Was für ein Abschlussfest: Im Rhythmus stampfend und klatschend feiert das Publikum im Festspielhaus Bayreuth „Tannhäuser“, Klaus Florian Vogt, für eine fulminante Aufführung am letzten Festspieltag. Und weil’s so schön ist, bleibt es laut und rhythmisch, als Dirigentin Nathalie Stutzmann als nächstes zum wiederholten Male vor den Vorhang tritt, und ebenso bei allen Mitwirkenden. Tannhäuser ist ein würdiger Abschluss des Festspielsommers 2023. Das Festspielhaus bebt.
Ursprünglich wäre mit dem Saisonende diese wirklich großartige Inszenierung von Tobias Kratzer mit sensationellen Videos von Manuel Braun und der Bühne bzw. den Kostümen von Rainer Sellmaier schon endgültig verabschiedet worden. Aber wegen der Corona-Zwangspause und sicherlich auch wegen des großen Erfolgs bei Publikum und Kritik – was für ein seltenes Zusammenspiel – bleibt diese lustige wie tiefgründige Produktion auch 2024 auf dem Spielplan der Bayreuther Festspiele. Und 2026 auch noch einmal.
Hamburger Jungs im Dirigentengang
Das zeigte das Regie-Dreamteam mit Frontmann Tobias Kratzer übrigens diesmal auch im Video, wo einige Teile ja jedes Jahr erneuert werden, quasi dem Werkstattgedanken Bayreuth folgend, jeweils ergänzt durch aktuelle Details. So lief das Trio als Hamburger Jungs auf. Im Dirigentengang – wie im Premierenjahr vor dem Bild von Christian Thielemann, das Le Gateau im Premierenjahr angehimmelt hatte. Zufall? – kommen Kratzer, Sellmaier und Braun den „Einbrechern“ Manni Laudenbach und Le Gateau Chocolat (in der letzten Vorstellung vertreten von Kyle Patrick) in Fischerhemd und Seemannskäppi entgegen. Eine Anspielung darauf, dass Kratzer 2025 Intendant der Oper in Hamburg wird. Und: Auf dem Rollkoffer steht „back 2024“. Alles klar…
Tannhäuser hat in diesem Jahr mehrere große Neuerungen erfahren. Das beginnt mit der musikalischen Leitung. Nathalie Stutzmann feiert ein fulminantes Debüt. Sie ist nach Oksana Lyniv die zweite Frau, die auf dem berühmten Dirigentenstuhl im Graben Platz nehmen darf. Die sehr sympathische Französin, die ab der Saison 2023/24 Musikdirektorin des Atlanta Symphony Orchestra wird, hat die Herausforderung des versteckten Grabens hervorragend gemeistert. Am Ende applaudieren auch die Musikerinnen und Musiker, die zum Orchesterapplaus auf die Bühne kommen, der Dirigentin, die sich ihrerseits herzlich bedankt. Da ist große Sympathie spürbar.
Nathalie Stutzmann dürfte aber ruhig noch etwas mehr die Zügel in die Hand nehmen. Sie ist „gelernte“ Sängerin, aber nur, weil sie – wie sie mir im Interview erzählte – vom Dirigier-Professor einst aus dem Studium gemobbt wurde. Dirigentin, sagte sie, wollte sie immer sein. Nichtsdestotrotz kann sie die Verbundenheit zu den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne nicht verleugnen, nimmt deshalb vielleicht einen Tick zu viel Rücksicht auf deren Bedürfnisse, was unterm Strich manchmal Tempo kostet, während sie in rein orchestralen Abschnitten zügig und mitreißend voranschreitet und dabei für einen wunderbaren Orchesterklang sorgt. In den Abschnitten mit Gesang, vor allem im ersten Akt, nimmt das Orchester fast kammermusikalische Zurückhaltung an. Hier darf Stutzmann nächstes Jahr das singenden Personal ruhig mehr herausfordern.
Spitzenpersonal auf der Bühne
Denn auf der Bühne steht Spitzenpersonal. Allen voran Klaus Florian Vogt. Als der eigentlich für die Partie vorgesehene Stephen Gould zum Bedauern aller seinen Rückzug nicht nur von dieser Saison, wie ursprünglich angenommen, sondern mittlerweile von der Bühne insgesamt bekannt gab, fand Festspielintendantin Katharina Wagner mit Vogt einen adäquaten Ersatz im Haus. Der hatte sich ursprünglich auf einen gemütlichen Festspielsommer 2023 mit drei Auftritten als Siegmund (Siegfried/Ring des Nibelungen) eingestellt. Aber zum überraschenden Tannhäuser-Debüt in Bayreuth sagte er natürlich nicht Nein. Gut für ihn und das Publikum, das ihn für die Leistung feiert.
