„Wasser kocht bei 100 Grad und ist nass“ – so einfach ist das im Bayreuther Orchestergraben. Allerdings nur dann, wenn man Christian Thielemann heißt, die meiste Erfahrung aller aktuellen Dirigenten in eben diesen Niederungen hat – und nun entspannt gegenüber von Jürgen Liebing in der Bayreuther Stadthalle sitzt und aus dem Innenleben jenes legendären Ortes plaudert.

Thielemann hat sich etwas rar gemacht in Bayreuth, im öffentlichen Bayreuth: Bislang gab es keine Interviews von ihm, er dirigiert einzig den „Holländer“, ein relativer Mini-Wagner zwar, doch auch in dieser Partitur stecken Untiefen, „wir haben unglaublich lange daran gearbeitet“, erzählt der Meister-Dirigent dem Publikum. Und das ist in die Stadthalle geströmt, obwohl an Festspieltagen wie am Mittwoch relativ wenig Zeit am Nachmittag bleibt. Doch wenn ein Thielemann spricht, ist die Hütte voll, 400 waren es sicher, die sich in den gut aufgewärmten Balkonsaal der Stadthalle drängten, wo die Bayreuther Festspiele wieder ihre „Zäsuren“ veranstalteten. Das sind Vorträge mit interessanter Besetzung.

Erst „Lustige Witwe“, dann „Lohengrin“

Letzte Woche war Tannhäuser-Dirigent Axel Kober da, diesmal eben Christian Thielemann, der, auch wenn er „nur“ sechs Vorstellungen in der Bayreuther-Saison leitet, allgegenwärtig ist. Schließlich ist er nicht nur Dirigent auf dem Hügel, er gehört als musikalischer Berater dem inneren Zirkel der Festspiele an. Kaum ein Tag, an dem er nicht im Festspielhaus gesichtet wird: Zum Gespräch mit Katharina Wagner unter deren Regie er nächstes Jahr erstmals seit 12 Jahren wieder am Pult bei „Tristan und Isolde“ stehen wird; zu Musiker-Gesprächen oder um beim Vorsingen die Mitwirkenden der nächsten Jahre mit auszuwählen. Insofern kennt er Interna und lüftet ein Geheimnis: die Festspiele arbeiten an der Rückkehr der beliebten Mezzosopranistin Waldtraud Meier. Thielemann schätzt sie „über die Maßen“. In welche Rolle die gebürtige Würzburgerin zurückkehren könnte? Ortrud in Lohengrin 2018? Oder Kundry 2016? Thielemann lässt sich nicht darüber aus.

Der Kapellmeister, gebürtiger Berliner, gibt sich diesmal abgeklärt, lässt kaum „Berliner Schnauze“  aufblitzen. Aber wenn, dann wird’s witzig. Wenn er zum Beispiel jungen Leuten den guten Tipp gibt – er bekam ihn selbst einst von Karajan und war erstaunt – mit Operetten anzufangen. Thielemann: „Da muss man durch“. Wer „Lustige Witwe“ und „Land des Lächelns“ kennt, habe später kein Problem mit „Lohengrin“. Denn: „Da lernt man die Flexibilität“.

„Lasst euch nicht unter Druck setzen!“

Das gelte nicht nur für Dirigenten, sondern auch für die Sänger („Ein extrem grausamer Beruf“). Der Druck sei enorm, im Gegensatz zu früher, als man zum Gastspiel nach New York gemütlich mit dem Luxusdampfer schipperte und dabei die Stimme schonen durfte, jettet man heute schnell nach Tokio weiter nach  San Franzisko und so weiter. Kein Wunder, wenn eine gute Stimme schnell ruiniert ist – und das auch bleibt. Da hat Thielemann wohl Mitleid, andererseits sagt er auch, dass „Künstler ihre Verträge selber unterschreiben und manchmal auch schlecht beraten sind“. Darum: „Lasst euch nicht unter Druck setzen!“, mahnt er, der selbst „die Ochsentour“ durch die kleineren Häuser gegangen ist. Heute arbeitet er mit den Wiener Philharmonikern ebenso  wie freilich dem Festspielorchester Bayreuth, „und meinen Dresdnern“, schwärmt er, als Moderator Jürgen Liebing zunächst nur die ersten beiden Größen nennt. Unüberhörbar stolz ist Thielemann auf seine Staatskapelle, die er seit 2012 leitet.

