Schlussszene von "Walküre": Wolfgang Koch als Wotan. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Walküre: Von 100 auf Null

Anja Kampe und Johan Botha in Walküre bei den Bayreuther Festspielen 2015. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Wenn ein kunstinteressierter Truthahn das optisch Anregendste ist, bedeutet das, dass auf der Bühne wohl nicht wirklich viel los ist. Frank Castorf drosselt das Regietempo seines „Ring des Nibelungen“ bei den Bayreuther Festspielen von 100 im „Rheingold“ auf nahezu Null in der „Walküre“. Diesmal verlegt er das Geschehen nach Baku, wo er die unmenschlichen Lebensbedingungen für die Arbeiter bei der Ölförderung  anprangert, ein bisschen Revolution macht und Wotan die Prawda lesen lässt. Wer nicht russisch kann, dem erschließen sich die Schriften in Film und Kulisse nicht.

Jubel nach jedem Akt

Egal. Wir haben schließlich den Truthahn. Diesmal ist es nur ein Federvieh, das im Einsatz ist. Es waren auch schon mal zwei. So allein gelassen, kann sich der Puter aufs Geschehen konzentrieren: Er beobachtet Herrn Hunding sehr neugierig, wie er mit seinem Speer, der vom Kopf eines Feindes geziert wird, die Szene betritt, wo sich Sieglinde und Siegmund hinreißend gesanglich angeschmachtet haben. Was der Puter in seinem Käfig dahinter wohlwollend beobachtet und sich schließlich bequem niederlässt. Optisch tut sich wenig, sehr wenig, was einem die Hitze noch bewusster werden lässt.

Trotzdem: „Walküre II“ wird bejubelt. Der Freudentaumel bricht gleich nach dem ersten Akt los. Der Saal tobt, Anja Kampe, wieder ausgezeichnete Sieglinde, fällt Siegmund, Johan Botha, freudig um den Hals. Wer jetzt nicht Bescheid wüsste, könnte meinen, die Geschichte hätte schon ein Ende, zumal sich das Liebespaar ja gefunden hat und eben eine Art Schlussbegeisterung herrscht. So läuft das auch nach dem zweiten Akt.

Bis dahin plätschert jedoch das Geschehen eher dahin. Viel piano im Orchester. Oben bewundert man Claudia Mahnke in ihrem sicher irre heißen orientalischen Königinnen-Gewand samt Kopfgeschmeide und ihre Kunst, wie sie ihre Wut und ihren Willen hinausschleudert gen Göttervater-Gemahl. Und dass in Bayreuth wirklich vieles möglich ist, wird einem wieder einmal bewusst, wenn schier sinn- und zwecklos ein rostiges Ölfördermaschinen-Ross auf Gleisen heranrollt und zu pumpen beginnt, während Wotan Wolfgang Koch vor sich hin verzweifelt angesichts der bevorstehenden Entscheidungen über seine Kinder.

Wundervolle Walküren

Walküren-Ritt im Ring des Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen 2015. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Aufregender Walkürenritt. Vorne Brünnhilde (Catherine Foster) bringt Sieglinde (Anja Kampe) in Sicherheit. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Die Langeweile für die Augen ändert sich erst im dritten Akt und wird getoppt von einem wundervollen Walküren-Ritt. Die „Gassenhauer“ kommt nicht wie so oft als Wagner-Geschrei daher, sondern als reiner Frauenchor, fein aufeinander abgestimmt und voller Elan. Eine Freude. Die hat auch Catherine Foster, die als Brünnhilde glänzt. Und sie hat sichtbaren Spaß am Schauspiel, wie wir auf Großleinwand feststellen können. Denn auch in diesem tristen Bretterverschlag ist die Kamera meist nah mit dabei. So sehen wir, dass Johan Botha zwar großartig singen, aber nicht wirklich kameratauglich das Leben aushauchen kann. Ganz im Gegensatz zu Kwangchul Youn, den sonoren Hunding.

Es ist nicht alles bieder bei „Walküre“: Der Vater-Tochter-Abschied gerät verwirrend, weil Wotan Brünnhilde leidenschaftlich küsst. Und dann legt sie sich einfach auf ein Bett in der Arbeiterhütte, ihr „Feuerfelsen“ lodert weit entfernt draußen neben Wotan.

Der neue „Lohengrin“?

Als sich der Vorhang schließt, bricht der dritte, der größte Begeisterungssturm des Abends los — am allermeisten, als sich Dirigent Kirill Petrenko „bescheiden“ hinter dem Vorhang hervorwagt. Der Ring hat das Zeug, der neue „Lohengrin“ zu werden. Erst ausgebuht, plötzlich geliebt. Frank Castorf sollte unruhig werden.


  • Vom Federvieh auf der Bühne erzählt ein Podcast der Bayreuther Festspiele. Hier geht’s zum Film.
  • Über „Rheingold II“ berichteten wir, hier
  • Und mehr über die Regie ist hier zu lesen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.