Die letzten Streicherklänge von „Lohengrin“ verhallen sanft, die Kameradrohne lässt uns übers abendliche Festspielhaus Bayreuth schweben – entrückt, und Corona ist noch weit entfernt. Möge doch bitte alles wieder so sein wie früher. Mit einem Seufz verabschieden wir uns aus der Szene, aus einer Stunde 37 Minuten „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“.
Es folgt der Abspann unterlegt mit „Tristan und Isolde“ und tut das seinige dazu, diesen Film jetzt gerade richtig schön zu finden. Und dann sinniert die bodenständige, sympathische Metzgersfrau und Wagner-Bayreuth-Kennerin Ulrike Rauch darüber, dass es schon gut war, dass die in München damals den Richard Wagner ausgepfiffen haben, und er doch in Bayreuth gelandet ist, „Gott sei Dank“. Und da wird klar, was an diesem Film immer irgendwie gestört hat: der Tick zu viel.
Andererseits verspricht Autor und Regisseur Axel Brüggemann mit dem Titel „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ nicht zu viel. Er wirbelt durch Zeit und Raum, dass es für eine echte Abhandlung reichen würde. Bayreuth- und Wagnerkennern ist Brüggemann als Moderator des Pausenprogramms für die Filme bzw. die Kinoübertragungen der Bayreuther Festspiele bekannt, wo er ebensowenig andächtig Werk und alles andere vorstellt.
Wagner – geliebt und abgelehnt
Nun also das große Ganze, ein Film über Wagner und der Versuch zu ergründen, warum der Komponist geliebt wie abgelehnt wird. Die Reise um und die Wagner-Welt beginnt in Venedig bei der Jahrestagung der Wagner-Verbände, führt nach Israel, nach USA, nach Japan. Er zeigt viele sympathische Menschen, die trotz aller rationaler Gründe – vor allem in Israel – die Musik des Komponisten lieben. Die meisten von ihnen haben aber doch irgendwie einen Hau, was „Normalos“ durchaus verschrecken und ihnen die Lust an der Wagner-Entdeckung verderben könnte. Es ist vor allem anfangs verdächtig oft von „Religion“ die Rede. Ein Reverend in New Jersey relativiert: er glaube an Gott und bete auch zu ihm – „Wagner liebe ich“. So einfach ist das.
Und ist es doch nicht. Hier hat der Film echte Stärken, weil er freilich nicht den Kontext von Wagners Antisemitismus umgeht und die Verwicklungen seiner Nachkommen im Dritten Reich nicht versucht zu umschiffen. Die Betrachtungen von Meistersinger-Regisseur Barrie Kosky, seines Lohengrin-Kollegen Yuval Sharon oder des Wagner-Verbands-Vorsitzenden in Israel erzählen und erklären aus der angemessenen Perspektive – und ohne erhobenen Zeigefinger. Und zur Demonstration, dass man zwischen der Person Richard Wagner und seiner unglaublichen Musik trennen kann, dazu braucht es kein riesiges Orchester. Es genügt ein junger Fagottist aus Israel, der über den Dächern von Tel Aviv die Tristan-Klage gänsehaut-traurig klingen lässt.
Andere Ausflüge in die weite Wagnerwelt (zwei Mitglieder im Emirat Abu Dhabi, sechs Studenten schmettern im Kirschbaum-blühenden Tokio das Meistersinger-Vorspiel) sind durchaus verzichtbar, weil Wagner-Fans eben nicht grundsätzlich merkwürdige Freaks sind. Schade auch, dass lediglich der Export von Katharina Wagners Herzensprojekt „Wagner für Kinder“ nach Japan angesprochen wird, nicht aber die Produktion in Bayreuth. Denn der Film gibt tolle Einblicke in die heutige Wagner-Welt im Festspielhaus und zeigt auch, dass in diesem Film nicht nur Kenntnis, sondern auch viel Zeit steckt.
Grillfest bei Katharina Wagner
Katharina Wagner wird bei ihrer Regiearbeit von Tristan und Isolde begleitet (das Stück stand bis 2019 auf dem Spielplan), sie erzählt als Intendantin und Familienmitglied über den Spaßfaktor eine Wagner zu sein, lässt sogar die Kamera zu bei ihrem traditionellen Grillfest, zu dem sie engste Mitarbeiter auf ihre Terrasse einlädt und zeigt den verwöhntesten aller Französischen Bulldoggen.
Auch Sänger, Musiker und Dirigenten kommen zu Wort – Piotr Beczala (Lohengrin in der Premierensaison 2018) sinniert auf der Terrasse seines fränkisch-ländlichen Feriendomizils darüber, wie ernsthaft an der Produktion gearbeitet wird – und das im Urlaub. Valery Gergiev (Tannhäuser-Premiere 2019) wird auf dem Weg in den berühmten Orchestergraben begleitet, wenngleich er dem Vernehmen nach diesen nicht sonderlich oft zu den Proben besucht hat und sein Debüt gründlich schief ging.
Den tiefsten Einblick in den Graben des Bayreuther Festspielhauses kann Christian Thielemann geben (Untertitel: „war Musikdirektor der Bayreuther Festspiele) – und gibt ihn auch. Er spricht über seine berühmten „Bayreuth-Ohren“, darüber, dass die Assistenten fast wichtiger sind als der Dirigent selbst, er verhaspelt sich zur Gaudi aller mit Telefon und Mikrofon und lässt sich auch beim Dirigierkurs zuschauen, bei dem die jungen Musiker ehrfürchtig feststellen, wie sich selbst der erfahrenste aller Bayreuth-Dirigenten immer noch begeistern kann. Die Anleitungen über Emotion im Stück werden sie sicher niemals vergessen – und bei Lohengrin an dieser Stelle stets schmunzeln.
Nicht jeder Wagnerianer ist skurril
Das sind die Stellen, an denen „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ richtig viel Spaß machen, weil die Einblicke alles, aber nicht gespielt sind. Und dem Ton-Meister dieser Produktion ist hoch anzuerkennen, dass die Musik aus dem Graben unverfälscht übertragen und damit hörbar wird, was für ein Kunststück es ist, diesen Klang zu einem großen Ganzen zu verschmelzen.
Diese Authentizität übersetzt die Begeisterung für Wagner und die Bayreuther Festspiele mehr als es wissenschaftliche Vorträge mit Untertitel jemals erreichen werden. Denn nein, nicht jeder Wagnerianer ist unbedingt skurril.
Ab 28. Oktober 2021 im Kino/Filmweltverleih