Eine Premiere ohne Premierenstress – bei den Bayreuther Festspielen wurde am Freitag (26. Juli 2019) „Lohengrin“ erst zelebiert und dann geradezu frenetisch gefeiert. Zurecht.
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Es hatte ja schon gut begonnen: „Cosima“ die Hausfledermaus zog schon ihre Runden zum flirrend leichten Vorspiel und anschließend in der blauen Wunderwelt, gezaubert von Neo Rauch und Rosa Loy. Nach dem musikalischen Debakel des Vorabends, zeigte ein Christian Thielemann, wo der Hammer hängt bzw. wie der Taktstock schwingt. Spätestens ab dem zweiten Akt – es dauert einen Akt, bis sich die Musik flüssig entwickelt – malt Thielemann ein Gesamtkunstwerk, das sich der prachtvollen Bilderwelt der Bühne anpasst. Die Gemälde bestehen mittlerweile nicht mehr nur aus den Kulissen, Regisseur Yuval Sharon hat nachgepinselt und stellt die Sänger – vor allem bei den Chorszenen – als lebendes Ölgemälde dar, deren Bewegungsdrang sich meist auf ein nervöses Händefächeln beschränkt. Mehr ist aus diesem verschreckten Brabant nicht herauszuholen.
Lohengrin weihevoll
Richtig aufregend ist das nicht, eher ein großes, prächtiges Märchenbuch mit noch prachtvollerer Musik dazu, bei Christian Thielemann ein wahres Bühnenweihfestspiel. Zunächst sehr getragen, allerdings mit zauberhaften Momenten – wie der Dialog zwischen Elsa und Ortrud, oder später im Schlafgemach oder die Gralszene. Andere würden lange im Tonstudio basteln, um so einen sensationellen Reitermarsch einmal hinzubekommen. Hier funktioniert hörbar jedes Detail – Gänsehaut.
Auch wenn Thielemann wohl im Radiointerview zur Premiere in höchsten Tönen von der kommenden Elsa Anna Netrebko (14. und 18. August 2018) geschwärmt hat: Camilla Nylund nimmt’s sportlich. Sie, die eigentlich als Eva (Meistersinger) engagiert ist, sprang auf die Schnelle für die erkrankte Krassimira Stoyanova ein und gibt nun eine großartige Elsa mit allen Facetten, von hauchzart (wunderschön ihre Arie im Turm) bis höchst selbstbewusst (Schlafgemach). In der Regie von Yuval Sharon geht sie ja als Siegerin vom Platz. Jetzt zusammen mit Klein-Gottfried, ihrem grasgrün gekleideten Bruder, in diesem Jahr dargestellt von einem Kinderstatisten.
Kunststück Lohengrin
Camilla Nylund ist zusammen mit Klaus Florian Vogt in den Meistersingern ein Traumpaar. Das wiederholt sich nun in Lohengrin. Vogt ist eine Größe in dieser Partie bei den Bayreuther Festspielen. Doch er schafft das Kunststück, nicht die Partie nur in anderer Inszenierung zu singen. Die Stimme ist immer noch unverkennbar, aber Vogt setzt das Strahlen reifer ein. Man hört seine Arroganz und Machtdemonstration in der Schlafgemach-Szene, die Verletztheit und die Wut in der Gralserzählung. Und dass der Premiere Lohengrin am nächsten Tag die Premiere „Meistersinger von Nürnberg“ folgt, wo Vogt Walther von Stolzing singt, was ja auch kein stimmlicher Spaziergang ist, ist nicht zu bemerken. Gespart wird nicht. Sowohl Vogt als auch Camilla Nylund sind diesbezüglich echte Profis, die ihre Kräfte offensichtlich einzuteilen wissen, um zwei Tage volles Programm durchzustehen.
Große Stimmen
Als wahre Größe entpuppt sich Elena Pankratova als dramatische Ortrud. Großartig, wie sie sich selbst in dieser unglaublichen Hitze nicht einen Hauch an Dramatik, Kraft aber auch Zartheit in der Stimme rauben lässt. Ihr „Gemahl“ Telramund alias Tomasz Konieczny trat am Ende etwas verhalten vor den Vorhang. Aus unerfindlichen Gründen war er im Vorjahr Buh-Rufern zum Opfer gefallen. Diesmal – nichts von alledem. Er nimmt großen Beifall für seine Leistung entgegen.
Genauso wie König Heinrich, Georg Zeppenfeld. Die Partie des Königs ist etwas undankbar, ist er doch wirklich nur ein aufgeschrecktes Insekt, das zwischen seinen Leuten hin- und herwankt und irgendwie Erfolg haben will – um jeden Preis. Das ist wenig spektakulär, aber Zeppenfelds edlen, völlig unangestrengten Bass zu hören – Genuss pur!
Und so tobte das eigentlich sehr kritische Premierenpublikum am Ende vor Begeisterung und holte die Hauptakteure des Abends mehrfach zurück auf die Bühne – selbstverständlich auch den Chor der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Eberhard Friedrich, der – im Gegensatz zu Tannhäuser – wieder sehr präsent ist auf der Bühne.
Übrigens: Ein ausführliches Interview mit Regisseur Yuval Sharon findet sich in „Hojotoho! – Das Bayreuther Festspielmagazin“ von TAFF, das die Autorin von festspieleblog.de geschrieben und verantwortet hat. Darin auch Interviews mit Christian Thielemann und seine „Bayreuth-Ohren“; mit Neo Rauch und Rosa Loy gibt es ein ausführliches Interview in der Vorjahresausgabe, ebenso mit Elena Pankratova. Zu finden sind alle Jahrgänge zum Gratis-Download auf der Homepage von TAFF