Es ist der Tag nach einer Tristan-Aufführung bei den Bayreuther Festspielen. Stephen Gould kündigt an, dass er an diesen Tagen immer völlig ausgepowert ist. Doch davon ist im Gespräch nichts zu merken. Der Bayreuther Tristan spricht beim Kaffee über seine Rolle, über seinen Weg von der Oper zum Musical und zurück, und darüber, dass er den Siegfried nicht mehr lange singen mag und warum er die Oper Tokio immer mehr zur Heimatbühne macht.
Stephen Gould ist gebürtiger Amerikaner, lebt in Wien und seiner Heimat USA, wenngleich er beides nur selten sieht. Das Interview führen wir übrigens in Deutsch (Szenenfoto „Tristan und Isolde, 2016, © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele)
festspieleblog.de: Wie geht es Ihnen am Tag nach dem Tristan?
Stephen Gould: Es ist ein bisschen wie Olympics. Man braucht alles für diese Partie.
Auf der Bühne hört sich das allerdings nicht so an. Sie klingen so unangestrengt.
Es gibt bestimmte Partien, Tannhäuser oder die beiden Siegfrieds und Tristan natürlich, da du musst alles geben. Ja, es ist fast wie ein Sport, auch wenn ich nicht so aussehe (lacht herzlich). Vielleicht wie ein Sumo-Ringer, wie mich in Japan ein Kritiker einmal bezeichnet hat.
Kondition haben und brauchen Sie auf alle Fälle, vor allem im dritten Akt Tristan. Woher haben Sie die?
Natürlich wird man im Studium ausgebildet. Aber man lernt nur auf der Bühne. Es gab Vorstellungen, wo die ersten zwei Akte super schön liefen und plötzlich war der Akku leer. Dann musst du wirklich kämpfen. Die Kondition kommt mit der Erfahrung. Einer meiner großen Fehler war, dass ich mein Debüt als Siegfried hier, in Bayreuth, gegeben habe.
„Erst am Ende der Karriere versteht man, wie man genau singen soll“
Warum Fehler?
Es braucht Zeit, diese Partie wirklich in die Stimme zu bekommen und in den Kopf. Erst nach bestimmt 20 Vorstellungen wusste ich, wo ich sparen muss, wo ich ein bisschen mehr geben kann. Diesen Prozess brauchen alle Wagner-Partien. Ich glaube, erst am Ende einer Karriere versteht man genau, wie man es singen soll.
Am Anfang Ihrer Karriere stand das Musical. Wann kamen Sie auf die Idee zu sagen, ich möchte Oper singen?
Ich wollte immer Oper singen. Erst war ich ein junger Bariton, dann habe ich mich als lyrischer Tenor versucht, dann wieder zurück zum Bariton. Ich habe nie gewusst, wo meine Stimme wirklich passt.
Und wie kamen Sie dann drauf?
Musical war eigentlich eine Lebensalternative. Ich musste ja auch Geld verdienen. Aber es war auch nicht schlecht, weil ich viel gelernt habe in dieser Zeit auf der Bühne. Vielleicht hat mich das auch gerettet.
„Mit 28 Siegfried, mit 38 fertig mit der Karriere“
Inwiefern?
Wenn man sich heute die jungen Leute anschaut. Fantastische junge Leute, hochtalentiert, aber sie fangen viel zu früh an, große Verdi- oder Wagner-Partien zu singen. Früher, vor dem Krieg, gab es keinen Sänger, der vor 40 oder 45 den Siegfried sang. Aber heute: Wenn du schön aussiehst und das Zeug zum Heldentenor hast, fängst du mit 28 mit Siegfried an und bist mit 38 fertig mit der Karriere.
Es gibt ja Beispiele.
Oh, es gibt viele Beispiele von Sängern, die die ersten paar Jahre fantastisch singen, und plötzlich ist ihre Stimme ausgesungen oder sehr dünn geworden. Aber es gibt auch positive Beispiele. John Vickers hat viel französisches und italienisches Repertoire gesungen. Nicht immer erfolgreich. Aber als er damit fertig war, war er für die großen Partien wie Tristan bereit. Oder Max Lorenz. Er war eigentlich kein typischer Heldentenor. Aber er hatte eine so fantastische Technik, dass er mit 60 noch Otello oder Tristan singen konnte. Oder Windgassen. Eigentlich war er ein lyrischer Tenor, aber er hat sich langsam und sehr deutlich gesteigert. Und am Ende hatte er genug Basis und Erfahrung, um den Tristan wirklich toll zu machen.
„Wagner – es ist halt so passiert“
Was haben Sie gemacht, damit Sie es richtig machen?
