Die „Meistersinger von Nürnberg“ stehen 2019 zum zweiten Mal auf dem Spielplan der Kinderoper, wie „Wagner für Kinder“, das Nachwuchsprojekt der Bayreuther Festspiele, genannt wird. Premiere wird wie bei den großen Festspielen am 25. Juli gefeiert. Bis 4. August werden diese Meistersinger, die sich ganz groß zeigen, zehnmal aufgeführt. Ein Besuch auf der Probenbühne IV, der Heimstatt der Kinderoper (mehr Bilder am Ende des Beitrags).
Regeln sind nicht ehern
Vorschriften sind gut. Solange es keine besseren gibt. Und wenn es bessere gibt, darf man eherne Regeln auch brechen. Das lernen wir bei „Die Meistersinger von Nürnberg“ und zwar auf der Probebühne IV auf dem Festspielgelände, am Fuße des Festspielhauses von Bayreuth. Wenn sich am Ende („Verachtet mir die Meister nicht!“) das große Tor öffnet und den Blick freigibt auf das Festspielhaus, ist das eine von vielen guten Ideen von Dirk Girschik, Regisseur von „Wagner für Kinder“ 2019.
Gespart wird an der Dauer
Die Kinderoper steht nun zum elften Mal auf dem Programm der Bayreuther Festspiele. Der „Kanon“ von Richard Wagner ist bereits vollendet. Doch wie im Festspielhaus wirft man auch beim Projekt „Wagner für Kinder“ immer wieder einen neuen Blick aufs Stück. Für die jeweilige Fassung ist Katharina Wagner, Festspielleiterin und Initiatorin von „Wagner für Kinder“, verantwortlich. Sie hat zusammen mit Markus Latsch den Rotstift angesetzt, um das gut vier Stunden dauernde Original-Werk auf eine gute Stunde zu reduzieren. Die Länge ist das Einzige, woran bei diesem Projekt gespart wird.
Ansonsten alles wie „oben“, also wie im Festspielhaus: Ausgiebige Probenzeit, aufwendige Kostüme und Masken, um die sich u. a. die Maskenklasse der Theaterakademie August Everding kümmert, ein komplettes Orchester – das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt/Oder -, das sich unter der Leitung von Azis Sadikovic hervorragend eingespielt zeigt und eine prächtige Luxusbesetzung an Sängern. Das Ensemble agiert nicht auf einer Bühne, sondern zwischen zwei drehbaren Türmen, die Ivan Ivanov sich als Bühnenbilder ausgedacht hat, die auf kleinem Raum unterschiedliche Kulissen ermöglichen: Da ist der Balkon, auf dem Eva – begeistert gespielt und hervorragend gesungen von Christiane Kohl – ihren Ritter Walther von Stolzing zum ersten Mal trifft und der der Kinderschar gesteht, „ich glaub’ ich hab mich verliebt“; man sieht die Schusterstube samt Flieder für Hans Sachs’ Fliedermonolog, den lustigen Merkerstuhl und sogar einen Kirchenraum.
Begeistertes Ensemble
Vincent Wolfsteiner, der den Walther singt, hat mit den weiteren Sängerinnen und Sängern eines gemein: Man kommt von großen Bühnen. „Es ist Arbeit, aber es fühlt sich nach Urlaub an“, erzählt Wolfsteiner in einer Probenpause, warum er eigens und ausschließlich für die Kinder-Meistersinger nach Bayreuth gereist ist. Auch Werner Van Mechelen, der einen sonoren Hans Sachs gibt und den freundlichen, weisen Mittler zwischen den alteingesessenen Meistern und dem Revoluzzer Walther von Stolzig spielt, ist aus purem Spaß an der Freud mit dabei.
Überhaupt zeigt der Blick in die Besetzungsliste, dass alle zu den Mitwirkenden der Bayreuther Festspiele gehörten oder aktuell gehören: Andreas Hörl, der Hans Schwarz ist in dergleichen Parteie bei den „großen“ Meistersingern in der Regie von Barrie Kosky zu erleben; Armin Kolarczyk – Konrad Nachtigal bei den Meistersingern im Festspielhaus – gibt hier einen hervorragenden Sixtus Beckmesser, der am Ende versöhnlich dem Kontrahenten Stolzing die Hand reicht, Simone Schröder – hier die Magdalene – singt das Altsolo in Parsifal; Kay Stiefermann (Kurz Vogelsang) den Steuermann in „Tristan und Isolde“ und den Biterolf in „Tannhäuser, Timo Riihonen, der stolze Veit Pogner, tritt im Festspielhaus als Hanz Folz (Meistersinger) und Gralsritter (Parsifal) auf, und, und, und.
