Klein Siegfried hat Geburtstag – damit beginnt der dritte Teil des „Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Valentin Schwarz bei den Bayreuther Festspielen 2022. Eine Girlande in Mimes miefiger Höhle wünscht fröhlich „Happy Birthday“. Zum Schein. Empathie oder gar Liebe sind Fremdworte: Ein Kind mit – in diesem Fall – unklarem Vater, toter Mutter und berechnend-hinterhältigem Ersatzpapi, wird kein Held, sondern ein undankbares Balg.
Rotzlöffel derer von Nibelungen
Mime, respektabel gesungen und noch besser dargestellt von Arnold Bezuyen, macht gute Miene zum bösen Spiel. Hat er den Kleinen doch als Säubling samt zerbrochenem Schwert im Wald gefunden und unter fragwürdigen Umständen ins Leben geführt. Er erwartet nun eine Gegenleistung – das geschmiedete Schwert Nothung. Dazu macht er sich zum Clown bzw. zum Zauberer für seinen Psychopathen-Ziehsohn. Siegfried gibt das ungezogene Gör – mit unglaublichem Temperament und phantastischer Stimme. Beides gehört Andreas Schager und er erfüllt in diesem in weiten Teilen hochklassig besetzten Sängerensemble alle Erwartungen. Ein Top-Siegfried!
Hätte er nun das gelbe T-Shirt des Jungen aus dem Rheingold an, wäre dieses Rätsel gelöst. Auch das wäre passend. Aber nein, dieser Faden wird hier nicht aufgenommen. Die Frage nach dem „Gold“ wird erst später in der „Drachenhöhle“ geklärt. Siegfried ist also nur ein weiterer Rotzlöffel derer von Nibelungen.
Zum Kindergeburtstag reiht ihm der Ziehvater als lustiger Zauberer allerlei Puppen-Freundinnen und -Freunde auf die Stühlchen, was den „Kleinen“ dazu hinreißen soll, endlich Nothung zu schmieden, das neidliche Schwert. Geschmiedet wird zwar nichts. Dafür großartig das Schmiedelied gesungen. Und irgendwann hält es Siegfried auch in der Hand.
In der Zwischenzeit tritt der Wanderer auf. Beeindruckend bedrohlich warnt der mittlerweile nach dem Bühnenunfall bei Walküre wieder gesundete Tomasz Konieczny vor dem, was kommen wird. Man glaubt ihm nicht und schickt ihn davon.
Siegfried findet unterdessen sein neues Spielzeug so großartig, dass er seine Puppen-Kumpelinnen und -Kumpels genüsslich in seine Einzelteile zerlegt, Einen nach dem anderen. Am Ende hält er hingerissen einen Schrumpfkopf im Arm. „Psycho“ lässt grüßen.
Wohnhalle als Drachenhöhle
Nach diesem kurzweiligen ersten Aufzug geht es also zur „Drachenhöhle“. Das ist eine schick designte Wohnhalle, dessen dominierender Einrichtungsgegenstand ein Pflegebett ist. Wer darin liegt, ist zunächst unklar, denn die Rückseite ist dem Publikum zugewandt. Auf einem Stuhl daneben sitzt scheinbar verzweifelt oder wenigstens besorgt ein junger Mann in gelbem T-Shirt. Wer dort siecht, sieht man nicht – man hört es: Fafner, gesungen von einem wunderbar ausdrucksstarken Wilhelm Schwinghammer.
Der Drache ist also der Senior des Hauses in seiner Lebensendphase. Doch bis es das Ende kommt, tyrannisiert der Alte sein Umfeld, vor allem die junge Verwandtschaft. Nur der junge Mann im gelben Shirt sitzt pflichtschuldig da und wartet auf die Freiheit, aufs Erbe. Unterdessen betatscht der alte „Drache“ die hübschen Pflegerinnen. Eine dieser jungen Untergebenen ist, in bunte Kittelschürze gewandet, der Waldvogel, hinreißend von Alexandra Steiner, gesungen.