Ich glaube, es war glücklicher Zufall. Ich habe nie gedacht, Wagner zu singen. Es ist halt so passiert. Am Anfang dachte ich, ich würde im italienischen Repertoire landen. Aber das war nicht meine Stimme. Wahrscheinlich aber hat die Zeit fern der Oper meine Stimme gerettet. Ich war fast 40 als ich zurückkam.
Nicht Ihre Stimme – hat Ihnen das jemand gesagt?
Ich habe einen Gesangslehrer getroffen, der mir gesagt hat, du singst total falsch, das ist dein Problem. Dann haben wir drei Jahre an einem Fachwechsel gearbeitet. Und er hat entdeckt, dass statt Verdi das schwere deutsche Fach zu meiner Stimme passt.
War das für Sie ein Schock, Deutsch lernen zu müssen?
Und wie. Ja, absolut. Eine neue Sprache zu lernen, ist nicht einfach. Es ist ja auch eine neue Kultur. Aber ich war nicht dagegen, weil ich Wagner immer geliebt habe. In Linz habe ich dann den Freischütz gesungen. Singen war nicht das Problem: lyrisch, ein wenig dramatisch. Es waren die vielen Dialoge — für mich, als Ausländer, erstes Jahr Oberösterreich. Und dann eine so deutsche Oper. Das war eine Herausforderung. Ich hatte einen sehr netten Kollegen, wir wurden auch gute Freunde. Er war ein fantastischer Kaspar, aber er konnte sich den Text nicht merken und hat improvisiert, weshalb ich meine Stichwörter nicht bekam. Ich habe dann zu ihm auf der Bühne gesagt: „Das war sehr schön Klaus, aber ich bin der Ausländer hier. Können wir das wiederholen jetzt? Kaspar, was war das für eine Kugel?“. Das Publikum hat so gelacht. Die Leute haben verstanden, dass der neue Tenor grad gar keine Ahnung hat, was zu tun ist.
Wie kamen Sie eigentlich zum Gesang?
Mein Vater war Methodisten-Pastor. Ich bin in Roanoke/Virginia geboren, aber wir zogen viel um, nach Pennsylvania, dann Ohio, Kanada. Meine Mutter war Konzertpianistin und wir haben viel Musik in der Kirche gemacht. Eigentlich habe ich bis zur Universität nur in der Kirche gesungen.
Stand für Sie früh fest, dass Sie Sänger werden möchten?
Überhaupt nicht. Ich wollte eigentlich Medizin studieren, stellte aber fest, dass ich Probleme mit zu viel Blut habe (lacht). Im Hinterkopf war schon der Gesang, aber die Chance auf eine Karriere ist ja doch sehr gering.
Und wie kam es dann doch zu Ihrer Karriere?
Ich habe in der Schule schon viel Musical und Theater gemacht. Und ich hatte eine Drama-Lehrerin im Gymnasium, die fand meine Stimme sehr schön. Sie hat mir ihren Ex-Mann empfohlen, einen Gesangslehrer.
Netter Zufall.
So habe ich angefangen, mit 17 zu studieren. Er war ein Teilnehmer von Savoyards Norfolk Virginia, wo viel Gilbert and Sullivan gesungen wurde. Das ist fast wie Operette und ich bekam kleinere Partien in verschiedenen Inszenierungen. Das gefiel mir, ich wollte zur Oper und habe Gesang studiert und auf dem New England Conservatory of Music in Boston meinen Masters Degree gekriegt. Anschließend war ich zwei Jahre auf der School of American Artists in Chicago. Aber auch da konnten wir noch nicht meine wirkliche Stimmlage finden. Ich war dramatischer Rossini-Tenor.
„Damn good“, aber kein Rossini-Tenor
Dabei haben Sie ja eine eher dunkle Stimme.
Ja, aber ich hatte ein sehr gutes Falsett. Manchmal ist das Schicksal. Ich war in den 1980ern Cover für Chris Merritt. Er wurde krank und ich musste für zwei Vorstellungen Tancredi (Rossini) mit Marilyn Horne einspringen. Das war verdammt hoch, aber ein Erlebnis. Marilyn Horne war fantastisch zu mir. In der Pause der zweiten Vorstellung sagt sie: „You’re damn good tonight“, aber du bist kein Rossini-Tenor. Du bist junger Basso oder Heldentenor. Ich glaubte das nicht. Aber eine Gesanglehrerin später, als ich zur Oper zurückkam, sagte mir genau dasselbe. Ich glaube, sie hat gemeint, genau wie Marilyn, dass viele Tenöre als Bariton anfangen. Man braucht für den Heldentenor eigentlich dieses Bariton-Fundament. Ich glaube, ich war immer ein Tenor, obwohl ich von Natur aus nicht die ganz spitzen Töne habe.
