Der Ring des Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen wird weiter geschmiedet. Heute: „Die Walküre“ – oder Sodom und Gomorra für Fortgeschrittene – oder: Es kommt auf die äußeren Werte an. Kostümbildner Andy Besuch schwelgt im Luxus. Die Geschichte ist mit Details überzogen. Die Gesellschaft, die in diesem „Ring“ in der Regie von Valentin Schwarz vorgestellt wird, ist schön und vor allem schrecklich. Ein Bühnenunfall überschattete die Premiere.
Die Bühne ist für Walküre nicht so üppig gestaltet wie am Vorabend, bei „Rheingold“. Aus einer schäbigen Hausmeister-Hütte mit Wellblechbedachung schleppt sich Sieglinde nach draußen. Überraschung: Sie muss nicht auf ihren Zwillingsbruder Siegmund warten, um einen Siegfried zu zeugen. Sie ist schon unübersehbar schwanger. Von wem? Wohl nicht von Hunding. Der ist ein linkischer Schwächling, der seine Frau mies behandelt, um sich später bei Göttervater Wotan auszuweinen. Es sieht so aus, als hätte der „Alte“ für den heranwachsenden Nachwuchs gesorgt.
Die schwangere Sieglinde
Ob das Sinn macht? In Walküre wird die Frage zumindest nicht gelöst. Jedenfalls zwingt diese neue Konstellation die großartige Lise Davidsen in gebückte Haltung. Als sieches, leidendes Etwas schleppt sie sich in hässlichem Schlauchkleid und rosa Crogs durch die Szene, um am Ende mit blutverschmierten Beinen nach der Geburt gerettet zu werden. So traurig ihre Darstellung umso großartiger ist ihre Gesangsleistung. Erstklassig und traumschön erstrahlt ihr Sopran.
Nichts ist es mit der großen Liebe zu Siegmund, dem Zwillingsbruder. Warum sich der Regisseur nicht mit diesem Inzest zufrieden geben konnte, der ja an sich schon übel genug ist, bleibt das Rätsel. Ebenso ist es zwar beklemmend anzusehen, wie Wotan die Ärmste auf der Treppe liegend vergewaltigt, aber es wäre prima, würde sich diese Geschichte im Laufe der nächsten zwei Teile der Familiensaga noch auflösen.
Klaus Florian Vogt erfreut mit reifer und strahlender Stimme als Siegmund, der Nothung das Schwert, eine Pistole, findet. Und die Frau nimmt er scheins aus Mitleid mit („Schwester, Geliebte!“). Vogt zeichnet sich nicht nur doch einzigartigen Gesang aus, sondern ist zudem deutlich zu verstehen – das ist keine Selbstverständlichkeit.
Das gelingt freilich auch Georg Zeppenfeld. Er hat mittlerweile das Luxusproblem, dass von ihm perfekte Auftritte erwartet werden, weil er imstande ist, grundsätzlich Top-Qualität zu liefern. Diesen Anspruch erfüllt der noble Bass auch nach überstandener Corona-Infektion erneut in einer seiner Paraderollen als Hunding.
Mit Tomasz Konieczny betritt ein neuer Wotan die Bühne, der die Wucht seiner Wut in die Stimme hervorragend legen kann. Den Abschied von Brünnhilde gestaltete er in der Generalprobe sehr innig – bis sich zeigt, dass er auch diese Tochter eigentlich gerne… Leider ereignete sich in der Premiere im zweiten Akt ein nicht weiter beschriebener Bühnenunfall. Zu Beginn des dritten Aktes tritt Pressesprecher Hubertus Herrmann vor den Vorhang und berichtet dem Publikum davon, dass Konieczny nicht mehr auftreten kann. Im Netz verbreitet sich schnell die Nachricht, dass er sich verletzte, als er schwungvoll in einem Sessel Platz nahm und die Lehne brach – Gute Besserung an dieser Stelle!
Es muss Michael Kupfer-Radecky übernehmen, der seinen ersten Auftritt eigentlich in der „Götterdämmerung“ als Gunther hätte. Kupfer-Radecky meistert die Einspringer-Rolle souverän.
