Stefan Vinke, Andreas Hörl und Patric Seibert in Siegfried 2015. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Siegfried lässt’s krachen

Stefan Vinke, Andreas Hörl und Patric Seibert in Siegfried 2015. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Man ist ja vorgewarnt: Wenn Siegfried zur Kalaschnikow greift und auf Fafner zielt, kracht’s gewaltig im Bayreuther Festspielhaus. Und weil das in den Ohren wehtut, ist man gut beraten, sie sich in diesem Moment einfach zuzuhalten.

Es soll der einzige Angriff aufs Gehör an diesem Abend sein. Ansonsten hört man nur allzugerne hin bei diesem „Siegfried“ der Bayreuther Festspiele. In diesem Jahr auch bei Siegfried, Stefan Vinke, der selbstbewusst durch diese Partie rast, in der ihm die Regie einiges abverlangt. Zum Beispiel muss er den Mount Rushmore erklimmen und hoch oben über den in Holz gehauenen Silhouetten von Marx, Stalin, Lenin und Mao das Duell mit dem Wanderer austragen. Nicht nur, dass das sicher anstrengend ist, die zehn Meter über Leitern zu klettern, die Akustik des Festspielhauses ist hörbar für diesen Sängerstandort nicht geschaffen.

Siegfried und Wanderer auf dem Gipfel des sozialistischen Mount Rushmore. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Beeindruckende und ausgezeichnete Kulisse von Aleksandar Denic. Der Gipfel des sozialistischen Mount Rushmore ist allerdings suboptimaler Sängerstandort. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Wird da gelacht?

Der „Ring“ nimmt in Siegfried allerdings wieder Fahrt auf. Also Fahrt im Sinne von Frank Castorf, der mit allen Mitteln vom Schwelgen zu Wagners Musik ablenken will. Zur Not mit vier Krokodilen, die sich immer frecher in die Szene drängen. Ist da Lachen im Festspielhaus zu hören? …

Wer sich dem munteren Treiben auf dem DDR-Alexanderplatz ab und an entziehen kann, ist allerdings wirklich begeistert vom Festspielorchester, das, man möchte fast meinen, sich aufbäumt, gegen den Trubel, der sich da zwischen dem sozialisitischen Mount Rushmore und Alexanderplatz abspielt.

Nadine Weissmann und Wolfgang Koch in Siegfried 2015. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Emotionaler Funkenflug: Nadine Weissmann als Erda und Wolfgang Koch als abgewrackter Wanderer. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Man kann diesem Ring seine positiven Seiten abgewinnen, bei all seinem Trash, mit Dreibeinliegen und fliegenden Möbeln, mit Sinnlosigkeiten und Respektlosigkeit, die die Sänger jedoch antreibt, auch tolle Schauspieler zu sein. Siegfried und der Waldvogel zum Beispiel. Ein Erlebnis gar ist des Wanderers Treffen mit Erda auf dem hässlichen Alexanderplatz. Er abgewrackter Zuhältertyp, sie eine Art gut erhaltene Puffmutter. Wolfgang Koch und Nadine Weissmann liefern sich hier einen rhetorischer Machtkampf, bei dem sich nur die Frage stellt, wie die Frau das im Pelzmantel alles durchsteht, nicht nur sängerisch anspruchsvoll, sondern auch optisch, in der Nahaufnahme deutlich zu sehen. Hier machen zwei nicht nur ihren Job, hier fliegen die Funken. Das ist kein biederes Angesinge, das ist pure Emotion, die Spaß macht.

Aufregende Momente

Doch, der Abend hat schöne Momente: Das Aufeinandertreffen von Wotan und Alberich, Albert Dohmen, der ja in der Dorst-Inszenierung den Wotan gesungen hat, und seinen „Nachfolger“ im Sangesduell zu Höchstleistungen anspornt. Da ist ein herrlich keifender Mime von Andreas Conrad, ein ausgezeichneter Fafner von Andreas Hörl. Allen Respekt bekommt auch Mirella Hagen, die mit der über zehn Kilo schweren Waldvogel-Ausrüstung auf dem Rücken eine gute  Figur macht.

Wolfgang Koch und Albert Dohmen, Siegfried 2015. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Interessantes Aufeinandertreffen: Wanderer Wolfgang Koch und Alberich Albert Dohmen. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Die  Mount-Rushmore-Kulisse eignet sich bei „Siegfried“ übrigens nicht nur dafür, optisch zu beeindrucken oder dafür, dass irgendwann irgendwer irgendjemanden dort unmotiviert auf die Nase haut oder schrubbt, sondern auch für Wandlungen: Einmal bekommen die Gesichter die Züge von Siegfried und Wanderer per Film aufgelegt; bei der Erweckungszene erscheinen die Konturen weiß wie Zuckerguss: Siegfried und Brünnhilde als Hänsel und Gretel im Lebkuchenland.

Catherine Foster und Stefan Vinke in Siegfried. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Catherine Foster und Stefan Vinke als Brünnhilde und Siegfried wie Hänsel und Gretel im Lebkuchenland. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Krokodil frisst Waldvogel

Nachdem der Titelheld also Brünnhilde irgendwo zwischen Plastikplanen entdeckt und erweckt hat — glänzend: Catherine Foster — geht’s auf dem Alex weiter, wo das lange Liebesduett des Paares durch Familie Krokodil, mittlerweile mit zwei Kleinen gesegnet, erheblich gestört wird. Von wegen „leuchtende Liebe, lachender Tod!“, das kann man schon singen, bevor der Held noch schnell davoneilt, um Liebschaft „Waldvogel“ aus dem Krokodilsschlund zu befreien.

Schlussszene von Siegfried auf dem Alexanderplatz. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Schmachten verboten: Catherine Foster als Brünnhilde und Stefan Vinke als Siegfried werden beim Duett vom Krokodil gestört. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

 

Als sich der Vorhang senkt, entlädt sich ein empörtes Buhgewitter im heißen Festspielhaus. So lange zumindest, bis die Mitwirkenden vor den Vorhang treten. Dann ist’s wie jeden Ring-Abend: Jubel für die Sänginnen und Sänger, Steigerung ins Frenetische bei Kirill Petrenko.

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