Bevor wieder ein Fauxpas passiert und, wie schon geschehen, der Chor der Bayreuther Festspiele übergangen wird, fangen wir damit ab. Der Chor unter der Leitung von Eberhard Friedrich spielt eine ausgezeichnet Hauptrolle in „Die Meistersinger von Nürnberg“ bei den Bayreuther Festspielen und hat auch den ersten ersten Gesangspart, die Andacht in der Kirche – in diesem Fall im nachgebauten Wohnzimmder der Villa Wahnfried. Hier geht das zweifelsohne fröhliche Gewusel schon los, lange bevor der Chor einsetzt: Wir erfahren, dass Richard W. vom Spaziergang heimkommt, Schwiegervater Franz Liszt sich angesagt und Cosima Kopfschmerzen hat, bewundern zwei wunderschön getrimmte Neufundländer Hunde und so weiter, und so weiter. Schon hier wird deutlich: Alle spielen begeistert ihre Rollen – und dieser Elan lässt auch im Gesang nicht nach. Es ist ein Gesamtkunstwerk (Beitragsbild: © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele)
Umzugshaufen statt Kunstrasen
Die Meistersinger – diese Musik, diese Besetzung, dieser Chor: es wäre ein grandioses Kunststück, diese Zutaten zu versemmeln. Und das gelingt tatsächlich nicht. Regisseur Barrie Kosky hat sein viel beachtetes Bayreuther Debüt-Werk, das 2017 Premiere feierte, nochmal in die berühmte Werkstatt geschickt, was ihm nicht schlecht bekam. Am auffälligsten ist das im zweiten Akt, wo Kosky die Picknickszene mit Cosima/Eva und Richard/Hans Sachs gestrichen hat. Der grüne Kunstrasen, in dem sich Sänger verheddern können und der spektakulär aber dann überflüssig weggehievt wird, ist nun durch einen Umzugshaufen im Gerichtssaal von Nürnberg ersetzt. Offensichtlich ist also Villa Wahnfried geräumt. Flügel, Stühle, Taschen sind säuberlich aufgetürmt, inklusive Zimmerpalme.
Hier klärt Hans Sachs – großartig nicht nur gesungen, sondern auch dargestellt von Michael Volle – den jungen Stolzing – Klaus Florian Vogt hat’s immer noch drauf – über die Regularien eines echten, deutschen Meisters auf, damit der dann seine Eva gewinnen möge.
Mit Emily Magee ist der Anspruch des Regisseurs, eine „erfahrene“ Eva zu finden, hervorragend erfüllt. Aber diese goldene Reife liegt logischerweise in ihrer Stimme. Schön anzuhören, aber das jugendliche Gehopse, das zum frisch verliebten Jung-Evchen gehört, wirkt in dem Fall wie das des späten Mädchens mit Nachholbedarf, ergo etwas überflüssig. Frauenfreundlich ist die Darstellung jedenfalls nicht.
Top-Besetzung
Dafür kommen die Jungs durch die Bank perfekt heraus. Prächtig die Kostüme, eine Wucht die Stimmen. Ob das Günther Groissböck als Vater Pogner ist oder Daniel Behle als David. Selbst der Nachtwächter – Bayreuth-Debütant Tobias Kehrer – ist top besetzt. Und dann ist da natürlich der Sixtus Beckmesser/Hermann Levi von Johannes Martin Kränzle, der als linkischer Prügelknabe der Nation durch die Szenen tapst und torkelt und mit Michael Volle ein grandioses Gespann bildet. Mit diesem Duo ist ein wahres Besetzungskunststück gelungen.
Die Musik der Meistersinger sind das Eine, der Text das Andere: Viel „Heil“, viel Deutsch, viel Meister, viel Ehr und Achtung. Da mag man schon peinlich berührt im Sitz versinken. Doch Regisseur Kosky treibt das allzu Deutsche mit Chor und Statisterie gehörig aus, schafft Gemälde, lässt maniriert Applaus spenden beim Einzug der Verteidiger deutscher Werte. Es sind viele Wimmelbilder, die den Text durch Groteske entschärfen. Selbst die Spielerin der Meistersinger-Harfe auf der Bühne, gekleidet als Stenografin des Gerichtsprozesses, spielt das Spektakel wunderbar mit. Das schiebt die Größe der Musik zwar etwas in den Hintergrund, aber es ist herrlich anzuschauen.
Dirigent Philippe Jordan lässt sich vom vielen Gewusel nicht treiben. Er hat das Orchester im wohl schwierigsten Stück für das Bayreuther Festspielhaus hervorragend im Griff, wenngleich er die vorgesehene Spielzeit leicht überzieht.
Am Ende viel, viel verdienter Jubel für dieses Meisterwerk trotz oder wegen der Wimmelbilder.