„Miracle“ schrieb ein Facebook-User am Ende von Tristan III (16. August 2018) bewegt unter sein Foto vom Schlussapplaus im Festspielhaus von Bayreuth. Das Bild zeigt die wenigen sichtbar Handelnden der Bühne plus Zauberer aus dem Orchestergraben. Es sind ja nicht allzu viele, die es schaffen müssen, eine innere Handlung begreifbar zumindest greifbar zu machen. Also ein Wunder zu vollbringen.
Frischer Wind für Tristan
Dass es gelingt, zeichnet sich schon beim Vorspiel ab. Christian Thielemann hatte vorgestern von der unerträglichen Hitze im Graben am Vorabend erzählt. Nun scheint es, als sei man seinem Wunsch nachgekommen und habe nach der langen Hitzeperiode richtig durchgelüftet. Frischer Wind für Tristan.
Nach einem hauchzarten Anfang – wieso fällt ausgerechnet hier jemandem eine Flasche poltend auf dem Holzboden um und was hat die da überhaupt zu suchen?? – baut sich eine orchestrale Welle auf. Schön, beeindruckend, aber auch bedrohlich, da lassen die Streicher mit einem messerscharfen Gegenstrich gar keinen Zweifel aufkommen. Immer höher türmt sich das Ungetüm auf, bis es mit einem exkaten Paukenschlag am Strand in sich zusammenfällt. Großartig. Und die Musik drängt weiter. Es ist der erste von vielen Momenten, in denen man gespannt den Atem anhält.
Diese Spannung setzt sich gleich im ersten Akt auf der Bühne fort, wo Tristan und Isolde durch das düstere Treppenhaus wie Raubtiere streifen und allen Anstrengungen zum Trotz, dies zu verhindern, sich unausweichlich finden. Die Idee von Regisseurin Katharina Wagner, den Liebestrank sehr sichtbar wegzukippen, die romantische Ausrede „Ich kann ja nichts dafür“ zu eliminieren und durch ein rigoroses Wollen dieser Beiden zu ersetzen, ist im 21. Jahrhundert unbedingt angebracht.
Schlafwandlerische Sicherheit
Im vierten Jahr der Produktion bei den Bayreuther Festspielen hat sich eine fast schlafwandlerische Sicherheit auf der Bühne eingestellt – begleitet, getragen, umschmeichelt oder vorangepeischt von einem sensationellen Orchester und dessen Leitung. Unterm Strich kann man trotz aller Lohengrin-Begeisterung und allen Parsifal-Lobs vom Höhepunkt der Saison reden. Da wird mit einer Selbstverständlichkeiten und Intensität gesungen, gespielt und musiziert, dass einem die Luft weg bleibt.
Einzig in den dritten Akt startet Christian Thielemann etwas bedächtig – fast als wollte er, dass dieser Abend nicht zu schnell ein Ende findet. Kein Wunder: Es ist eine ganz besondere Vorstellung für den Maestro, nämlich die 161. seit seinem Debüt bei den Bayreuther Festspielen 2000 („Die Meistersinger von Nürnberg“). In diesem Jahr hat Thielemann nicht nur den Kanon aller zehn Wagner-Opern im Bayreuther Festspielhaus vollendet, dazu Sonder- und Extra-Konzerte dort geleitet, sondern steht nun mit 161 Aufführungen an der Spitze aller Dirigenten, die jemals in Bayreuth gearbeitet haben (hier finden Sie das Ranking, das die Pressestelle der Bayreuther Festspiele 2017 auf unsere Anfrage hin zusammengestellt hat).
Fünf-Sterne-Besetzung
Ein Wunder an Intensität und Stimmgewalt ist Stephen Gould – ein besserer Tristan dürfte sich zurzeit wohl schwer finden lassen. Insgesamt ist die Sängerleistung eine wahre Freude. Christa Mayer als Brangäne ist einfach grandios – als Beispiel sei hier nur ihr mahnender Ruf „Habet acht“, den sie hoch über dem Zuschauerraum singt, genannt. Diese weiche Stimme, die über dem anrührenden Bild von Tristan und Isolde vor der Videoprojektion herniederschwebt, ist schlicht zauberhaft. Auch Raimund Nolte als Melot, Iain Paterson als treu-vernünftiger Kurwenal und Tansel Akzeybek als junger Hirte sowie Kay Stiefermann als Steuermann zählen zu dieser Top-Besetzung. Vor Georg Zeppenfeld und seiner souveränen Art, den Marke zu singen (und zu spielen!) ziehen wir einfach den Hut, und auch Petra Lang bekommt viel Applaus, wenngleich ihre Isolde in dieser fünf-Sterne-Besetzung vielleicht doch nur viereinhalb abbekommt.
