Oben Revolution, unten Gemälde: Szene aus Tannhäuser 2019

Tümpel versus Festspielhaus: Tannhäuser 2019

Die Bayreuther Festspiele haben am Donnerstagabend, 25. Juli, mit der Premiere von „Tannhäuser“ begonnen. Viel Prominenz war dabei. Und viel „Volk“, dafür hatte die Regie von Tobias Kratzer gesorgt. Zusammen mit Kostüm- und Bühnenbildner Rainer Sellmaier und Video-Künstler Manuel Braun sowie einer brillanten Sängerbesetzung hat er ein beeindruckendes Kunstwerk geschaffen. Das Regieteam wurde jedenfalls mehr gefeiert als Dirigent Valery Gergiev, der mit ziemlich vielen Buhs leben musste.

Tannhäuser-Party im Park 

Wenn Beats durch den Festspielpark hämmern, mögen alteingesessene Besucher der Bayreuther Festspiele vielleicht die Nase rümpfen. Sie müssen auch nicht hinunter gehen zum Tümpel am Fuße des Grünen Hügels, aber jeder darf kommen, wenn Tannhäuser Party macht.

Nicht ganz Tannhäuser. Es sind seine Kumpels. Solche von der Sorte, mit denen man sich vielleicht nicht ganz so gerne in der Öffentlichkeit zeigt, so man aus der feinen Gesellschaft stammt. Diese Leute sind schräg, aber verfügen über all das, was man „dort oben“ eher vergeblich sucht: Ehrlichkeit, Loyalität – Freundschaft. Davon gibt’s im Venusberg gerade mehr als genug. Und obendrauf noch Spaß. Bis der an seine Grenze stößt. Es gibt einen Toten, mehr sei nicht verraten.

Wenn der Spaß ein Ende hat

Aber dieser Kniff, den Regisseur Tobias Kratzer für Tannhäuser der Bayreuther Festspiele entdeckt hat, ist ein brillantes Puzzlestück in diesem Werk, bei dem man sich immer gefragt hat, warum Tannhäuser denn die tolle, freie Welt der Venus überhaupt verlassen hat. Der Venus-Trupp – das wird in einem wunderschönen Roadmovie zur Ouvertüre erzählt – ist verantwortlich für den Tod eines Menschen. Und das ist „Zu viel, zu viel“, wie der bis dahin clowneske Tannhäuser zu Beginn seine Gewissensbisse beklagt. Seine Zerrissenheit verortet Tobias Kratzer in der Neuinszenierung des Tannhäuser 2019 in der Kultur.  Trash am Tümpel versus Hochkultur im Festspielhaus. 

Und weil das fahrende Volk mit Oskar alias Manni Laudenbach und Dragqueen Le Gateau Chocolat  keine Berühungsängste hat, lassen sie‘s am See krachen und machen Party fürs Festspielvolk oder alle, die dazugehören wollen, aber keine Karte haben  – in jeder 1. Pause des Tannhäuser. Das ist somit das erste Mal, dass die Festspiele vom Hügel herunter kommen. 

Das ist ein Spaß, den sich Tobias Kratzer, der zu allen öffentlichen Statements stets zusammen mit Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier und Videokünstler Manuel Braun auftaucht, erlaubt. Davon gibt es viele – wo hat es das jemals gegeben, dass schon während der Ouvertüre gelacht wird? Der Gruß zur „Biogasanlage“ – also der Vorgängerinszenierung – ist auch zu witzig (Mangels Nachfrage geschlossen); oder die Innenaufnahme, wenn Le Gateau Chocolat beeindruckt durch den berühmten Dirigenteneingang stöckelt und dem Bild von Christian Thielemann ein bewunderndes Kusshändchen zuwirft. Es ist ein Spaß – aber nie Slapstick.

Es hat schon seinen guten Grund, dass die Venus-Leute ausgerechnet über den berühmten Balkon des Festspielhauses zur Vorstellung einsteigen – und warum genau an solchen Stellen das Video der Inszenierung eine neue Ebene beschert. Auf diesem Balkon grüßte einst „der Führer“ das Volk. Heute kündet genau von dieser Stelle aus ein Plakat: „Frei im Wollen! Frei im Thun! Frei im Geniessen“ – ein Zitat von R. W. – Richard Wagner.

Eine Szene, die sehr deutlich zeigt, wie ernsthaft sich bei allem Spaß Kratzer, Sellmaier und Braun  mit dem Stück beschäftigt haben.

Viel hat Kratzer  beim Komponisten gefunden, wie Kratzer unter anderem vor der Generalprobe der geladenen Presse, erklärt. Tannhäuser sei ein sehr autobiografisches Stück für Richard Wagner, auch der war hin- und hergerissen zwischen Revolution – also Venusberg – und vornehmer, sprich reicher, Gesellschaft – also den Sängern auf der Wartburg. 

