Bei dieser Rekordhitze – erstmals wurden auf der Galerie 40 Grad gemessen – möchte man eigentlich schnell wieder das Festspielhaus verlassen. Der einzige, der bei Walküre am 31. Juli bei den Bayreuther Festspielen offensichtlich sehr viel Zeit hatte, war Placido Domingo. Mit seinem Debüt als Dirigent bei den Bayreuther Festspielen tat er wohl niemandem einen Gefallen. Alle brauchten langen Atem: das Publikum im übertragenen, Sänger und Bläser im Orchester im wahrsten Sinne des Wortes. Am wenigsten tat sich der Star selbst einen Gefallen. Der Mann ist eine Legende, ein nahbarer Star, ein freundlicher Mensch. Doch das schützt leider nicht vor Buhs, die in der Heftigkeit nach der Premiere eigentlich sonst nur Regisseure abbekommen.
Kaugummizähes Tempo
Vor allem im ersten Akt wurde man das Gefühl nicht los, dass Musik und Gesang gleich völlig auseinanderdriften. Dass dem nicht so war, lag sicher an einer großen kollegialen Leistung gegenüber dem Star mit dem Taktstock. So bemühten sich alle, dem kaugummizählen Tempo irgendwie zu folgen.
Die Sängerinnen und Sänger waren dennoch einfach rundum großartig. Stephen Gould und Anja Kampe gaben ein wundervolles Paar ab, taten ihr bestes, wenigstens ein bisschen Schwung in die müde Angelegenheit zu bekommen, was vor allem im ersten Akt ein wahres Kunststück war, wo sich auf der Bühne herzlich wenig tut – und aus dem Graben wenig Mitreißendes kommt. Der neue Hunding, Tobias Kehrer, passte ausgezeichnet zum hohen Sängerniveau. Große Klasse auch Marina Prudenskaya als starke Fricka. John Lundgren als Wotan wurde das eine oder andere Mal Opfer des bedächtigen musikalischen Tempos. Und Catherine Foster feierte bei der Premiere ihre 50. Brünnhilde in Bayreuth und sang über alle musikalischen Bremsen frei und frisch hinweg.
Sänger durchwegs gefeiert
Die „Gassenhauer“ aus der Walküre wie der Walkürenritt oder der Feuerzauber plätscherten in der Sommerhitze des Festspielhauses dahin. Kaum hatte man den Eindruck, jetzt wird’s, wurden die Tempozügel auch schon wieder angezogen. Und die Lautstärke des Orchesters mag im Graben beachtlich sein, im Zuschauerraum kam sie nicht an. Im Interview hatte Placido Domingo gesagt, er wolle Dirigent für die Sänger sein. Vielleicht ist damit zu erklären, weshalb er oft abwartete, bis die Passage gesungen war, bevor er den nächsten Einsatz gab. Aber damit wirkte die Musik abgehackt, ohne Schwung – und blieb das mehr oder weniger bis zum Schluss.
Die Kommentare, die schon kurze Zeit später auf Facebook zu lesen waren, waren entsprechend, schwankten zwischen Mitleid und Unverständnis. Und auch Domingo selbst muss irgendwie geahnt haben, dass das eher nichts war. Denn erst kamen die Sänger zu zweit und allein und wieder zu zweit auf die Bühne, dann gemeinsam. Und sie wurden lange und zurecht gefeiert. Erst dann trat der musikalische Leiter des Abends selbst vor den Vorhang – und erlebte eine neue Erfahrung. Kaum Begeisterung und weit mehr als nur ein paar vereinzelte Buhs. Ein zweites Mal kam denn Domingo auch nicht mehr nach vorn, sondern nur noch einmal mit der gesamten Sängerriege. Auch das spricht für sich.
Wirklich jammerschade, man hätte dieser Opernlegende einen zumindest Achtungserfolg von Herzen gegönnt. Andererseits haben die Menschen zum Teil sehr viel Geld bezahlt, um die sonst heiß geliebte „Walküre“ zu erleben – und sei es im aserbaidschanischen Bohrturm aus der Regie von Frank Castorf. Während einem noch heute die Lohengrin-Musik der Premiere durch den Kopf schwirrt, hat man Walküre sehr schnell vergessen. Leider. Beitragsbild: © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele