Die Bayreuther Festspiele können ganz gut ohne Anna Netrebko auskommen. Annette Dasch, die nach der Absage der Diva engagiert wurde, lieferte eine ausgezeichnete Vorstellung am 14. August, der ersten von zwei geplanten Netrebko-Aufführungen als Elsa in Lohengrin. Unterm Strich zeigte sich, dass die Bayreuther Festspiele genügend Star-Potenzial auf der Bühne haben.
Regieeinfälle haben’s schwer
Freunde des Opernglases, die ihr Feinheiten von Regie und Requisite auch aus der 26. Reihe ausmachen wollt – bei „Lohengrin“ seid ihr richtig. Im zweiten Jahr hat Regisseur Yuval Sharon noch einmal nachgearbeitet. Doch die Wucht in Blau von den Pinseln des Künstlers Neo Rauch, die insektenartigen Kostümen von Rosa Loy und der Anspruch von Dirigent Christian Thielemann, so viel Blickkontakt mit den Sängern wie nur möglich zu haben, setzen einer wilden Regie ihre natürlichen Grenzen.
So lässt Yuval Sharon Gesten sprechen – die man besonders gut versteht, wenn man der Zäsur mit Regieassistent Peter Lorenz am Aufführungstag 14. August 2018 verfolgt hat. Der erklärt, was in diesem Jahr geändert wurde: Dass Yuval Sharon bewusst den Chor, also das Gefolge von Brabant, als Gemälde inszeniert, um die Erstarrtheit dieser Gesellschaft zu zeigen; dass halb ausgebreitete Arme des König Heinrich eine erfundene Geste des Gebets sind, dem nachempfunden, als würde der Strom fließen, den „Lichtgestalt“ Lohengrin ja durch seinen Einzug mitgebracht hat. Und während die Chordamen im Vorjahr fröhlich blaue und weiße Rosenblüten im zweiten Akt mit Schwung regnen ließen, wird die Ehrerbietung jetzt fast achtlos hingeworfen – denn jetzt sind den Damen die Hände gebunden und wird ihnen durch die Herren der Platz in der Gesellschaft zugewiesen. Patriarchat in Reinkultur. Da lohnt sich der Blick durchs Opernglas und das Wissen um die Szene.
Den Faden der gebundenen Hände nimmt der Regisseur auch auf, als Lohengrin vor dem Einzug ins Münster genau diese Fesseln gereicht bekommt, um seine baldige Angetraute im wahrsten Sinne an sich zu binden. Die Irritation von Elsa bestätigt sich spätestens, als er ihr diese zarten Handfesseln nicht nur anlegt, sondern sie vor dem Kirchenportal, wo beide auf Augenhöhe stehen, sie mit bestimmten Druck in Sitzhaltung bringt. Das erinnert an das Foto von Richard Wagner, zu dem Cosima ergeben aufsieht. Elsa merkt jedenfalls spätestens hier, dass das ein Retter, aber kein Traumprinz ist.
Dasch emotional übermannt
Wer das Glück hatte, sowohl die Premierenvorstellung (hier ein Bericht davon) als auch die mit neuen Besetzungen besuchen zu können, erlebt traumwandlerisch sichere Sänger, und glücklicherweise lässt sich nicht sagen, wer besser ist. Nylund/Vogt oder Dasch/Beczala. Und das ist gut so. Vor allem Annette Dasch spielt die Elsa, als hätte sie sie von Anfang an so geprobt – und nicht zwei Stunden vor der Aufführung am 29. Juli, als sie für die erkrankte Camilla Nylund einsprang.
Als sie nun am Ende vor den Vorhang tritt, wird sie von Jubel und eigenen Emotionen geradezu übermannt und sinkt zu Boden, es sieht aus, als weinte sie. Hat man Buhs gehört? Das fragten sich viele Besucher am Ende. Zuschauer der vorderen Reihen verneinten, hinten links gab es wohl einige wenige Unzufriedene – es scheint der Netrebko-Fanclub gewesen zu sein, einer rief „Anna!“. Nun ja.
Dass Anna Netrebko sich krankschreiben ließ, ist seit Wochen bekannt. Dass sie dann ihr Follower-Heer in den sozialen Medien an ihrer attestierten „Erschöpfung“ durch Selfies von fröhlichen Familienfeiern in Baku teilhaben lässt, kann man relativ dreist nennen oder arrogant. Jedenfalls genügend gute Gründe, das Kapitel endgültig zu schließen. Der Online-Merker stellte nach der Vorstellung am 14. August die Frage: „Wer hat Netrebko vermisst?“. Das sagt eigentlich alles, vor allem über die gesangliche Qualität von Frau Dasch.
Diese „Elsa“ hat sich die Begeisterung redlich verdient, zumal sie auch die Szene wundervoll beherrschte und schnell herausgefunden hat, dass die heldischen Liebesschwüre letztlich doch nur Mittel zum Zweck waren, nämlich selbst die Macht zu übernehmen.
Diesen gescheiterten Helden verkörpert auch Piotr Beczala ausgezeichnet. Beczala genoss sein zweites, wenngleich verkürztes, Bayreuth-Jahr sichtlich und brillierte nicht nur in der berühmten Gralserzählung. Schon eine sichere Bank sind Georg Zeppenfeld und sein geschmeidiger Bass als König Heinrich; ebenso wie eine wieder glänzend disponierte Elena Pankratova als Ortrud (Bild: © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele), die zwar nicht immer sauberen Stilmitteln kämpft, aber eben auch keine schrille Hexe ist. Großartig!
Festspielhaus tobt vor Begeisterung
Und als dann noch Christian Thielemann vor den Vorhang tritt, kennt die Begeisterung fast gar keine Grenzen mehr. Nichts war ihm von einer eventuellen Last anzumerken, nachdem er ja am Vorabend spontan die musikalische Leitung von Tannhäuser übernommen hatte. In Perfektion gelang die Rückkehr zu „Lohengrin“. Von dieser Musik mag man gar nicht genug bekommen. Der verdiente Lohn dafür – ein tobendes Festspielhaus, für ihn, die Solisten und den glänzend aufgelegten Chor unter der Leitung von Eberhard Friedrich. Sie alle sind Superstars, nicht nur an diesem Abend.