Irène Theorin als Brünnhilde ist zwar weniger Text-verständlich, aber sie gibt durch ihre starke, emotionale Stimme insgesamt einen guten Einstand in diesem verlotterten Ring und füllt die Rolle der temperamentvollen, starken Frau sehr gut aus.
Walküre, bitte zur Schönheitsoperation
Wer Ritterrüstungen und wackere Heldinnen als Walküren sehen möchte – der wird eine herbe Enttäuschung erleben. Nachdem Siegmund gefallen ist, Hunding erfreut abgezogen, geht es ins Vorzimmer einer Schönheitsklinik. Man befindet sich in der Kaderschmiede Nibelheim aus dem „Rheingold“, in dem die blonden, uniformen Mädchen erwachsen geworden sind und nun das Ergebnis ihrer „guten Erziehung“ zeigen: es zählen die äußeren Werte. Hojotoho! Taschen, Schuhe zuhauf und Personal, das die Unordnung wegzuräumen hat. Frau lässt sich – Hojotoho! – aufhübschen: hier ein größerer Busen, da ein niedliches Stupsnäschen, Beine sind einbandagiert, Hände, die Stirn – alles, was die Chirurgen-Kunst vermag, wird in Anspruch genommen. Das wird der berühmte Walkürenritt. Mit traumschönen Schuhen, teuersten Taschen. Gruselig. Aber passend in einer Zeit, in der Mädels auf „Insta“ oder „Tictoc“ wie auf dem Heiratsmarkt posieren.
In diese auf die OP wartende Gesellschaft platzt Brünnhilde, die wohl von Erda aus dem Erziehungslager gerettet worden war, nun mit ihrer Halbschwester Sieglinde. Brünnhilde hat mittlerweile einen guten Freund, Begleiter, vielleicht Liebhaber, an ihrer Seite mit – Achtung – Pferdeschwanz. Er heißt: Grane, ist ihr treu ergeben und bringt Sieglinde und das Kind, mittlerweile geboren, in einer Decke, die später immer wieder auftauchen wird, in Sicherheit. Zurück bleibt Brünnhilde, die Papas Schimpftirade erträgt und sich schließlich wegsperren lässt.
Zuhören allein genügt nicht
Insgesamt fallen am ersten Abend des „Bühnenspiels“ erneut die Sänger durchwegs ausschließlich positiv auf. Dirigent Cornelius Meister gelingen erneut sehr schöne Abschnitte, wenngleich die Abstimmung mit den Sängern noch ausbaufähig ist. Sänger und Orchester sind häufiger auseinander, auffällig zum Beispiel bei Wotans langem Monolog im zweiten Akt. Andererseits versucht Meister nicht, einen großen Klangbreit zu schaffen, sondern stimmt sehr exakt ab.
Konieczny als Wanderer wieder fit
Am Ende mag man leicht erschlagen sein von den Bildern und dem Grübeln darüber, ob und was sie zu bedeuten haben. Zuhören allein reicht bei dieser Inszenierung jedenfalls nicht. Nach einem „Ruhetag“ geht es am Mittwoch mit „Siegfried“ weiter. Da soll auch Tomasz Konieczny wieder fit sein und seine Partie des Wanderer übernehmen können. Das melden die Bayreuther Festspiele am 2. August, am Tag nach dem Bühnenunfall des Sängers. Michael Kupfer-Radecky war beherzt und spontan im dritten Akt als Wotan eingesprungen und wurde vom Publikum für diese Leistung mit großem Jubel belohnt. Er habe die Vorstellung, so heißt es in der Mitteilung der Bayreuther Festspiele, die Vorstellung „bravourös gerettet“.
Übrigens: Nicht nur im Radio zu hören, sondern als Live-Übertragung ist die „Götterdämmerung“ am 5. August in vielen Kinos im deutschsprachigen Raum zu erleben – mit exklusivem Pausenprogramm vom Grünen Hügel. Mehr darüber gibt es hier: https://www.wagner-im-kino.de