Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen 2022

Lohengrin: Große und ganz große Wucht

„Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen behält im dritten und leider auch schon letzten Jahr seine Problemzone: die Regie. Die Arbeit des Amerikaners Yuval Sharon wird quasi zermalmt zwischen zwei Wuchten. Das ist auf der einen Seite die fulminante Bilder- und Kostümwelt des Künstlerpaares Neo Rauch und Rosa Loy als große und die umwerfende musikalische Leistung im Graben durch das Festspielorchester unter der Leitung von Christian Thielemann als ganz große Wucht.

Lohengrin – ein schönes Märchen

Für eine Regieaussage bleibt kaum Raum und Platz. So ist es ein schönes Märchen, das auf der Bühne gegeben und vom Publikum gefeiert wird. Fangen wir beim Schlussapplaus an: Solisten und Chor werden bei allen bisherigen Vorstellungen (vier von fünf) heftig gefeiert. Als jedoch Christian Thielemann zum ersten Mal am Abend vor den Vorhang tritt, stehen die Reihen geschlossen auf. Das sind keine Standing Ovations, weil grad die Stimmung so gut ist und aufsteht, um mehr Sicht auf die Bühne zu haben. Das ist Verehrung pur. Thielemann, der Großmeister des Bayreuther Grabens (Rekord mit über 180 Vorstellungen), strahlt zurecht.

Aber von vorn: Wenn Thielemann dirigiert, bleibt in der Regel der Vorhang bei der Ouvertüre zu, was durchaus den Vorteil hat, dass man als Zuschauer langsam ins Stück eintauchen kann und nicht schon zu den ersten Klängen mehr oder weniger pfiffige Regieeinfälle enträtseln muss.

Eine Panne: der Vorhang klemmt

Als „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen 2022 zum zweiten Mal auf dem Spielplan steht (7. August) bleibt der Blick auf die Bühne indes länger verschlossen als allen lieb sein kann. Der Heerrufer ist zu hören, aber nicht zu sehen. Der Vorhang geht nicht auf – Abbruch. Von einem „schwereren technischen Problem“ spricht Regieassistent Wolfgang Schilly, der nach einigen Minuten der Zwangspause vor den Vorhang tritt, um dem Publikum das Malheur zu erklären. Es ist und bleibt dem Vernehmen nach die einzige tatsächliche Pleite bei Lohengrin in diesem Jahr. Und auch an jenem Abend lässt sich der Vorhang schließlich doch öffnen, mit fünf Minuten Verspätung und – ebenfalls von größtem Seltenheitswert  – dankbarer Applaus begleitet die wiedererklingende Musik, als schließlich die blaue Pracht von Brabant sichtbar wird.

Camilla Nylund als Elsa in Lohengrin, Bayreuther Festspiele 2022
Angeklagt, den Bruder ermordet zu haben: Camilla Nylund als Elsa in „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen 2022. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Ansonsten verläuft Lohengrin nahezu perfekt: Es ruckelt nichts, da holpert nichts dank eines großartig eingespielten Ensembles. Klaus Florian Vogt ist und bleibt der Lohengrin schlechthin, der die Gralserzählung am Ende mit glasklarer, prächtiger Stimme hinausschleudert. Georg Zeppenfeld brilliert mit elegantem Bass in einer seiner Paradepartien, König Heinrich. Auch Camilla Nylund besticht nach wie vor als Elsa, wenngleich ihr Sopran verrät, dass sie mittlerweile ganz andere Partien wuppt als diese reine Unschuld.

Georg Zeppenfeld, Lohrengrin, Bayreuther Festspiele 2022
Phantasievolle Kostüme und Bilder von Neo Rauch und Rosa Loy dominieren „Lohengrin“ – und eine hervorragende musikalische Leistung: Hier Georg Zeppenfeld, der als König Heinrich gefeiert wird. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Martin Gantner und Petra Lang als Gegenpart zum Traumpaar können hier nicht ganz so gut anschließen. Petra Lang, als Ortrud schon in der „Ratten“-Inszenierung von Hans Neuenfels überzeugend böse, klingt mittlerweile manchmal leicht kehlig und angestrengt in der Höhe, Martin Gantner als Friedrich von Telramund zeigt sich im ersten Akt von ungeheurer Präsenz und mit auffälliger Textdeutlichkeit, wird aber ab dem zweiten Akt blasser. Derek Welton überzeugt in seiner kurzen Partie als Heerrufer.

Thielemann in seiner eigenen Liga

Die Sensation kommt freilich aus dem Graben. Die zarten Streicherklänge des Vorspiels schweben förmlich aus den Sitzreihen hervor und entfalten sich zum Klangbad, in das man nur zu gerne eintaucht. Dennoch: Christian Thielemann ergibt sich im Laufe des Abends keiner Sentimentalität, verhindert jeglichen Süßklang-Brei, sondern sorgt für einen transparenten Orchesterklang, legt Wert auf Exaktheit bis in die letzte Notenschleife. Emotionalität setzt er wohl dosiert ein, verzichtet zum Beispiel beim zauberhaften Duett von Elsa und Ortrud im zweiten Akt auf zusätzlichen Kitsch durchs Orchester, sondern hält die Zügel straff. Das ist die Kunst, nicht einmal in Schönheit und Klangwucht durch den Abend zu schrubben, sondern dieses Werk groß aufzufächern – und dabei die Sänger zu tragen.

Dem Können hat die Regie nicht viel entgegenzusetzen, zumal Yuval Sharon das Wagnis eingegangen und 2018 spät in die Produktion eingestiegen ist – mit dem Dominator im Graben und der Bilderpracht in Blau und Orange von Neo Rauch. Da bleibt außer wackelnden Händen und Armen wenig Bewegungsspielraum.

Im Schlafgemach, Lohengrin, Bayreuther Festspiele 2022
Kaum Emotionen im Brautgemach: Camilla Nylund als Elsa und Klaus Florian Vogt als Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen 2022. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Aber Sharon hat die Herausforderung angenommen und es immerhin noch geschafft, das Thema Frauenrechte einzuflechten. Denn plötzlich ist Elsa nicht mehr das Dummchen und Ortrud die Hexe, Lohengrin die Lichtgestalt und Telramund der Looser. Im Gegenteil: Lohengrin wirkt in dieser Inszenierung in seiner Arroganz eigentlich relativ unsympathisch, die Frauen sind offensichtlich geknechtet und Elsa nicht nur wegen ihrer Frage nach „Nam und Art“ bedauernswert. Darum traut sie von Anfang an diesem spontanen „Ich liebe dich“ des Schwanenritters nicht wirklich. Zurecht, wie sich als eines von wenigen eindrucksvollen Bildern zeigt, als am Ende des zweiten Akts Lohengrin Elsa zum Kirchenportal führt und sie von Augenhöhe mehr oder weniger sanft auf die Treppe in den Sitz drückt, auf dass sie zu ihm aufschauen möge. Auch im Brautgemach überwiegen die Zweifel.

Lohengrin-Abschied am 22. August

Im Grunde ist es ein wundervolles Märchen mit aufwendigen Kostümen und toller Kulisse (siehe Beitragsbild, © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele), mit umwerfender Musik und einem Christian Thielemann, der eben in seiner eigenen Liga spielt und in Bayreuth das fünfmal in diesem Jahr unter Beweis stellt. Am 22. August steht „Lohengrin“ letztmals in dieser Inszenierung und dieser Besetzung auf dem Spielplan. Darum folgt auch hier dann noch eine Fortsetzung.

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