Hochachtungsvolle Fanpost
Von Regina Ehm-Klier
Christian Thielemann (53) ist der Wagner-Dirigent schlechthin, falsch, Kapellmeister. „Der ‚Kapellmeister‘ darf als ‚Dirigent‘ scheitern, nicht aber der ‚Dirigent‘ als ‚Kapellmeister‘. Im ersten Fall fehlt eine Dimension: der Drang zur persönlichen Gestaltung, die originellen Ideen. Im zweiten Fall aber fehlt die Basis, fehlen Stückkenntnis, Theatererfahrung und eine gewisse, nicht zuletzt die eigenen Nerven schonende Routine in der Schlagtechnik“, definiert Thielemann seinen Beruf in seinem ersten Buch, das er im Vorjahr auch in Bayreuth präsentierte.
„Mein Leben mit Wagner“ heißt es. Ein Titel, ebenso irreführend wie das Cover des Buchs, das den Maestro verklärt bei der Arbeit zeigt. Vielleicht wurde es aufgenommen, als er das Trauerkonzert für Wolfgang Wagner 2010 im Bayreuther Festspielhaus leitete. Es wäre eine Erklärung, denn dem Bayreuther Patriarchen hat Thielemann das Buch, das in Zusammenarbeit mit der Zeit-Redakteurin Christine Lemke-Matwey entstand, „in größter Bewunderung und Dankbarkeit“ gewidmet. Widmung und Foto wirken bedrohlich pathetisch. Doch der Schein trügt. Auf den folgenden gut 300 Seiten wird nicht dick aufgetragen, sondern höchst lesenswert und unterhaltsam dazu erzählt. Über Wagner, über sein Werk, die Geschichte, Ursprünge, Besetzungen, Hintergründe. Über Thielemanns Sicht auf Wagner, aber nicht nur.
Wagner hat ihn schon als Kind gepackt. Das mag verwundern. Doch Christian Thielemann ist ein Wunderkind, was er so über sich natürlich nicht über sich sagt. Der Leser erfährt vom einjährigen Baby, das Melodien nachzusingen vermag, vom Kind, das lieber Bach am Klavier übt als draußen zu spielen, und das nicht verstanden wird, dass es als „Fünfjähriger mit roten Backen auf der Stuhlkante sitzen konnte, während vorne Beethoven gespielt wurde“. Das war mit den musikalischen Eltern bei den Abo-Konzerten der Berliner Philharmoniker. Dem Kind wurde Wagners Tristan aus pädagogischer Sicht in zu jungen Jahren verboten – eine Aufforderung, sich natürlich erst recht mit dem Werk zu befassen. Und Entsetzen löste gar das heimliche Orgelspiel aus. Solche Probleme hätten Eltern doch gern mit ihren Kindern. Und aus der Perspektive des Superstars von heute lässt sich freilich kokettierend auf diese Jugendzeit zurückblicken. Ob es ihn, den Buben damals, verletzt hat, Außenseiter zu sein? Das gibt ein Christian Thielemann nicht preis. Er erlaubt zwar Einblicke in sein Seelenleben. Aber nur, wenn es um Musik, um Wagner geht und was beides bei ihm auslöst. Die physische und emotionale Ausgelaugtheit durch den Tristan. Thielemann hat sein erklärtes Lieblingswerk seit 2002 nicht mehr vollständig aufgeführt. Und das wird so bleiben bis 2015, wo er damit in Bayreuth debüttieren wird. Regie führt Katharina Wagner.
Dafür unterlässt er es nicht, ironisch selbstkritisch zurückzuschauen, sich als Grünschnabel mit „losem Mundwerk“ im Musikbetrieb zu bezeichnen, der die Unsicherheit des Anfängers mit Arroganz überspielt. Der aber immerhin schon als Jugendlicher Kontakt zu Herbert von Karajan bekommt. Wie? Keine Antwort. Wer wirklich Privates erwartet, hat Pech.
Red- bzw. schreibselig wird er bei Richard Wagner. Es ist die große Liebe, Bayreuth die Krönung. Eine Formel, die Christian Thielemann in diesem Buch vorexerziert. Und dabei nicht den Fehler begeht, sich als prahlender Wagnerianer – die Spezies ist vor allem in Bayreuth anzutreffen – aufzublähen. Er erklärt das Universum Bayreuth, in dem entgegen aller Medienschelte ein familiärer Zusammenhalt herrscht. Er schreibt von allen Wagner-Dirigenten, von Sängern von Aufführungspraxis. Seiner eigenen und die anderer, ohne diese aber zu be- oder gar zu verurteilen. Kritik übt er allenfalls grundsätzlich, zum Beispiel an der (Über-)Bewertung der Regie.
Auch die Vergangenheit auf dem Grünen Hügel, die nicht immer ruhmreiche, ist Thema. Thielemann erzählt von Wagner-Freund zu Wagner-Freund, wie das so ist mit dem Genie – nicht mit sich, mit Wagner, natürlich. Bestätigt wird dieser Eindruck im gleichzeitig erschienen Hörbuch, spannend gelesen von Schauspieler Ulrich Tukur („Das Leben der anderen“).
Bisweilen blitzt die Berliner Schnoddrigkeit des Christian Thielemann auf. Wenn er zum Beispiel von Wolfgang Wagners erstem – lang ersehnten – Anruf („Da bin ich mit meinen Nachos und Taccos gepflegt vom Stuhl gefallen“), oder manchem Anfall von Lampenfieber („Tschüss, ich kann das nicht, ich bin leider gerade gestorben“), berichtet.
Insgesamt ist „Mein Leben mit Wagner“ eine höchst respektvolle Begegnung Thielemanns mit dem „Meister“. Aber ohne Pathos, mehr als Fanpost.
„Mein Leben mit Wagner“,
2., durchgesehene Auflage 2012. 320 S.: mit 27 Abbildungen.
C.H.BECK ISBN 978-3-406-63446-8; bei „Der Audio Verlag“ auch als Hörbuch, gelesen von Ulrich Tukur.
Bei der Deutschen Grammphon ist von Christian Thielemann die Doppel-CD „Mein Leben mit Wagner“ erschienen.
Bestellt werden kann es in der Markgrafen-Buchhandlung in Bayreuth: http://markgrafen.de/component/option,com_wrapper/Itemid,191/