Mit der Götterdämmerung wird heute nicht nur der „Ring des Nibelungen“ in der dritten Saison vollendet. Es endet damit auch die Premierenwoche. Regisseur Frank Castorf zeigte sich auf der Bühne des Festspielhauses und nahm den verstärkten Applaus ebenso entgegen wie die vielen Buhs. Auch die gibt’s noch. Wobei sich freilich die Frage stellt, wie man über diesen Bayreuther Ring im dritten Jahr noch überrascht, gar empört, sein kann.
Im Festspielhaus herrscht unterdessen Zufriedenheit mit dem Verlauf der ersten sieben Vorstellungen (Tristan, Lohengrin, Rheingold, Walküre, Siegfried, Der fliegende Holländer und Götterdämmerung), „wobei natürlich in einem Theaterbetrieb Zufriedenheit nie das richtige Wort ist“, scherzt Pressesprecher Peter Emmerich am Ende dieser ersten Woche. Aber: Keine Pannen, keine Skandale, „und vor allem keine krankheitsbedingten Ausfälle“, wie sich Emmerich nach der ersten Festspielwoche über die Gesundheit aller Sängerinnen und Sänger freut, geben Anlass zum Aufatmen. Es gab natürlich auch keine Ausfälle aus anderen Gründen.
Jetzt vier Krokodile
Ab Sonntag geht’s mit „Tristan und Isolde“ in den zweiten Zyklus der Bayreuther Festspiele. Ein erster Rückblick auf eine also skandalbefreite Festspielwoche, in der nicht einmal mehr Frank Castorfs Krokodile im „Ring des Nibelungen“ aufregen. Derer sind es mittlerweile vier, weil nach dem Nachwuchs-Reptil 2014 nun Baby Nummer zwei da ist und über die Bühne schrabbt.
Staatsempfang ohne Seehofer
Es war kein Fahrrad, das umfiel, sondern ein Stuhl, der zusammenbrach und die Schlagzeilen des Eröffnungstages der Bayreuther Festspiele beherrschte. Das Malheur ereilte ausgerechnet Kanzlerin Angela Merkel in der zweiten Pause im Festspielrestaurant. Und dann erlebte auch noch Ministerpräsident Horst Seehofer einen gesundheitlichen Einbruch. Er ließ sich nach der Premiere nicht ins Neue Schloss zum Staatsempfang, sondern heimlich ins Bayreuther Krankenhaus bringen.
Tristan-Team muss noch arbeiten
Beim Staatsempfang wurde allerhand Prominenz gesichtet, auch die Kanzlerin, die sich über „Tristan und Isolde“ in der Regie von Katharina Wagner wohlwollend aber knapp in die Fernsehkameras äußerte, sich nach einer guten Stunde auch wieder verabschiedete. Wegen der Abwesenheit des Ministerpräsidenten musste Staatskanzleichef Marcel Huber (die Staatskanzlei richtet den traditionellen Empfang, zu dem auch stets viele Ehrenamtliche geladen werden, aus) die Gästebegrüßung übernehmen. Zwar drängten sich jede Menge Leute im neuen Schluss und den angebauten Zelten. Es fehlten allerdings alle Tristan-Beteiligten wie Festspielleiterin Katharina Wagner, Musikdirektor und Dirigent Christian Thielemann, Stephen Gould, der Tristan, Evelyn Herlitzius, die Isolde, Brangäne Christa Mayer, Kurwenal Iain Paterson, Georg Zeppenfeld, der als Marke gefeiert worden war, die Musiker des Festspielorchesters. Grund: Nach einer kurzen Pause und Freude über die geglückte Premiere hieß es für alle nacharbeiten und für weitere Filmaufnahmen zurück auf die Bühne bzw. in den Graben des Bayreuther Festspielhauses.
Durch den kurzfristigen Wechsel der Isolde war die Produktionsplanung durcheinander geraten. Eigentlich sollte die Generalprobe auch der letzte Test für die Kinoproduktion am 7. August sein, wo „Tristan und Isolde“ von den Bayreuther Festspielen in über 100 Kinos weltweit übertragen wird. Bei der Premiere, so der ursprüngliche Plan, sollten noch zusätzliche Aufnahmen gemacht werden, um für den Notfall bei der Kinoübertragung gerüstet zu sein. Doch bei der Generalprobe konnte die neue Isolde, Evelyn Herlitzius, nach der Elektra-Premiere am Vortag in München nun freilich nicht die anstrengende Partie der Isolde singen, weshalb von der Bühnenseite Linda Watson diesen Part übernahm (festspieleblog.de berichtete darüber, hier der Link). So fiel die Generalprobe fürs Kamera- und Produktionsteam ins Wasser und fand erst bei der Premiere statt. Anschließend war eben Nachsitzen für alle angesagt.
Sekundenauftritt der Regisseurin
Festspielleiterin und Regisseurin Katharina Wagner verblüffte bei der Premiere von „Tristan und Isolde“ am Samstag mit ihrem Sekunden-Auftritt am Ende. Nur kurz zeigte sie sich mit ihrem Team — Dramaturg Daniel Weber, den Bühnenbildnern Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert und Kostümverantwortlichem Thomas Kaiser — auf dem hinteren Teil der Bühne, kaum von den Statisten zu unterscheiden. Dabei gab es keinerlei Buhs für Regie und Bühne — im Gegenteil! Mal sehen, ob sie wie früher bei den „Meistersingern“ nach jeder Vorstellung zum Applaus kommt.
