Das Bayreuther Festspielhaus am Morgen, 18. August 2019, © © R. Ehm-Klier, festspieleblog.de

Der Bayreuther Ring 2020 und die Proben

Verwundert hat man dieser Tage einen Bericht der Online-Ausgabe der „Zeit“ unter dem Titel „Von der Magie des ersten Mals“ gelesen, der sich damit beschäftigt, wer denn nicht Regie führt beim Ring des Nibelungen 2020 bei den Bayreuther Festspielen. Dabei waren es der Namen viele, die spekulativ kursierten. Noch im Frühjahr 2019 las man von vier Regisseurinnen, die sich Richard Wagners Giga-Werk untereinander aufteilen. Und wer sollte nicht alles dirigieren, Thielemann, Muti – von einem Pietari Inkinen war keine Rede. Ebensowenig wie die gewöhnlich gut informierten Kreise Valentin Schwarz auf der Liste hatten. 

Schwarz insziniert, Inkinen dirigiert

Gelungene Überraschung also, als Festspielleiterin Katharina Wagner traditionell zur Pressekonferenz am Vortag der Festspiel-Eröffnung 2019 die Namen Schwarz und Inkinen als Verantwortliche für den Ring 2020 verkündete – und Zwischenfragen nach einer Regisseurin abbügelte. „Das haben Sie vielleicht erwartet“, raunzte Katharina Wagner zurück. Sie pocht darauf, offiziell kein Engagement bei den Bayreuther Festspielen zu bestätigen, solange Verträge nicht unterschrieben sind, „Punkt“, wie sie anzufügen pflegt.

Vertrag mit Tatjana Gürbaca

Tatsächlich gab es einen Vertrag mit einer Regisseurin, nämlich mit der vielfach ausgezeichneten und geachteten Tatjana Gürbaca (46). Vor Jahren geschlossen und schließlich doch nach längerem Hin und Her wieder gelöst. Über den Zeitpunkt der Trennung mag unter Hinweis auf Interna niemand reden. Ein „nicht sehr langfristig“ ist die einzige zeitliche Angabe, auf die sich Susanne Herrnleben, Agentin der Berliner Regisseurin Gürbaca, einlässt. Übereinstimmung herrscht beim Grund für die Trennung: die Probenzeiten. Indes stellt sich im Gespräch mit der Agentin heraus, dass bei der Interpretation des Probenplans Missverständnisse „nicht ausgeschlossen sind“.

Die Bayreuther Festspiele wären jedoch nicht die Bayreuther Festspiele ohne ein ordentliches „Nachspiel“ – in Worte gefasst und nachzulesen in besagtem Artikel am 14. August, in dem Gürbaca als nun Ex-Ring-Regisseurin geoutet wird, die sich nicht mit den Probenzeiten abfinden wollte. Tatsächlich wurden aus nicht weiter benannten Quellen durchschnittliche Probenzeiten kolportiert, die eher an die Schlagzahl eines Akkordschraubers am Fließband erinnern: Vier Proben à drei Stunden für den dritten Akt „Walküre“. Wie sollten da Probe und Nacharbeit im vernünftigem Maße stattfinden können?, wurde gefragt.

Ja, bestätigt Agentin Herrnleben, die Probenzeit war letztlich problematisch und der Grund für die Vertragsauflösung; man sei „friedlich auseinandergegangen“, sagt Festspiel-Pressesprecher Peter Emmerich, man habe bis zum Schluss vertrauensvoll miteinander gesprochen, betont auch Susanne Herrnleben.

Exklusiv: Blick in den Plan

Wie ist das mit den Probenzeiten bei den Bayreuther Festspielen? Pressesprecher Peter Emmerich zeigt auf unsere Nachfrage hin zur Erklärung den Dispositionsplan für die Saison 2020. Es ist das Strategiepapier einer Festspielsaison. Auf A-3 ist jeder Tag, jeder Raum und jede Institution (Chor/Orchester) akribisch verplant. Von Anfang bis Ende, das ist 2020 der 30. August mit Beethovens IX. Die Probenzeit beginnt am 1. April mit der Einrichtung von Technik und Beleuchtung für die Neuinszenierung, täglich, außer sonntags. Ab 11. Mai geht es dann an die „szenischen Proben“, also mit den Sängerinnen und Sängern. Das sei sportlich, finden auch Insider, manche finden es viel zu kurz, andere machbar.

Insgesamt, das kann man selbst aus der Übersicht herauszählen, stehen 30 Tage Probe auf der Bühne des Festspielhauses zur Verfügung, ohne Haupt- und Generalprobe. Man schreibt den 2. Juli, wenn die Neuproduktion nach den letzten Haus-Proben „Götterdämmerung“ Platz macht für die Wiederaufnahmen Lohengrin, Tannhäuser, Meistersinger. Die Proben ziehen  dann um auf eine der Probebühnen, wohin dann auch das Bühnenbild umgezogen ist. An anderen Theatern ist das anders, doch finden es Regisseure durchaus positiv, vom ersten Tag der Probenzeit nicht im imaginären oder improvisierten Bühnenaufbau zu stehen, sondern im real existierenden.

53 Probentage – mindestens

Für den Ring 2020 stehen 53 szenische Probentage zur Verfügung, zählt Pressesprecher Peter Emmerich nach. Bei Bedarf hätten weitere 13 Tage draufgesattelt werden können – nämlich die eigentlich „heiligen“ Sonntage, wofür es einer Ausnahmegenehmigung bedurft hätte. Aber auch das hätte man hinbekommen, sagt Emmerich. Es wären dann 66 Probentage, insgesamt 528 Stunden. Einfach gerechnet – also angenommen jedes der Ring-Stücke hätte jeweils drei Akte – blieben im Schnitt 44 Stunden Probenzeit pro Akt. In Bayreuth rätselt man darum, wie jene ungenannten Quellen auf viermal drei Stunden, also zwölf, für den dritten Akt „Walküre“ kommen.