Es ist schon eine komische Gesellschaft: Die Waldvogel-Pflegerin, Siegfried, der auffällig Kostümbildner Andy Besuch ähnelt, der tumbe Mime und der jugendliche „Ring“ – es ist Hagen, der in diesem Wahnsinn offensichtlich dazu wird, wie er in der Götterdämmerung wird. (Siehe Bild oben, © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele )
Rollator weg, Drache tot
Die junge Waldvogel-Frau findet freilich den reichen Verwandten Siegfried im Haus attraktiver als den alten Patienten. Und auch Siegfried ist sehr angetan und umgarnt die Kleine. Bis es dem Alten zu bunt wird. Er erhebt sich mit letzter Wut vom Totenbett um, gestützt auf den Rollator, dem Jungen Paroli zu bieten. Der braucht keinen Schwertstoß – ein Tritt gegen den Rollator genügt, der alte Drache stürzt und ist stirbt.
Dann aber können sich auch schnell die Wege von Siegfried und Waldvogel wieder trennen – für den Helden geht’s weiter zum „Feuerfelsen“, symbolisiert durch die leuchtende Pyramide des neuen Louvre-Museums in Paris, um Brünnhilde zu erwecken.
Zuvor streiten sich unglaublich eindrucksvoll die Eltern der künftigen Braut: Wotan und Erda. Okka von der Damerau gibt eine beeindruckend bedrohliche Erdenmutter, die Wotan nicht nur rhetorisch in die Ecke stellt, sondern auch stimmlich überflügelt.
Elegante Siegfried-Brünnhilde
In „Siegfried“ gibt es eine andere Brünnhilde: Daniela Köhler übernimmt die Partie jugendlich geschmeidig – und auffällig verständlich. Sie überzeugt überdies als Darstellerin, als sie sich frisch erweckt des neuen Machtmittels erfreut – der Pistole, Nothung…
Ebenfalls wieder mit von der Partie ist ihr Begleiter „Grane“, der der Szene dezent im Hintergrund zuschaut. So gut viele Ideen von Regisseur Valentin Schwarz in dieser Wagner’schen Familiensaga sind: Die Schwert-Geschichte ist eher beifällig gelöst. Mal kommt das Schwert aus der Krücke, mal ist es eine Pistole. Hauptsache es tötet, sozusagen. Interessant ist allerdings, alle Symbole vermenschlicht zu sehen: den Ring, das treue Pferd Grane.
Musikalisch kommen Orchester und Dirigent Cornelius Meister immer besser zusammen. Allerdings bestehen immer noch Abstimmungsprobleme zwischen Graben und Sängern. Manchmal möchten die Sänger hörbar loslegen, aber das Orchester ist noch nicht da.
Aber das Publikum feiert Meister zurecht. Es ist eine respektable Leistung, in der kurzen Zeit das schwierige Festspielhaus und seine akustischen Finessen auszuleuchten. Und in den rein orchestralen Abschnitten gelingen sehr schöne Momente.
Es folgt nach dem Schluss-Applaus (überschaubare Buhs, die sicher der Regie gelten) ein Ring-Pausentag, an dem „Lohengrin“ mit Christian Thielemann am Pult die Wiederaufnahmen-Premiere feiert. Da wird es sicherlich derlei Abstimmungs-Probleme keinesfalls geben…
Götterdämmerung im Kino
Der Ring geht am Freitag, 5. August, mit der Götterdämmerung ins Finale. Wer kein Ticket hat – es gibt eine Übertragung in viele Kinos im deutschsprachigen Raum. In Bayreuth hat man sich kurzfristig dazu entschlossen, den Reichshof (Maximilianstraße) zum Kino umzufunktionieren. So viel sei verraten. Es wird ein fulminanter Untergang der Nibelungen-Dynastie. Und: Mehr Wagner fürs Geld gibt es nicht. Die „Götterdämmerung“ ist mit rund fünf Stunden reiner Spielzeit das längste Stück. In den Kinos gibt es exklusives Pausenprogramm. Wo es Wagner im Kino gibt, findet sich hier. https://www.wagner-im-kino.de