Man hat eigentlich eh keine Lust, weil das Stück nicht zu den persönlichen Favoriten zählt, die Inszenierung eigentlich auch nicht. Und dann passiert das, was Live-Erlebnisse auszeichnet: „Eine Sternstunde der Oper“, so beschreibt der Sitznachbar ganz fasziniert am Ende von „Der fliegende Holländer“ das gerade Erlebte (Holländer IV, 14. August 2023). Und recht hat er.
Michael Volle reißt mit
Was ist passiert? Wahrscheinlich nichts besonders und doch vieles. Da ist zum einen die Erfahrung und die Unbeschwertheit, die das Ensemble, allen voran Dirigentin Oksana Lyniv, im dritten Jahr auskosten kann. Premierendruck haben jetzt andere. Hinzu kommt ein hochpräsenter neuer „Holländer“, Michael Volle. Sein Einsatz reißt offenbar alle anderen Top-Leute im Ensemble weiter mit. Und Regisseur Dimitri Tcherniakov scheint mit dem, was er 2021 auf die Bühne gebracht hat, zufrieden. Jedenfalls gibt es keine deutlichen Veränderungen. Und das ist auch in Ordnung. Denn nun kann sich eine Dynamik auf der Bühne entwickeln.
Das Drama nimmt seinen Lauf mit der erhängten Frau in der Ouvertüre. Es ist die Mutter des Holländer, der nun auf Rache an der dörflichen Gemeinschaft sinnt, die schuld am Drama ist. Allen voran der joviale Daland. Er hatte die Frau damals gelangweilt abserviert und in den Tod getrieben. Jetzt ist er der einfältige Vater, der sich freut, für Fräulein Tochter Senta eine gute Partie gefunden zu haben. Georg Zeppenfeld, von Haus aus ein großartiger Sänger, wird im „Wettstreit“ mit Holländer Volle noch ein wenig präziser, ausdrucksstärker, mit fast kindlicher Freude am „Geschäft“ mit dem Holländer.
Und auch Elisabeth Teige, neben Zeppenfeld und Klaus Florian Vogt in diesme Sommer eine der Vielbeschäftigten, zeigt als Senta stimmlich und darstellerisch ganz große Klasse. Wobei es merkwürdigerweise nie sichtbar wird, dass die junge Frau diesem düsteren Helden tatsächlich in irgendeiner Art und Weise zugetan ist.
Zum Luxusensemble mischen sich Tomislav Muzek als Eric und Nadine Weissmann als Mary. Hier hat die Regie einen Dreh erfunden und Sentas Aufpasserin mit Daland verheiratet. Sie wurde wohl einst auch vom Holländer als „Retterin“ missbraucht. Und man denkt bei ihrem Auftritt an die großartige Show von Weissmann als stolze, in Pelz gewandete Erda im Castorf-Ring zurück. In Häkeloptik gewandet, wird ihr in „Der fliegende Holländer“ dieser optische Glanz verwehrt. Aber immerhin bekommt sie am Ende noch eine stumme Schlüsselposition zugewiesen.
Grandioser Chor – nicht nur im „Holländer“
Gar nicht oft genug lobend herausheben kann man in dieser Saison den Chor der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Eberhard Friedrich. Nach Jahren der Abwesenheit auf der Bühne, scheinen die Damen und Herren das Wiedererstarken nachgerade zu genießen. Mit große Spiellust gehen sie auch schauspielerisch ans Werk, bis hin zur heftigen Keilerei zwischen Dorfgemeinschaft und Seeleuten. Am Ende raucht und brennt das Dorf. Dann gibt es einen Rumms, der Holländer ist tot. Die Überlebenden sinken erschöpft nieder.
Und das Publikum reißt es von den Sitzen. Wie im Fluge ist diese Aufführung vergangen. Es war pures Vergnügen, eine der Entdeckungen dieser Saison. Noch so eine positive Überraschung! Und es wäre schön, wenn es diese Besetzung auch 2024 wieder zu erleben gäbe.