Warum auch bei der Premiere 2018 Regisseurin Katharina Wagner ausgebuht wurde, ist ein Rätsel. In diesem Stück, in dem ja bei Licht betrachtet außer innerer Dramen nichts passiert, gelingen ihr unglaublich berührende Momente und Bilder: der kleine Sternenhimmel, den sich Tristan und Isolde trotz gleißender Scheinwerfer schaffen, die Video-Projektion, in der Tristan und Isolde in ihrem Tunnel bis zum Verschwinden verkleinert werden, während sich hinter ihrem Rücken schon das Unheil aufbaut, die Dreiecke mit den Isolden im dritten Aufzug, und Isoldes Liebestod und ihrem nicht-loslassen-Können ist von höchster Intensität – getoppt durch das brutale Wegzerren durch Marke. Diese Interpretation mag vielleicht befremden, weshalb sich am Ende des Artikels die Anmerkungen von Regisseurin Katharina Wagner und Dramaturg Daniel Weber zu diesem Thema befinden.
Der Schluss geht jedenfalls ordentlich unter die Haut – der einsetzende Applaus in die letzten, nachschwebenden Klänge, während der Vorhang noch fällt, auf die Nerven. Der lange Jubel ist tatsächlich nicht übertrieben – vor allem für Christian Thielemann und seinen rauschhaften Tristan-Cocktail aus Präzision, Feinsinn und viel Emotion.
Ein „Ja!“ zum „Sein“
Im Pressetext zu „Tristan und Isolde“ schreiben Regisseurin Katharina Wagner und Dramaturg Daniel Weber:
„Tristan und Isolde“ als „Handlung“ zweier Menschen, deren Wirklichkeit von Beginn an perspektivlos und unüberwindbar ist: Es existiert nicht für jedes irdische Problem eine irdische Lösung. Beide wissen um das Dilemma, die Folgen sind ihnen in jedem Moment bewusst, sie nehmen die Konsequenzen an, nicht verklärt, verzweifelt oder unter dem Einfluss eines Zaubertrankes. Es ist ein „Ja!“ zum „Sein“ ohne moralische und gesellschaftliche Rechtfertigung, es gibt keine Alternative, alles andere wäre ein „Nicht-Sein“.
Tristan und Isolde selbst sind „schuldig“ – „Den furchtbaren Trank, der der Qual mich vertraut, ich selbst, ich selbst, ich habʼ ihn gebraut!“ wird die Partitur zitiert. Wenn Thomas Mann sagt, „nur ihr Glaube, den Tod getrunken zu haben, löst sie seelisch aus dem Sittengesetz des Tages“, so bedarf es nicht einmal eines „reinen Wassers“, „was die Liebenden trinken“.
Wie könnte der Ziehvater und Bräutigam, der König, auf eine solch rücksichtslose öffentliche Provokation verständnisvoll reagieren? Wenn es nicht einmal die Liebenden selbst wagen, auf seine Güte und Selbstlosigkeit zu hoffen, stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit seiner balsamischen Worte umso mehr. Brangänes und Kurwenals aussichtslose und verzweifelte Versuche, den Gang der Dinge zu beeinflussen, müssen scheitern; sie wissen natürlich, was das Verhalten ihrer Herren zur Folge hat. Nicht nur die Sorge um Tristan und Isolde bestimmt ihr Handeln, auch die Verzweiflung über die Frage der eigenen Existenz treibt sie zunehmend an. Doch sie können Tristan und Isolde nicht trennen, sich ihnen nicht in den Weg stellen oder ihr Drängen zueinander verhindern.
Brangäne und Kurwenal können ebenso wenig Markes Mauern überwinden, noch sich seiner gleißenden Verfolgung entziehen. Die Realität ist eng, trostlos und aussichtslos. Die verhängnisvolle Dreieckskonstellation treibt die Protagonisten in die Ecke, jagt sie wie Tiere, die man in die Enge treibt. (…)
Ob die verklärende oder verklärte Isolde „in Brangänes Armen sanft auf Tristans Leiche“ (Szenenanweisung Richard Wagner) sinkt, ob sie stirbt, mit Marke leben oder durch Marke sterben muss: „Sie mußten beide sterben“.