Das ist eine Art „Sport“ im Bayreuther Festspielhaus: Sobald der Vorhang fällt, platzt einer – es ist immer ein Mann – aus den hinteren Reihen im Parkett in die Stille. Am Ende von Götterdämmerung II (10. August 2023), dem großen Finale des „Ring des Nibelungen“ der Bayreuther Festspiele, ist es ein „Bravo“. In der Regel wird mit dem Gegenteil des ersten Rufers dagegengehalten, also Buh. Die gab es auch, aber sehr verhalten, aber sie waren auch schon am Ende der vorherigen Aufzüge zu hören. Wem die Buhs gelten, ist schnell klar: Es ist die Regie von Valentin Schwarz. Er lässt sich mit seinem Team – Andrea Cozzi, Bühne, und Andy Besuch, Kostüm, – aber nach dem zweiten Ring der Saison traditionell nicht mehr sehen. Die Regieteams stehen nur in der Premierenwoche auf der Bühne.
Buh für die abwesende Ring-Regie
Jetzt zeigen sich also nur Sängerinnen, Sänger, Darsteller, Chor, Chorleiter und Dirigent – und werden alle durchwegs und lautstark gefeiert. Allen voran Catherine Foster für ihre leidenschaftliche Brünnhilde, als die sie im rosa Morgenrock durch die Geschichte schreitet. Sie stellt sogar den sonstigen Applaus-König Andreas Schager in den Schatten, der aber natürlich ebenfalls für seine formidable Siegfried-Darstellung gefeiert wird.
Eine Entdeckung ist Mika Kares, der „neue“ Hagen. Ein umwerfender Bösewicht, der auch Herz haben kann. Das stellt er in der wohl stärksten Szene der Götterdämmerung unter Beweis, als er das völlig irritierte und angesichts der Schattenbedrohung verängstigte Kind in Schutz nimmt. Apropos Kinder: Sie jungen Darsteller absolvieren in diesem Ring ein anspruchsvolles Programm und das sehr professionell. Nicht eine Sekunde zweifelt man daran, dass das hier Schauspiel ist.
Es ist wohl die stärkste Szene, wenn Hagen mit seinem lange Schatten werfenden Heer – großartig: der Chor der Bayreuther Festspiele – nach vorne tritt. Dieser Teil ist übrigens auf Social Media der Bayreuther Festspiele (u. a. Facebook) veröffentlicht. Unbedingt anschauen!
Optisches Highlight
Dennoch: Die Handlung zündet nicht wirklich, wenngleich gerade die „Götterdämmerung“ ein optisches Highlight ist, was die Kostüme und die Bühne anbelangt. Vielleicht ist die Brutalität ein wenig zu dick aufgetragen – die Qual des Grane zum Beispiel, oder die Vergewaltigung Brünnhildes durch Gunther, Michael Kupfer-Radecky. Und wenn am Ende der erhängte Wotan nass triefend mit der Lichterkulisse nach oben gezogen wird, stellt sich die Frage: Was soll uns das sagen?
Zu den sehenswerten Szenen gehört der Auftritt der drei Nornen, die zu Beginn durch das Kinderzimmer streifen und mit dem Kleinen von Siegfried und Brünnhilde spielen und dabei ihre Geschichte erzählen. Siegfried und Brünnhilde indes sind schon zu dieser Zeit alles andere als ein Liebespaar. Sie haben sich offensichtlich richtig dick. Siegfried geht. Brünnhilde vertraut ihm dennoch ihren „Grane“ an. Vielleicht als Aufpasser. Ein Unglück.
Dieses kündigt auch Waltraute an. Ein großartiger Auftritt von Christa Mayer, die eine „Wahnsinnsarie“ hinlegt, um das Schicksal noch zu wenden, wenn Brünnhilde den Ring an die Rheintöchter geben möge. Vergeblich. Das Feuer – eine leuchtende Pyramide, die schon die ganze Zeit durch die Produktion getragen wird und über deren Sinn man im Laufe der Zeit nicht mehr weiter nachgedacht hat – flinselt und kündigt die Ankunft von Siegfried an. Tatsächlich ist es ein ungebetener Gast, Gunther, der eine harte Einbruchsnummer fährt. Denn so etwas wie Herz gibt es bei Familie Gibichungen nicht. Hier geht es nur darum, nicht weiter gelangweilt zu sein.