Missverständnis beim Lesen des Plans?

Die öffentliche Diskussion gefällt nun keiner Seite. Es gebe keine „Auseinandersetzung“,  in der Branche nenne man das „Verhandlung“, führt Pressesprecher Emmerich aus, dass es keine Seltenheit sei, dass man rechtzeitig festgestellt, es funktioniert doch nicht.

Ähnliche Semantik benutzt Susanne Herrnleben, Agentin von Tatjana Gürbaca. Sie betont, dass Gürbaca das gescheiterte Vertragsverhältnis sehr bedauere. Den Ring in Bayreuth zu inszenieren, „war ihr wirklich eine Herzensangelegenheit“. Doch weil die Regisseurin Wert auf eine „extrem differenzierte Personenführung“ legt, sei man mit den Vorproben – weitere Probentage vor dem offiziellen Start am 11. Mai 2020 –  nicht zusammengekommen. Entweder die Sänger hatten keine Zeit, oder die Regisseurin nicht, weil in diesem Geschäft freilich jeder einen gut gefüllten Terminplan hat. Und dann möchte die Agentin auch nicht ausschließen, dass es beim Lesen des Dispositionsplans „Missverständnisse gab“ und man nur auf die 30 Probentage im Festspielhaus geachtet habe, nicht aber auf die zusätzlichen auf den Probebühnen.

Konsterniert zeigt sich Festspielleiterin Katharina Wagner jetzt allerdings darüber, dass kolportiert wird, sie habe den Deal sei aus künstlerischen Gründen platzen lassen. Hintergrund: Im Zeit-Artikel ist zu lesen, der Festspielchefin habe Gürbacas verkürzter Ring im „Theater an der Wien“ nicht gefallen. Den habe sie sich im Dezember 2018 – wieder „angeblich“ – dort angesehen und weil in Bayreuth das Wiener Konzept fortgesetzt werden sollte, habe sie „No“ gesagt.

Diese Gerüchte dementiert auch Gürbaca-Sprecherin Herrnleben deutlich. Die Aufführung in der Donau-Metropole habe bereits im Dezember 2017 stattgefunden, „und dieses Konzept hatte nichts mit dem Bayreuther Ring zu tun“. Insofern hatte die Festspielleiterin gar keinen Grund, etwas nicht gut zu finden. Im Gegenteil, betont Katharina Wagner: „Ich schätze die Arbeit von Tatjana Gürbaca sehr.“ Was man glauben darf, es hätte sonst keinen Vertrag gegeben.

Tatsächlich sind aber solche Verträge, wie man in Gesprächen mit Künstlern erfährt, zunächst einmal reine Absichtserklärungen, die Jahre vorher geschlossen werden. Zweifelhaft, ob alle realisiert werden, bei „normalen“ Theatern erfährt es die Öffentlichkeit schlicht nicht.

Und natürlich wird kein Theater trotz Vertragsabschlusses, egal wofür, nicht weiter die Augen und Ohren offenhalten für andere Kandidatinnen und Kandidaten, weil man nie weiß, was in den Jahren passiert. So war vor Jahren, noch in der Ära Wolfgang Wagner, ein berühmter Filmregisseur für einen „Ring“ in Bayreuth verpflichtet worden. Der Vertrag platzte, nachdem der die totale Finsternis im Festspielhaus haben wollte – inklusive Aus für die Notausgangs-Beleuchtung und den schwachen Schein aus dem Orchestergraben. Ein eventueller Umbau war sogar noch angedacht worden. Es wäre letztlich doch zu teuer geworden. Plan und Vertrag wurden begraben.

Schwarz-Konzept „faszinierend“

Valentin Schwarz, Sieger des Grazer RingAwards 2017, hat die Aufmerksamkeit von Katharina Wagner errungen, indem er ihr nach seiner hohen Auszeichnung ein Konzept für einen Ring vorlegte, das er schon vorbereitet hatte. Schwarz hat sich mit der Materie also längst auseinandergesetzt. Wagner fand es „auf Anhieb faszinierend“, man ist also im Geschäft. Wie Schwarz mit der Probenzeit auskommt, mag man im Festspielhaus nicht kommentieren. Zu erfahren ist, dass der Österreicher mit seinem Team, dem unter anderem auch der erfahrene Dramaturg Konrad Kuhn (Tannhäuser 2019, Bayreuther Festspiele) angehört, mit den geplanten 53 Tagen auskommen will und auf die Sonntage und Vorproben verzichtet. Das bedeutet nicht, dass der 29-jährige Regisseur übermütig ist, ebensowenig, dass eine arrivierte Regisseurin umständlich arbeitet. Sondern nur, dass jeder/jede für sich entscheidet. In diesem Fall – den Eindruck hat man nach diversen Gesprächen zu diesem Thema – ist ein Plan halt nicht aufgegangen. Mehr nicht. Es ging nicht um alt oder jung, Mann oder Frau, sondern wer kann mit den gegebenen Umständen leben.

Ring-Ergebnis zählt

Die Bayreuther Festspiele zahlen nicht nach Diversität oder durchschnittlicher Akt-Probenzeit, die Zuschauer zahlen Eintritt, keinen Gender-Bonus oder -Malus. Wenn Herr Schwarz für sich beschließt, mit dem Zeitkontingent auszukommen, ist das die Entscheidung eines erwachsenen Regisseurs. Am Ende zählt das Ergebnis, zu sehen am 1. August 2020, dem Ende der ersten Götterdämmerung.  

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