Dauerdirigent – oder Kapellmeister, wie er stets betont –  ist er natürlich in Bayreuth. Erst sprang er bei „Meistersinger“ ein, dann „setzte ich alles auf eine Karte und sagte Wolfgang Wagner, dass eine Neuproduktion auch schön wäre“, wie er erzählt. Wagner bot spontan den Tannhäuser 2002 an, „das war wohl ein erfolgreiches Gespräch“, schmunzelt Thielemann noch heute an die Anfänge.

Bei den Zäsuren am 6. August: Christian Thielemann

„Luft nach oben“ auch für sich selbst

Mittlerweile ist er der erfahrenste Mann am Pult in Bayreuth. Nächstes Jahr „Tristan“ (Regie: Katharina Wagner), 2018 Lohengrin. Dann gehört er zu den erlesenen Dirigenten, die alle zehn Wagner-Werke, die auf die Bühne des Festspielhauses dürfen, geleitet haben. Ein Ende ist nicht in Sicht. Schon wird spekuliert, ob er den Ring 2020 dirigiert. Bis dahin sind noch sechs Jahre Zeit. Für einen heute 55-Jährigen eigentlich nicht das Problem. Dennoch mag er nicht in allzu ferne Zukunft schweifen, „weiß man denn, ob die Gesundheit mitspielt?“

Jedenfalls sieht Thielemann mit der Beendigung des „Kanon“ seinen Job hier nicht als erledigt an: „Man entwickelt sich doch immer weiter“,  relativiert er sich und sein Zitat, das seit vorvergangenem Sonntag für Furore sorgt: Luft nach oben sei bei der sängerischen Qualität in Bayreuth, wurde Thielemann nach der Versammlung der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“ zitiert: „Es ist bei uns allen immer Luft nach oben“, erklärt er nun Jürgen Liebing, der hier noch einmal angesetzt hatte. Zur Erheiterung Thielemanns: „Ich wusste, dass Sie das fragen“, holt er aus und betont, dass er mit diesem „Luft nach oben“ den Entwicklungsprozess insgesamt gemeint habe. Sogar den eigenen: „Man muss auch am eigenen Standard arbeiten, muss sich immer in Frage stellen, darf sich nie zufrieden zurücklehnen.“

Bei aller Freundschaft zur Weiterentwicklung. Die hat Grenzen: „Man muss ja auch nicht alles vom Sockel stoßen“, pocht Christian Thielemann auf Tradition. Den „Rienzi“, ja, den liebt er sehr („es macht richtig Angst, wie talentiert Wagner da schon war“). Aber nicht im Festspielhaus! Denn hier werden nur zehn Wagner-Werke aufgeführt. „Rienzi“ gehört nicht zum Kanon. Und so solle es auch bleiben.  Punkt: „Ich finde es richtig, dass man auch einmal etwas lässt, wie es ist.“

Meistersinger ohne „Hysterie“ des Tristan

Er selbst hat sich Zeit gelassen, sich wieder an den „Tristan“ heranzuwagen. Vor zwölf Jahren gab er das Werk an der Wiener Staatsoper das letzte Mal. Begründet wurde das damals mit der hohen Emotionalität, die der „Tristan“ abverlangt. Die lange Zeit findet Thielemann rückblickend betrachtet ziemlich sinnvoll. Nur keine Routine, kein „eigenes Abziehbild“ schaffen. Aus diesem Grund geht er auch  stets mit unbeschrifteter Partitur zur Aufführung: Notizen lenken ab und verhindern jegliche Spontaneität. Und Raum für Überraschungen will er sich schon lassen.

Thielemanns aktueller Lieblings-Wagner ist übrigens „Die Meistersinger von Nürnberg“. Wegen der „Verquickung zwischen Leichtem und Tragischem“. Den Sachs findet er „grundsympathisch, tolerant aber nicht bis zur Selbstaufgabe“, und: „Der hat Humor“. Die „Meistersinger“ hätten schon vieles von „Tristan“ ohne aber diesen „Hang zur Hysterie, bei der die Gefahr der Überhitzung groß ist“. Da tue das „Abschwingen“ in den Meistersingern richtig gut. Die Emotionen aus „Tristan“ müssten hingegen „eigentlich in der Apotheke dosiert abgegeben werden“, findet Thielemann und seufzt ergeben:  „Aber was will man machen?“.


Ein Podcast über die „Zäsuren“ kann hier angesehen werden: http://www.bf-medien.de/2014/08/worte-statt-musik-mit-christian-thielemann/

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