchester und Gesang häufig den Einklang verlieren. Am schönsten klingt das Werk, wenn Sänger und Orchester sich ergänzen, also eines nach dem nächsten kommt. Zusammen ist das mehrfach schwierig.
Dennoch: Großartiger Jubel für die Dirigentin. Größere Applausorgie hat zuvor Asmik Grigorian genossen. Die Menschen springen auf, um ihre Leistung zu belohnen. Das erscheint dann doch ein bisschen zu viel Sahne obendrauf.
Vielleicht ist es aber auch so, dass die Menschen, 911 im Haus, statt üblicherweise knapp 2000, darunter wie immer Kanzlerin Angela Merkel, auch Ministerpräsident Markus Söder ist da, schlichtweg jubeln wollen. Weil es endlich wieder Festspiele gibt. Und das ist tatsächlich der beste Grund des Abends, aufzuspringen und lautstark zu applaudieren.
Beitragsbild oben: Spießerszene im Wintergarten: John Lundgren als Holländer, Marina Prudenskaya als Mary, Georg Zeppenfeld als Daland und Asmik Grigorian als Senta. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele