Götterdämmerung, Bayreuther Festspiele 2022

Götterdämmerung: Neureich, dekadent, verroht

Mit der Götterdämmerung endet am 5. August 2022 die Premiere des „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner bei den Bayreuther Festspielen. Regisseur Valentin Schwarz hat ein temporeiches Ratespiel auf die Bühne gebracht und nicht zu viel mit seiner „Fernseh“-Vision des Ring versprochen. Aber auch im Film geht nicht jede Geschichte auf. Das Publikum im Festspielhaus ist erwartungsgemäß gespalten über Schwarz und das Team mit Andy Besuch, der für die üppigen Kostüme verantwortlich zeichnet, und Andrea Cozzi, der die Riesenbühne des Bayreuther Festspielhauses voll und ganz nutzt. Das Buhgewitter ist relativ groß, was aber bei der Regie in Bayreuth Tradition hat. Buhs muss diesmal aber auch Dirigent Cornelius Meister einstecken, ebenso wie Brünnhilde Irène Theorin. Bei beiden ist das Publikum nicht einhellig zufrieden.

Der coolste erste Akt „Götterdämmerung“

Ein erster Akt „Götterdämmerung“ kann sich ziehen. Lang ziehen. Gut zwei Stunden dauert der Einstieg in den Untergang, dominiert freilich von umwerfender Musik. In Schwarz‘ Inszenierung wird man durch eine aberwitzige Geschichte getrieben, nach deren erstem Ende, also der Pause, man wirklich reif dafür ist. Und man verlässt das Festspielhaus mit der eigenen Feststellung, noch nie einen so aufregenden ersten Akt Götterdämmerung er- und durchlebt zu haben wie diesen.

Götterdämmerung Bayreuther Festspiele 2022
Auf die äußeren Werte kommt es an bei dieser Familie in der „Götterdämmerung“: Gunther zeigt Siegfried stolz das Bild der letzten Jagd. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Wir befinden uns bei so etwas wie den Geißens oder einem Oligarchen-Clan, jedenfalls bei irgendeinem Proleten-Pack, das viel Geld, aber keinen Stil hat. Hauptsache viel blingbling. Gunther fläzt auf dem sündhaft teuren weißen Designer-Sofa, Gutrune ist eine gelangweilte Tussi, die sich für Selfies in Szene setzt. Beide buhlen um die Gunst von Hagen – jetzt im gesetzten Alter, aber immer noch im gold-gelben Shirt, das Bilder-Rätsel ist nun endgültig gelöst. Wir sehen ein unsympathisches Trio, das aber großartig singt:  Elisabeth Teige gibt eine stets präsente und starke Gutrune, Michael Müller-Radecky ist der egozentrische Gunther, stärkste Figur ist aber Hagen, gesungen von Albert Dohmen, der vor zehn Jahren bei den Bayreuther Festspielen noch den Wotan sang,  anschließend als Alberich brillierte und jetzt als grimmiger Hagen sich immer noch als allerbeste Wahl empfiehlt. Olafur Sigurdarson überzeugt als dunkel-schmieriger Alberich.

Götterdämmerung, Bayreuther Festspiele 2022
Hauptsache ein hübsches Selfie: Elisabeth Teige als Gutrune mit Gunther, Michael Kupfer-Radecky. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Hilley nutzt die Einspringer-Chance

Bei der Generalprobe verkörperte noch Stephen Gould das Kraftpaket Siegfried. Bei der Premiere musste der scheinbar unverwüstliche Heldentenor passen. Die Einspringer-Position übernahm Clay Hilley und nutzte die Chance, auf sich und seine Stimme aufmerksam zu machen. Auch szenisch nahm er die Herausforderung bravourös.

Als dümmliche Landmann Siegfried platzt er in die gelangweilte Szene mit Hagen und den Geschwistern Gunther und Gutrune. Eine willkommene Abwechslung: Begeistert wird der Neue als Blutsbruder in die dekadente Gesellschaft aufgenommen. Dafür muss halt sein „Begleiter“, der Kofferträger – der Mann mit dem Pferdeschwanz – dran glauben. Herr Grane wird zur traurigen Figur in diesem Akt. Während vorne der Clan fröhlich feiert und singt, macht sich Hagen die Hände schmutzig bzw. blutig und quält Grane offensichtlich nach Herzenslust, um sein Blut zur Bruderschaft zwischen Gunther und Siegfried zu kredenzen (Beitragsbild oben, © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele). Im vorauseilenden Spott trägt Gunthers Designer-Shirt die Glitzer-Aufschrift „Who the fuck is Grane!“. Jede Wette, dass dieses Shirt auch rund ums Festspielhaus zum Verkaufsschlager würde.

