Waltraud Meier ist eine Persönlichkeit, die nicht nur als Sängerin auf den großen Bühnen brillierte, sondern die auch abseits davon viel zu sagen hat. Ein Glücksfall für vier junge Sängerinnen und Sänger, die am Beginn ihrer Karriere stehen und für den Meisterkurs Gesang der Bayreuther Festspiele 2024 ausgewählt wurden – unter der Leitung von Waltraud Meier. Sie sorgte dafür, dass das traditionelle Abschlusskonzert im Saal von Haus Wahnfried in Bayreuth aus dem gewohnten Rahmen fiel.
Den Inhalt verinnerlichen
Das Konzert war eine Art Fortsetzung des Workshops für Signe Heiberg (Sopran), Cecilia Lund Tomter (Mezzosopran), Daniel Schliewa (Tenor) und Johannes Schwarz (Bariton) – nur diesmal vor Publikum. Der intime Saal mit seinen rund 100 Plätzen war bis auf den letzten Platz gefüllt, und das Publikum wurde unmittelbar Teil der besonderen Atmosphäre, die Waltraud Meier zu schaffen versteht. Ihre Authentizität, eine ihrer prägnantesten Eigenschaften, vermittelte sie auch ihren Schülern: Sie müssten das, was sie singen und spielen, verinnerlichen – egal, ob einem das gefällt oder nicht. Das ist Teil der Kunst.
Mit einem Augenzwinkern erzählte Meier, dass sie sich als Ortrud natürlich im Recht gefühlt habe und sich nie von einem „dahergelaufenen“ Tenor verdrängen lassen wollte. Das Publikum lachte – und das nicht zum ersten und zum letzten Mal. So setzte sich die heitere Arbeitsatmosphäre in Wagners Wohnzimmer fort, und Meier schaffte es spielerisch, die jungen Sänger vor einer zu steifen Konzertsituation zu bewahren. Dennoch: Ihre lockere Art machte sie keineswegs zu einer weniger fordernden Lehrmeisterin. „Sänger wissen, wie sie zu singen haben“, so Meier, „aber selten, dass sie etwas zu sagen haben.“ Dieses Motto prägte ihren Meisterkurs.
Die Grande Dame der Oper, die in Bayreuth zuletzt als Ortrud gefeiert wurde, aber vor allem als Isolde und Kundry in die Operngeschichte eingegangen ist, überraschte mit einem unerwarteten Ansatz. Anstatt sich mit Gesangstechnik oder Atmung zu beschäftigen – „dafür haben sie ihre eigenen Lehrer und Engagements, da pfusche ich nicht in vier Tagen dazwischen“, erklärte Meier – erarbeitete sie mit den jungen Künstlern die Sprache.
Das erwies sich als alles andere als einfach. Obwohl wahrscheinlich viel fachkundiges Publikum im Raum war – darunter auch Festspielleiterin Katharina Wagner – standen Johannes Schwarz (Bariton), der aus dem Münsterland stammt und ab diesem Semester zum Ensemble des Theaters Erfurt gehört, und Signe Heiberg (Sopran) aus Kopenhagen, die bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, vor der Herausforderung, dem Publikum den Inhalt des Stücks vor dem Gesang erst einmal mit eigenen Worten zu erzählen.
Alle bleiben auf der Bühne
Das Programm war freilich ausschließlich Wagner: Auszüge aus der vierten Szene von „Rheingold“, eine Szene aus dem ersten Aktes der „Walküre“ (Begegnung von Siegmund und Sieglinde) sowie Szenen aus dem ersten Akt von „Tristan und Isolde“, bei dem alle vier Sänger zum Einsatz kamen. Tenor Schliewa sang den jungen Seemann von der Eingangshalle aus – sehr zum Vergnügen und zur Überraschung der Museumsbesucher und natürlich des Publikums im Saal.
Zuvor zeigte sich aber, dass das Reden eine andere Herausforderung ist. Die Sänger beherrschen natürlich den Text ihrer Partie, das ist ihr Job – und sie zeigten das auch sehr eindrucksvoll. Ihre tollen Stimmen wirkten dank des unkonventionellen Formats entspannt, vielleicht sogar gelöster als bei einem typischen Konzertablauf mit Auftritt, Gesang, Verbeugung und Abgang. Diesmal blieben alle gemeinsam auf der Bühne bis zum gemeinsamen Tristan-Abschluss.
Waltraud Meier moderierte, erklärte mitreißend ihr Gesangs-Credo und begleitete ansonsten von der ersten Reihe aus gleich einer Souffleuse ihre Sänger bei Artikulation und Einsatz. Als einfühlsamer und großartiger Pianist zeigte sich Thomas-Michael Gribow am Steinway-Flügel.
Spielerische Theorie
Der Programmpunkt „Etwas spielerische Theorie“ wirkte auf den ersten Blick irritierend, doch Meier verpackte darin geschickt die hohen Anforderungen des Sängerberufs. Dieser besteht nicht nur aus Gesang, sondern auch aus der Kommunikation mit den Mitsängern, dem Dirigenten und dem Publikum: „Von der Interpretation zur Inkarnation“, wie sie es nannte. Diese Verinnerlichung der Rolle ist kein leichtes Unterfangen, wie das Publikum bei einem spielerischen Experiment selbst erfahren durfte. Auf Zuruf der Zahlen eins, zwei oder drei mussten die Zuschauer blitzschnell die damit verbundenen Handlungen ausführen – Klatschen, Schulterzucken und andere Gesten. Schnell kamen da alle ins Schleudern, aber das mit viel Freude und dem Bewusstsein, wie viele Aktionen ein Sänger verinnerlichen und glaubhaft ausführen muss.
So entstand ein großartiges Konzert, das nicht nur Vergnügen bereitete, sondern auch die beeindruckenden Leistungen der jungen Sängerinnen und Sänger hervorhob. Sie konnten sicherlich viel aus den vier Tagen mit Waltraud Meier mitnehmen – ebenso wie das Publikum. Und Spaß hat das obendrein gemacht.
Beitragsbild oben: Verdienter Schlussapplaus: Waltraud Meier mit Thomas-Michael Gribow, der am Steinway-Flügel begleitet hatte, und den Kursteilnehmern Signe Heiberg, Cecilia Lund Tomter, Johannes Schwarz und Daniel Schliewa. © R. Ehm-Klier, festspieleblog.de