Dekadentes Volk der Gibichungen
Das zeigte sich zuvor an deren Hof, wo Siegfried, der kernige Landbursch, im Designer-Wohnzimmer herzlich willkommen ist. Dienstmädchen packen „Beute“ aus – Klamotten, Masken. Gutrune, im sexy neon-grünen Overall, telefoniert oder tippt auf dem Handy, lässt sich aber durch die Aussicht, sich einen Helden angeln zu können, gern stören. Gunther, dekadenter Trottel, lümmelt auf einer wunderschönen Couch in seinem witzigen Designer-T-Shirt mit der Glitzerschrift, wer Grane ist (Who the fuck is grane). Siegfried gefällt die Welt der Reichen und Schönen, allein das lässt ihn die Gemahlin auf dem Felsen vergessen. Den „Zaubertrank“ braucht’s nicht, den kippt er dem konsternierten Grane übers Haupt. Man trinkt zur Blutsbrüderschaft sein Blut.
Ein erster Akt Götterdämmerung kann sich bei langweiliger Inszenierung durchaus in die Länge ziehen (ca. 2 Stunden). Aber hier vergeht die Zeit wie im Fluge, wenn man aufhört, Details entschlüsseln zu wollen. Anzuschauen ist die Inszenierung ganz wunderbar, wie diese dekadente Welt dem Ende zuwankt und schließlich im umzäunten Pool endet und damit optisch an den Anfang zurück führt, wo einst Alberich im herrlichen Pool den „Ring“ stahl. Jetzt ist nur noch eine Pfütze davon übrig, an der Siegfried von Hagen erschlagen wird – und an dem Schager ein wundervoller Abschied gelingt.
Auftritt Brünnhilde: Eine starke Frau, jetzt mit Hut und Lederjacke übers rosa Gewand, räumt auf (Beitragsbild oben: © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele). Das „Kind“ gibt sie den Rheintöchtern, dann steigt sie herab und beweist ganz alleine vor der Kulisse stehend, ihre großartige Stimme. Mühelos führt sie ihre Stimme nach oben, bevor sie fast beifällig den toten Grane (oder was davon übrig geblieben ist) nimmt und sich zum toten Gemahl legt.
Ein schöner Schluss – im Video sind Zwillings-Embrios zu sehen. Die Geschichte geht weiter.
Und man ist beim „Bravo“ angelangt, nachdem der letzte, zarte Klang aus dem Orchestergraben knapp durch den Saal geschwebt ist.
„Basst scho“ reicht nicht
Ob er jemals Kult wird, dieser Ring in der Inszenierung von Valentin Schwarz, darf bezweifelt werden, weil die Netflix-Geschichte interessant ist, aber zum Teil halt nicht aufgeht. Immerhin: Es ist alles sehr schön anzusehen, der Einsatz der Schauspieler – junger Siegfried, Grane – ist eine gute Idee, die Kinder machen einen großartigen Job und sängerisch ist ein großer Wurf gelungen. Das wird auch reihum bestätigt. In den Pausen ist keinerlei Kritik zu hören.
Bleibt das Dirigat: Das finden die einen interessant, woran man sieht, dass Kunst Sache des persönlichen Geschmacks ist. Ich fand die Musik eher zu brav Note für Note abgearbeitet, gerade orchestrale Glanzstücke wie Siegfrieds Rheinfahrt oder der Trauermarsch kamen regelrecht beiläufig aus dem Graben. Emotion – eher Fehlanzeige. In Franken würde man sagen: „Basst scho!“, aber das ist für Festspiele zu wenig. Insofern darf man neugierig sein, wie nächstes Jahr der Neue seinen Job machen wird. Philippe Jordan wurde bereits zu Beginn der Saison als Ring-Dirigent 2024 bei den Bayreuther Festspielen angekündigt.
Zu den anderen Ring-Berichten 2023 geht es hier:
Interviews mit den Ring-Stars wie Catherine Foster, Klaus Florian Vogt, Georg Zeppenfeld und Tomasz Konieczny finden Sie in „Hojotoho“, das TAff-Festspielmagazin gratis zum Download hier: https://www.taff-ev.org/hojotoho-magazin/