Theater im Theater

Die lässt Bühnenbildner Sellmaier im zweiten Akt, also zum Sängerkrieg, in sehr historischer Kulisse und ebensolchen Kostümen würdevoll marschieren – als Theater, denn die Kamera ist von der Seitenbühne immer mit dabei und beobachet sogar den Inspizienten. Es ist dort also alles nur Spiel. Bis die Venusberg-Clique  über sie hereinbricht – und am Ende nur Verlierer hinterlässt, oder Gewinner, je nachdem. Jedenfalls bleibt keine Welt, wie sie einmal wahr. Vielleicht sterben Tannhäuser und Elisabeth auch gar nicht, sondern sie fahren gemeinsam in den Sonnenuntergang – und ihre Welt ist untergegangen…

Auf der Bühne wird ja nicht nur eine Geschichte erzählt – und das wirklich sehr stringent und nachvollziehbar – es wird vor allem gesungen. Und wie. Stephen Gould ist ein wahrer Heldentenor  (und das nicht nur, weil er ja hier auch noch den Tristan singt), und allein das ist schon ein wahrer Genuss. Und er verkörpert wunderbar diesen Hin- und Hergerissenen, der – wie Stephen Gould im Interview sagt – wahrscheinlich gar nich in Rom war, um Vergebung zu finden, sondern im Gefängnis, eben weil es am Anfang ja einen Toten gegeben hatte. Das Ergebnis der „Rom-Reise“ ist jedenfalls, dass es keine Vergebung gibt.

Berührender Szene: Hilflose Welten mit Oskar (Manni Laudenbach) und Elisabeth (Lise Davidsen)
Bewegende Szene aus Tannhäuser bei den Bayreuther Festspielen 2019: Manni Laudenbach und Lise Davidsen als Oskar und Elisabeth. Beide sind aus ihrer Welt gefallen. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Gould scherzte im Interview, Lise Davidsen, die Elisabeth, möge doch bitte schnell älter werden, damit er mit ihr noch viele Partien – wahrscheinlich bevorzugt Wagner – singen könne. Wer Lise Davidsen hört, versteht ihn nur allzugut. Eine Entdeckung, ein Genuss, diese Stimme zu erleben. Der Saal tobte beim Applaus, zumal die junge Norwegerin über eine beneidenswerte  Ausstrahlung verfügt. Markus Eiche als Wolfram ist schon eine Hausgröße bei den Bayreuther Festspielen. Und Stephen Milling, der im Castorf-Ring glänzte, wiederholt mit tiefem Bass nun als Landgraf Hermann. 

Kurzfristig hat Venus für Wirbel gesorgt. Elena Zhidkova musste kurzfristig einspringen, weshalb Video-Mann Braun Szenen nachdrehen musste. Zhidkova meisterte aber den kurzfristigen Einsatz ausgezeichnet. Die Video-Szenen klappen auch. Auch für sie großer Applaus, ebenso wie für Daniel Behle als Walther von der Vogelweide, Kay Stiefermann als Biterolf, Jorge Rodriguez-Norton als Heinrich der Schreiber und Wilhelm Schwinghammer als Reinmar von Zweter.

Musikalischer Leiter auf der Durchreise

Was soll man sagen über einen Chor, der sich in jedem Jahr zusammen mit seinem Leiter Eberhard Friedrich ersingt. Schauspielfreudige Chorsängerinnen und -sänger kommen in dieser Inszenierung zwar wenig auf ihre Kosten – der Chor singt sphärisch aus dem Bühnendunkel – was die Leistung jedoch in keinem Punkt schmälert.

So könnte es eigentlich eine perfekte Premiere sein. Wenn der musikalische Leiter sich nicht nur auf der Durchreise befände – hörbar. Chor und Orchester haben teilweise Differenzen, die Sänger müssen ihre Partien teils sehr in die Länge ziehen, weil im angezogener Handbremse gefahren wird. Die Abendzeitung München hat kürzlich einen langen Artikel über Valery Gergiev veröffentlicht – und die Termine des russischen Dirigenten und seine große Klassik- und Reiselust aufgelistet. Klassik am Odeonsplatz am Tag vor der Hauptprobe in Bayreuth; „Frau ohne Schatten“ in Verbier am Tag vor der Generalprobe. Die Zeiten, dass das Spitzenpersonal explizit in Bayreuth weilen muss, während geprobt wird und Aufführungen stattfinden, sind längst vorbei. Katharina Wagner beantwortete bei der Pressekonferenz am Vortag der Premiere entsprechende Nachfragen, wie oft der russische Dirigent denn bei den Proben anwesend gewesen sei, ausweichend, dass „er alle vertraglichen Proben gehalten hat“.

So gab es ziemlich viele Buhs als Gergiev die Bühne betrat. Bayreuth hat er schon abgehakt. Man möchte ihm weiterhin gute Reise wünschen und versteht Christian Thielemann, der im Interview erklärt, warum er sich im Sommer die „Bayreuth-Ohren“ aufsetzt und vor den Tücken der Tempi warnt. Es steht bereits fest, dass nächstes Jahr nicht mehr Gergiev, sondern Axel Kober Tannhäuser dirigiert.

Von der musikalischen Leitung abgesehen – ist die  Ernsthaftigkeit, die Krater, Sellmaier und Braun mit einer Spitzenbesetzung auf die Bühne bringen, ein reines Vergnügen. Nur dass im Film das – ENDE – fehlt.

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