Üben Sie viel?
Ich habe früher viel geübt. Heute, am Tag nach Tristan, werde ich gar nicht singen. Aber ich kann nicht länger als zwei Tage ohne Übung auskommen. Der Muskel muss trainiert werden. Ich habe jetzt die Erfahrung zu wissen, was ich tun muss. Nur 15 Minuten üben, dann bin ich bereit für die Partie. Aber man muss technisch immer und immer arbeiten. Ich habe immer noch einen Gesangslehrer, wo ich oft nur zur Reinigung hingehe (lacht).
Markieren bei Tristan anstrengender als aussingen
Um die Stimme zu pflegen?
Natürlich. Man muss immer aufpassen, was man macht. Manchmal bin ich von Oktober bis zum Mai sehr paranoid wegen Erkältungen.
Dann werden Sie an diesem Sommer keinen Spaß haben.
Dieses Wetter gefällt mir besser. Letztes Jahr haben wir hier Tristan ich glaube mit 42 Grad auf der Bühne gemacht. Aber noch schlimmer war es für die Ärmsten im Orchestergraben.
Im Premieren-Jahr in Bayreuth haben Sie selbst in den Proben den Tristan voll ausgesungen. Hatten Sie keine Angst vor Überanstrengung?
Es gibt Partien wie Siegfried oder Tristan, da kannst du eigentlich nicht markieren. Letztes Jahr war alles ganz neu, da muss man alles ausprobieren. Da bringt markieren mehr Stress als auszusingen. Diese Saison habe ich bei den Proben ein bisschen mehr markiert.
Wie war das bei Ihrem ersten Tristan?
Das war in Tokio. Viele meiner neuen Partien singe ich am National Theater in Tokio. Das ist eine zweite Heimbühne für mich geworden. Es ist fantastisch, dort zu arbeiten. Die Leute sind hochprofessionell, es sind schöne Probenzeiten und man sich kann auf Topniveau entwickeln. Es ist nicht so viel Stress wie hier in Deutschland, gerade wenn man eine neue Wagner-Partie macht.
„Schön aussehen und schön brüllen, egal ob die Stimmqualität echt ist oder nicht“
Inwiefern Stress?
Hier ist die Erwartung oft sehr hoch. Es gibt keine Geduld mehr mit Sängern. Alles muss gleich perfekt sein. Ich habe früher viele Fehler gemacht, aber hatte auch Leute, die mir geholfen haben. Meinen ersten Otello zum Beispiel habe ich in Florenz mit Zubin Mehta gesungen. Was für eine Idiotie: Eine italienische Partie in Firenze! Mit italienischem Publikum, das gnadenlos sein kann. Es ist gut gegangen. Aber nur, weil Zubin Mehta mir geholfen hat. Heute ist der PR-Stress groß. Du musst schön aussehen und schön brüllen, egal ob die Stimmqualität echt ist oder nicht. Hauptsache, es passt für eine Aufnahme.
Auch der Tristan wurde gleich zur Premiere aufgezeichnet.
Das war anstrengend für alle. Aber es war ok.
Sie haben ja dieses Jahr die Isolde, nämlich Petra Lang, von Anfang an. War das auch für Sie beruhigender?
Ja. Mit Evelyn (Herlitzius, Premieren-Isolde bei den Bayreuther Festspielen 2015, Anm.) habe ich früher oft gesungen, und für sie war es letztes Jahr natürlich auch nicht optimal. Sie hat wirklich alles gerettet und hat viel Kritik gekriegt. Das war nicht fair. Mit Petra (Lang) habe ich auch schon viel gesungen. Ich finde, die dunkle Farbe ihrer Stimme passt gut zu meiner Stimme. Und mit Petra zu arbeiten ist fantastisch. Sie gibt immer 100 Prozent. Nie weniger.
Sie haben bei den Bayreuther Festspielen ja schon Tannhäuser, Siegfried und jetzt Tristan gesungen. Was ist hier anders?
Ich glaube, es ist ein starker Ort. Wir wissen, dass wir hier unsere Kunst zum Höhepunkt bringen können. Darum muss man in Bayreuth ein bisschen konzentrierter sein. Das bringt etwas mehr Stress und Angst, weil alles passen muss. Aber es ist ideal hier. Die Akustik ist für uns Sänger nicht ganz einfach, weil für uns auf der Bühne das Orchester ein bisschen lauter ist als beim Publikum. Aber es ist eine wunderbare Mischung hier.