Am Ende wird der treue Begleiter auf einem Rollwagen als blutüberströmtes, zuckendes Fleischpaket hereingezogen. Eine Geschichte, die vielleicht wenig Sinn macht – aber stark aussieht, wie so oft in diesem „Ring“. 

Starke Bilder

So ist es auch am Feuerfelsen, wo Brünnhilde in einem sehr gut-bürgerlichen Kinderzimmer der Heimkehr des Gemahls harrt und ihr kleines Mädchen hütet. Die Kleine und überhaupt alle Kinder-Statisten haben sich einen riesigen Applaus verdient. Unfassbar glaubwürdig haben sie dieses wirklich sehr böse Spiel mitgespielt. Beklemmend der Augenblick, als Gunther und Siegfried „einfallen“: Hagen, der verrohte Kerl, fesselt das Kind an einen Stuhl, es wehrt sich verzweifelt und muss zuschauen, wie die Mutter vergewaltigt wird und der offensichtliche Vater das alles großartig findet. Eine ganz großartige schauspielerische Leistung der Kleinen!

Götterdämmerung 2022, Bayreuther Festspiele
Gruselige Gestalten: die Nornen im Kinderzimmer. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Ebenfalls gruselig: Die Nornen, die sich als schlechter Traum aus dem Kinderbett schälen und durch den Raum schleichen. Eine Wucht ist der Auftritt von Christa Mayer als Waltraute. In einen prachtvoll funkelnden Mantel gekleidet gibt sie eine herzzerreißende Mahnerin. Es hilft aber nichts. Das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Der Albtraum geht weiter

Der Albtraum findet im zweiten Akt seine Fortsetzung. Die Bühne ist plötzlich leer, der Chor taucht als in Mönchsgewänder gekleidete Menge mit roten und schwarzen Masken auf, durch die das Kind irrt, in der Hoffnung, Mutter oder Vater oder sogar beide zu finden. Vergeblich. Brünnhilde wird als Trophäe vorgeführt, Siegfried hat eine neue Gespielin. 

Götterdämmerung, Gruselbild
Gruseliger Anblick bei der Götterdämmerung. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Zurück im Schwimmbecken

Im dritten Akt findet die Geschichte szenisch an den Anfang des Rheingolds zurück. Nur, dass das Bassin nicht mehr nutzbar ist. Es ist leer bis auf den tiefen Grund, ein Bauzaun sichert den Zugang ab. In einer Rest-Pfütze angelt das Kind mit gelb-schwarzem Käppi im verseuchten Wasser, will Siegfried gefallen, der mag aber lieber Bier. Hagen schreitet zur Tat und sticht den Helden nieder, während sich die restliche Szene oberhalb, im Dämmerlicht hinter dem Bauzaun abspielt. Das sieht in seiner Gesamtheit auf dem Bildschirm stärker aus als im Zuschauerraum.

Götterdämmerung, Bayreuther Festspiele 2022
Gedemütigt: Brünnhilde im unschuldigen Gewand, Irène Theorin. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Irène Theorin als Brünnhilde hört sich in einigen Passagen sehr angestrengt an, andererseits gelingen ihr emotionale Ausbrüche und ein souveränes Ende, das einen neuen Anfang bedeutet. Wie der aussieht? Ein Rätsel, denn sie schwingt sich nicht auf Grane durch die Feuersglut. Stattdessen hat sie einfach die Nase voll. Eigentlich sind alle tot, auch das Kind hinter dem Bauzaun fällt um. Grane lebt ebenfalls nicht mehr. Gunther hat Brünnhilde als letzten Gruß den Kopf des Gefährten hinterlassen. Das große Trauma hat ein Ende. Hagen macht sich davon. 

Zum traumschönen musikalischen Schlusspunkt der Götterdämmerung, taucht eine Video-Einspielung auf: zwei Embryonen im Mutterleib. Wer sie gezeugt hat, bei wem sie heranreifen? Man weiß es nicht… Aber die Geschichte kann von vorn beginnen.  

Eigentlich müsste in der Konsequenz nun noch ein „The End“ eingeblendet kommen. Denn manchmal scheint es, als habe Valentin Schwarz mehr tolle Bilder für die Kameras produzieren wollen als fürs Theaterpublikum.

Insgesamt aber ist dieser „Ring“ eine aufregende Geschichte in vier Teilen, in der es keine Symbolik gibt, sondern alles vermenschlicht wird: der Ring, das Pferd, der Drache, der Waldvogel. Zum Teil übertrieben, aber eben wie im richtigen Leben. Schwarz‘ Regie hat sogar die Zwangspause wegen der Pandemie überstanden. Denn Corona hat die Gesellschaft noch mehr aufgebracht. Ständig herrscht Aufregung. Viel scheint, nichts ist.

So ist auch dieser Ring verstörend realistisch, denn auch er zeigt: Es kommt auf die Verpackung an – wenn die gut ist, ist der Inhalt zweitrangig.  

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