Seinen Einstand als Walther von Stolzing hatte Vogt 2010 in der Meistersinger-Inszenierung von Katharina Wagner. Es wurde sein internationaler Durchbruch. Und es ist seither auch kein Jahr vergangen, wo Vogt nicht in Bayreuth sang. Jetzt ist der Sänger weit fortgeschritten in seinem Fach des Heldentenors. Nach Lohengrin und Siegmund meistert er „Tannhäuser“ souverän. Alleine die Rom-Erzählung geht unter die Haut. Dass dieses Zehn-Minuten-Pathos anstrengend sein könnte für die Stimme, auf die Idee kommt man bei Vogt nicht. Dabei gestaltet er seine Partie niemals wie ein Kraftpaket, sondern selbstbewusst und wie selbstverständlich. Das wirkt umso größer, als er mit Markus Eiche einen umwerfenden Wolfram von Eschenbach mit zartschmelzendem Bariton als Gegenüber hat. Ganz grandios. Sein Lied an den Abendstern ist so unendlich traurig, wie man es wohl selten wieder hören wird, weil es so zauberhaft inszeniert ist.
Neu auch: Elisabeth Teige, die sowohl als Sieglinde an der Seite Vogts, als auch als „Elisabeth“ in Tannhäuser in die zweifelsohne großen Fußstapfen von Vorgängerin Lise Davidsen trat – und diese Herausforderung ganz wunderbar meisterte. In der internationalen Opernszene ist es sicher nicht ganz einfach, einen neuen Star zu entdecken. Elisabeth Teige, die 2022 als Senta sowie als Freia (Rheingold) und Gutrune (Götterdämmerung) in Bayreuth debütierte, darf in jedem Fall dazu gezählt werden. Sie überzeugt mit einer warmen und präsenten Stimme und dazu über eine unglaubliche Spielfreude. Eine Sängerin und Darstellerin, die man nur allzugerne erlebt.
Eine große Freude ist das Wiedersehen mit Günther Groissböck – und natürlich das Wiederhören. Sein sämig-satter Bassbariton hat ein Alleinstellungsmerkmal, erkennbar unter vielen. Die Partie des Landgraf Heinrich ist ein schöner Einstieg nach einiger Zeit der Bayreuther Abwesenheit. Eine wahre Freude ist der Auftritt von Ekatarina Gubanova als Venus. Ein Temperamentsbündel, das mit ihrer Lust am Spiel ihre fulminante Stimme noch unterstreicht.
Insgesamt fällt in dieser Saison auf, dass nicht nur die großen Partien top besetzt sind. Dieser Maßstab gilt bis in die kleineren Partien: In diesem Fall sind es die weiteren Wett-Sänger Siyabonga Maqungo als ein präsenter Walther von der Vogelweide, Olafur Sigurdarson als Biterolf, Jorge Rodriguez-Norton als Heinrich der Schreiber und Jens-Erik Aasbo als Reinmar von Zweter sowie mit glasklarer Stimme Julia Grüter als Junger Hirt.
Zwei Darsteller ohne Stimme
Und dann sind da auch noch die beiden Darsteller ohne Stimme: Manni Laudenbach und Le Gateau Chocolat bzw. dessen Vertreter Kyle Patrick. Vor allem Manni Laudenbach, der viel rührende Traurigkeit in den dritten Akt bringt, wird bejubelt. Das eine oder andere Buh für die Dragqueen mag provokant gemeint sein. Die schauspielerische Leistung ist in keinem Fall zu bemängeln. Und so werden beide bejubelt, weil sie sich ihren Platz im Stück erobert haben, als hätte Wagner sie schon bei der Komposition hier platziert.
Die Bayreuther Festspiele 2023 enden so wie sie begonnen hatten: sehr unterkühlt. Damit sind freilich die Temperaturen draußen gemeint. Künstlerisch war Tannhäuser ein würdiger Abschluss für eine künstlerisch hochwertige Saison!
Interviews mit Nathalie Stutzmann, Klaus Florian Vogt, Georg Zeppenfeld und vielen anderen in „Hojotoho – das TAff-Festspielmagazin“. Die Nummer 7 erschien am 24. Juli 2023 und steht auch gratis online zur Verfügung.