Loge als faszinierende Figur
Tristan oder Siegfried? Was ist Ihr Favorit?
Ich singe Siegfried gern, aber ich glaube ich werde ihn nicht mehr oft singen. Im Januar noch in Dresden mit Thielemann, dann singe eine neue Inszenierung in Tokio im Mai. Dort debütiere ich übrigens im Oktober mit Siegmund.
Also lieber Tristan?
Ich habe immer gesagt, Tristan ist meine Endstation. Aber das heißt nicht, dass es keine neuen Partien für mich gibt. Letztes Jahr habe ich meinen ersten Loge gesungen.
Wenn man den Tristan drauf hat, wo ist bei Loge die Herausforderung?
Loge ist eine Charakterrolle, aber es ist keine Charakterstimme, finde ich. Ich glaube, das war auch Wagners Meinung. Auch vor dem Krieg waren die berühmten Loges Heldentenöre. Erst nach dem Krieg wurde Loge mehr Charakter-Tenor, wodurch die Partie immer ein bisschen komisch wirkt. Ich finde, das ist falsch. Es gibt ein bisschen Komik in der Partie. Aber Loge ist ein sehr gefährlicher Mensch. Ich habe als Teenager Siegfried Jerusalem als Loge an der Met gesehen. Er hat das wirklich gesungen, nicht so gequatscht. Er ist charmant und irgendwie ölig mit Wotan umgegangen. Aber als der sich wegdrehte, hörte man Loges wahren Charakter — es war reiner Hass. Das war ein Erlebnis. Ich habe nichts gegen Charakter-Tenöre. Aber Loge ist kein Spieltenor. Es hat sich eingebürgert, lieber einen Loge im Haus zu finden, als für Geld einen Loge zu engagieren.
„Werde Siegfried abgeben“
Sie sagten, Sie wollten sich von der Siegfried-Partie verabschieden.
Ja, in den nächsten drei Jahren werde ich meine Siegfrieds abgeben. Ich bin jetzt fast 55. Es ist doch peinlich, als alter Mann auf der Bühne zu sein (lacht). Siegfried ist ein junger Mann, ein junger Klang. Und mein Klang ist jetzt ein bisschen zu baritonal.
Was kommt dann?
Dann kann ich Loge und Siegmund anbieten. Aber Tristan bleibt meine Lieblingspartie — und immer mehr auch der Tannhäuser. Ich hatte noch auf Lohengrin gehofft, aber da kriege ich gar keine Angebote mehr. Und früher habe ich viele Eriks in Der fliegende Holländer gesungen. Besonders in Wien, wo Erik gern mit einer kräftigen Stimme besetzt wird. Aber ich glaube, diese Zeit ist auch vorbei. Das liegt vielleicht auch am Geld. Niemand will eine Tristan-Abendgage für Erik ausgeben. Was ich übrigens auch seit Jahren gerne singen möchte: einen Samson (Samson et Dalila, Camille Saint-Saëns). Das versuche ich seit Jahren. Aber ich glaube, die Partie ist in Europa nicht so beliebt und wird normalerweise mit Star-Tenören wie Domingo oder José Cura besetzt.
Schönes Niveau aber kein Startenor
Sie zählen nicht zu den Startenören. Bitte?
Ich habe ein schönes Niveau erreicht, aber ein Star-Tenor muss etwas Besonderes haben. Ganz spitze Töne oder sehr schön aussehen, Schmelz in der Stimme. Die meisten Star-Tenöre sind mehr im romantisch italienischen Fach unterwegs.
Wie verbringen Sie eigentlich den Bayreuther Sommer?
Ich bin die meiste Zeit hier und war nur kurz in Wien. Wenn nur ein paar Tage zwischen den Vorstellungen sind, bringt mir das nichts. Ich bleibe hier, das ist besser für den Körper und für die Stimme. Und es ist sehr schön hier. Ich habe seit Jahren eine hübsche Wohnung gemietet, es kommen auch mal Freunde, Familie. Man kann Ausflüge machen nach Bamberg oder Nürnberg. Man kann hier viel unternehmen.
Lieber fränkisches Bier, fränkischer Wein oder Wasser für Sie?
Ich würde sagen, Wein lieber als Bier. Obwohl, ich habe in Bamberg dieses Rauchbier entdeckt. Es riecht erst einmal komisch, aber der Geschmack ist fantastisch, es ist sehr weich und sehr voll und ich liebe es.
Interview mit Petra Lang, der Isolde der Bayreuther Festspiele.
Der Bericht von der Premiere von Tristan und Isolde 2016