Im Orchestergraben feierten sich, nachdem die letzten Takte im Festspielhaus verklungen waren, euphorisch Christian Thielemann und die Musiker des tollen Festspielorchesters. Die Streicher klopften mit ihren Geigenbogen begeistert auf ihre Notenständer. Gratulationen, Glückwünsche, manche fielen sich um den Hals vor Freude über die schöne Premiere. Warum es dann Buhs für Thielemann gab, ist ein Rätsel. Selbst die Kritikerrunde, die kurz nach Schluss auf Bayern 4 Klassik live aus Bayreuth ihr erstes Urteil fällte, war begeistert. Die Zeitungs-Feuilletons dieser Woche lobten die Leistung Thielemanns ebenfalls in höchsten Tönen (z. B. „ein großes Stück weiter Richtung Vollendung“, Reinhard Brembeck in der Süddeutschen Zeitung; „luzide, warm und ungewöhnlich transparent“, Christian Wildhagen, Neue Zürcher Zeitung). Es waren tatsächlich nur sehr wenige Buh-Männer am Premierenabend, und ihr Unmut galt wohl eher dem „Musikdirektor“ als dem Dirigenten.
Auf den Teppich lotsen
Noch einmal zurück zum Anfang. Traditionell versammeln sich zur Auffahrt tausende von Besuchern am Weg zum Festspielhaus, um einen Blick auf die Promis zu erhaschen. Das gelingt jedoch kaum, denn die Scheiben der Limousinen sind meist verdunkelt, dann geht es bis zum roten Teppich und die Sicht darauf ist versperrt durch die Film- und Kameraleute, die sich schon am Morgen ihre Plätze vor dem Kaiser-Portal gesichert haben.
Auf den roten Teppich vor dem Festspielhaus, auf dem wie immer Bayreuths Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe allein mit ihrem Ehemann die Gäste begrüßte, musste Schauspieler Harald Krassnitzer („Tatort“) gelotst werden. Er war, wie zu hören ist, zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer, wie ganz normale Festspielbesucher auch, seitlich ins Festspielhaus gegangen und wurde von dort nochmal auf den Teppich geleitet, wo nicht nur die Schaulustigen, sondern auch die vielen Fotografen warteten.
Strenge Kritik
Wie wird die Regie von Katharina Wagner? Nun, nicht alle Kritiker konnte sie mit ihrer düsteren Inszenierung von „Tristan und Isolde“ begeistern. Andererseits sind deren Erwartungen auch besonders hoch. Zitat eines erfahrenen Kritikers: „Ich habe schon 40 Tristane gesehen, da muss sie sich anstrengen…“
Beim Lesen der Kritiken am Montag wundert man sich über manches Urteil, zum Beispiel, dass Stephen Gould eben nicht einmal im dritten, dem so herausfordernden, Akt seine Stimme forcieren muss. Und wenn er forcieren müsste? … Die Leistung von Georg Zeppenfeld als Marke wird beifällig hingenommen, er sei ohnehin eine „gemähte Wiesn“, äußerte sich einer der BR-Kritikerrunde. Auch erstaunlich.
Nichts zu meckern gab es am nächsten, dem zweiten, Tag im Bayreuther Festspielhaus. Es war die letzte Premiere von „Lohengrin“. Das Publikum liebt dieses Stück, die Ratten, den Chor — und vor allem Klaus Florian Vogt, den Lohnengrin. Standing Ovations.
Zu viel Süßes
Geteilt sind die Meinungen nach wie vor über den „Ring des Nibelungen“ in der Regie von Frank Castorf. Tatsächlich: Beim ersten „Rheingold“ war man begeistert vom Schwung auf der Bühne, dem Filmspektakel, der ganzen Show. Beim dritten Mal verlässt man das Festspielhaus mit dem Gefühl man habe zu viel Süßes verschlungen. Man ist einfach satt von dem großen Radau auf der Bühne.
Die Sänger erfreuen sich allerdings großen Publikumszuspruchs: Sowohl der neue und erfahrene Albert Dohmen als Alberich als auch der neue Siegfried, Stephan Vinke. Davon demnächst mehr.
Nachdem nun die erste Woche vorbei ist, „herrscht im Festspielhaus eine spürbar gute, fleißige und sachbezogene Stimmung“, sagt Pressesprecher Peter Emmerich vor der letzten Premiere, der „Götterdämmerung“. Die Teams sind eingearbeitet, alles läuft reibungslos und abgestimmt.
Castorf noch in Bayreuth
Neben den Mitwirkenden ist am Ende des vierten Ring-Abends normalerweise auch das Regieteam zu sehen. Ist Frank Castorf heute nach der „Götterdämmerung“ da? Die Frage stellt sich nach der Lektüre des „Nordbayerischen Kurier“, der vom plötzlichen Tod von Bert Neumann berichtet. Neumann war viele Jahre lang Bühnenbildner von Castorf, der nach der erschütternden Nachricht sofort nach Berlin zurückgereist sei, hieß es. festspieleblog.de hat erfahren, Frank Castorf ist in Bayreuth und war am Abend planmäßig auf der Bühne, was wir am Nachmittag auch schon ankündigten.
Die Bayreuther Festspiele bestehen ja nicht nur aus der Premierenwoche. Die Kanzlerin ist längst wieder abgereist (sah nach „Tristan“ noch „Lohengrin“), die Kritiker packen auch die Koffer. Wie laufen eigentlich die zweiten und weiteren Aufführungen? festspieleblog.de bleibt bis zum Ende dabei.