Solisten als Meistersinger-Chor
Im Original werden „Die Meistersinger von Nürnberg“ durch mächtige Chorszenen getragen. Das geht beim Kinderprojekt schon allein aus Platzgründen nicht, weshalb sich die Solisten eben zum Chor vereinen, was sich ganz wunderbar anhört. Dazu sind in diesem Stück auch eine ganze Reihe von Statisten im Einsatz, um bei Szenenwechseln mit anzupacken oder die Kulisse zu verstärken.
Die Probebühne IV besteht aus einer leeren Halle, was den Regisseuren immer wieder neue Gestaltungsmöglichkeiten erlaubt. Einmal steht die Bühne an der Längsseite, die Zuschauertribüne gegenüber. Diesmal hat man sich für die Quervariante entschieden, was nicht nur den Vorteil hat, dass am Ende, wenn das Tor sich öffnet, der Blick des Publikums über Bühne und Orchester hinaus aufs Festspielhaus geht, sondern auch, dass das Orchester, das in dieser Besetzung manchmal gefährlich laut werden kann, zwar keinen verdeckten Graben hat, aber der Klang durch die Position hinter der Drehkulisse etwas gedämpfter ankommt.
Prügelszene als Kissenschlacht
Die Regie von Dirk Girschik hat sich eine Menge lustiger Dinge einfallen lassen: Zum Beispiel die Prügelszene, in der sich die Meister mit Teddybären und Plüschbällen hauen und das Ganze in einer wilden Kissenschlacht endet, in der die Federn nur so fliegen. Am Ende fallen die so geforderten Meister müde zu Boden und schlafen ein. Bis der „Wacht-auf-Chor“ sie weckt. Den schmettern die Kinder fröhlich mit, nachdem ihnen David, wundervoll dargestellt von Stefan Heibach, kurz den Einsatz erklärt hat. Und es funktioniert großartig. Durch die Halle dröhnt ein großes „Wacht auf!“. Da bleibt kein Meister liegen.
„Wacht auf!“
Vertragt euch und verharrt nicht in euren Ansichten, nur weil’s immer schon so war: Das ist die Message dieser Meistersinger, die beim Publikum ankommt. Entsprechend groß ist das Getrampel und der Jubel am Ende für alle Mitwirkenden, die Sängerinnen und Sänger, die Musiker, für Bühnenbild, Maske und Regie.
Den Applaus hat sich auch Katharina Wagner verdient, die vor zehn Jahren als eine ihrer ersten Amtshandlungen als Festspielleiterinen „Wagner für Kinder“ ins Leben rief. Anfangs noch etwas stiefmütterlich behandelt, hat sich die Kinderoper mittlerweile bei den Festspielen intern etabliert. Die „Kinderopern“-Leute gelten als der Gute-Laune-Trupp, wiewohl bekannt ist, dass auch in der Probebühne IV hart gearbeitet wird. Die Kinderoper wird ernst genommen. Sie ist Kult!
Viele der Solisten bemühen sich um Karten – nicht nur für ihre Kinder, Dirigenten schauen vorbei. Und was das Schöne ist, dass hier keine elitäre Nachwuchsgesellschaft herangezogen wird, deren Eltern das nötige Kleingeld mitbringen, damit den Kleinen etwas Schönes geboten wird. Dem Willen ihres Urgroßvaters Richard Wagners folgend, macht Katharina Wagner die Kultur frei, also kostenlos zugänglich – zumindest für die Zielgruppe ab acht Jahren. Man muss sich nur um die Tickets im Internet bemühen. Dann gibt es eine ernsthafte Begegnung mit einer Wagner-Oper, man bekommt viel erklärt, es gibt viel zu lachen, tolle Musik und am Ende ein lustiges Programmheft mit Rätseln und Geschichten rund um das jeweilige Stück. Erwachsene Begleitpersonen müssen Eintritt zahlen. Aber selbst eine zusätzlich produzierte DVD, sie wird noch in der Festspielzeit präsentiert, ist stets für wenige Euro zu haben. Das alles kostet viel Geld, bringt aber entsprechende Begeisterung beim Publikum.
Preiswürdig
Im September werden nach der Pleite mit dem Echo-Classic die Oper!Awards als „erster ausschließlich der Oper gewidmeter und öffentlich verliehener Branchenpreis überhaupt“, wie die Veranstalter erklären, in Berlin vergeben. Der Preis ist in 20 Kategorien aufgeteilt, darunter eine für das „Beste Education Programm“. Elf Spielzeiten sollten genügen, um „Wagner für Kinder“ eine große öffentliche Würdigung zukommen zu lassen.
Festspieleblog.de besucht die vierte Vorstellung der „Meistersinger von Nürnberg“ im Festspielhaus und berichtet darüber am 10. August.