Tannhäuser mit Publikum: Sebastian Baumgarten holt Zuschauer in der Bayreuther Inszenierung auf die Bühne. Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Am Fuß der Tannhäuser-Biogasanlage

Es gibt gute, sehr gute und exklusive Plätze im Bayreuther Festspielhaus mit offiziell 1974  Sitzen in Parkett über die Logen bis hinauf zur Galerie (260 bis 8 Euro für einen Partiturplatz, also nur Musik ohne Bühnensicht).

30 Karten mehr gibt es für  jede Tannhäuser-Aufführung.  Um die Grenze zwischen Publikum und Bühnengeschehen zu überwinden, hat Regisseur Sebastian Baumgarten 30 Zuschauer auf der Bühne platziert. Die Karten gibt es nicht zu kaufen, sondern werden zum Großteil an TAFF-Mitglieder, einem Verein zur Unterstützung der Festspiele (www.taff-bayreuth.org), vergeben.

festspieleblog.de hatte im Vorjahr das Vergnügen, so einen Platz zu bekommen – was für ein Erlebnis, am  Fuße der berühmten Biogas-Anlage rechts auf der Bühne zu sitzen und das Geschehen so hautnah wie nie mitzuverfolgen. Eine großartige Idee des Regisseurs. Und wer jemals auf diesem Platz gesessen hat, wird auf Baumgartens Inszenierung nichts kommen lassen. Garantiert.

Klar, von der Inszenierung an sich bekommt man nur einen Teil mit, da die Stühle (Holz, genauso unbequem wie im Zuschauerraum)  am Rande der Bühne stehen. Dafür erlebt man hier Oper hautnah. Man sieht hinunter in den für die „normalen“ Zuschauer verdeckten Orchestergraben und auf die Musiker, die allesamt in lockerer Sommerkleidung der Hitze dort unten trotzen werden, die Sänger, Choristen, Statisten kommen an diesen Plätzen vorbei, und der Zuschauerraum, der einem doch so riesig vorkommt, ist plötzlich weit weg – und schrumpft im Vergleich zu Bühnenhöhe und -tiefe auf Wohnzimmergröße.

Wer so eine Karte hat, muss sich an strenge Regeln halten: Flache Schuhe, um auf dem engen, dunklen Weg zur Bühne nicht zu stolpern und wohl zum Schutz des Bühnenbodens; keine langen Kleider – nicht, dass sich ein Darsteller auf dem Weg hinaus verheddert; keine Taschen, die lässt man in einem abgesperrten Raum zurück, keine Fotoapparate, keine Handys (sollte eh selbstverständlich sein); bitte keine Bonbons auspapierln und während der Aufführung nicht mit dem Nachbarn ratschen. Auch das versteht sich eigentlich von selbst.

Es wäre auch zu verlockend, hier mit der Kamera draufzuhalten: Wie die Musiker nach und nach hereinkommen, der Dirigent – in diesem Jahr ist es wieder Axel Kober – auf seinem ebenfalls unbequemen Holzstuhl Platz nimmt, wie emsiges und fein abgestimmtes Tun hier seinen Lauf nimmt.

Wenn schon keine Kamera, so brennt sich dieses Erlebnis mithin ins Gedächtnis ein. Auf der Bühne rechts können wir auch Inspizient Udo Metzner – bei ihm laufen alle Fäden der Aufführung zusammen – nun  alle Mitwirkenden auf die Plätze bittet. Das Licht im Zuschauerraum ist schon aus. Metzner   murmelt in sein Mikro: „Ich schalte nun auf grün – und wünsche guten Flug“.

Fortan ist man Zeuge, wie bei einer Bayreuther Aufführung ein Rädchen ins andere greift, und sich perfekt zum Großen ganzen zusammenfügt. Zentrale Figur ist der Dirigent. Auf seinen Platz im versteckten Graben ist eine Kamera gerichtet, seine Gesten werden auf  X  Monitore auf und hinter die Bühne übertragen. Man sieht  die Chor-Dirigenten rechts und links versteckt platziert, wie sie mit Rotlicht-Taktstöcken die Anweisungen des Dirigenten völlig synchron weitergeben.

Aus dieser Perspektive betrachtet, ist der Tannhäuser von Regisseur Sebastian Baumgarten interessanter als sein Ruf. Auffällig ist die Detailverliebtheit, die man aus fünf Metern Entfernung ziemlich gut erkennt. Von der Position an der Biogasanlage ist freilich ersichtlich, dass der Statist mit Putzeimer hineingeht und den Pegel absenkt. Aber im entfernten Zuschauerraum kommen solche Kleinigkeiten nicht mehr an, weshalb es schon befremdlich wirkt, wenn Elisabeth dann in diesem blauen Behälter ihr offensichtlich irdisches Ende.

Und dann ist da noch dieses Ungetüm von Bühnenbild,  eine Installation aus der Werkstatt von Joep van Lieshout. Ein sperriges Ding, an dem freilich keine Veränderungen mehr möglich sind, weshalb die Regie sich in den vergangenen Jahren auch nie weiter verändern konnte. Dafür sind Statisten und Chor umso einsatzfreudiger, erklimmen mal die obersten Kunstwerks-Stockwerke; klettern auf den Alkoholator, putzen und reinigen, dass es eine wahre Freude ist. Und auch wir sind, so da sitzend, Teil dieser Inszenierung, weshalb wir es ebenso wenig gern haben, wenn „unser Tannhäuser“ so verrissen wird.

Denn  Regisseur Sebastian Baumgarten, der zu den Premieren immer da ist,  hat offensichtlich viel Herzblut investiert.  Mit leuchtenden Augen steht er  an diesem Abend am Bühnenrand, applaudiert dem Ensemble für die großartige Leistung, freut sich, strahlt. Und dann. Dann geht er selbst hinaus – in eine riesige Buh-Lawine. Wir als Teil des Ganzen fühlen mit… Wir mögen diesen Tannhäuser.

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