Es ist eine seltene Gelegenheit, den großen Tenor Plácido Domingo live und plaudernd zu erleben. Wir haben die Möglichkeit genutzt und die Veranstaltung „Menschen in Europa“ der Verlagsgruppe Passau besucht, wo der Opernstar am Dienstag (29. November 2017) den MiE-Kunst Award in Empfang nahm. Natürlich auch in der Hoffnung, etwas über das bevorstehende Debüt als Dirigent der „Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen zu erfahren. Das allerdings vergeblich.
„Domingo größter Künstler aller Zeiten“
Dafür lernte man den Menschen Domingo kennen, der sich seit dem schweren Erdbeben in Mexiko 1985, bei dem auch vier seiner Familienmitglieder ums Leben kamen, für die SOS-Kinderdörfer als Botschafter engagiert; der nicht verstehen kann, dass im 21. Jahrhundert Menschen immer noch nicht aufgehört haben, Kriege zu führen; einen Familienmenschen, der seit 54 Jahren glücklich mit seiner Frau Marta verheiratet ist und zugibt, nicht auf den Hochzeiten seiner Söhne gesungen zu haben, weil es ihm emotional zu sehr unter die Haut ging. Rolando Villazón hielt die Laudatio und schwärmte vom „größten Künstler aller Zeiten“ (Foto oben: © PNP/Birgmann)
Wären damals in Hamburg, wo der junge Sänger Plácido Domingo im Januar 1967, also vor 50 Jahren, als Cavaradossi („Tosca“) seine Weltkarriere begann, nicht fast ausschließlich amerikanische Kolleginnen und Kollegen engagiert gewesen, „ich würde heute wahrscheinlich in perfektem Deutsch zu Ihnen reden“, erzählt Plácido Domingo – in englisch. Irritiert ist er kurz, weil er die Übersetzungsübertragung ins Ohr nicht richtig funktioniert, weshalb flugs eine Übersetzerin auf die Bühne im Atrium des Medienzentrums Passau geholt wird und die Fragen, gestellt von Ex-Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel, direkt dolmetscht.
Plácido Domingo ist ein freundlicher Interviewpartner, der nicht nur über Kunst, sondern auch Fußball – seine weitere Leidenschaft – spricht und das Hohelied „seines“ Fußballvereins Real Madrid „Hala Madrid y nada Mas“ losschmettert (hier geht’s zum Video). Dann lässt er sich aber nicht mehr gern bitten, „irgendetwas“ zu singen. „Wissen Sie“, erklärt er, es mache ihm gar nichts aus, in der Oper seine Partie zu singen, aber einfach drauf los, „da bin ich einfach zu schüchtern“, will er sich aus der Affäre ziehen. Das ist der große Moment der Dolmetscherin, die ihn zum berühmten „Chielito lindo“, einem mexikanischer Gassenhauer, anspornen kann. Das Publikum ist begeistert. Genauso wie der Sänger, der die „Gesangspartnerin“ zum nächsten Konzert mit Rolando Villazón einlädt.
148 Partien intus
Ansonsten großes Staunen über einen großen Künstler, der 148 Partien beherrscht, von denen er „jede liebt, die ich gerade singe“, wie er diplomatisch keinen Favoriten nennt, und der auch als Dirigent einen Namen hat. Er leitete Vorstellungen u. a. in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, oft auch an der MET in New York – und im Sommer erstmals bei den Bayreuther Festspielen (Walküre), ein Debüt, das mit Spannung erwartet wird. Als Generaldirektor der Los Angeles Opera habe Domingo dafür gesorgt, „dass Oper in Los Angeles wieder Bedeutung hat“, wie Rolando Villazón eine weitere Leistung hervorhebt. Dazu kommt die Nachwuchsförderung unter anderem durch die Gründung des Wettbewerbs „Operalia“, bei dem auch Villazón entdeckt wurde.
Und man erlebt einen humorvollen Superstar, der auf die Frage, ob der denn unter der Dusche singt, lacht und bekräftigt, dort erlebe man „my best performances“; und auf die Frage nach dem Rezept für eine lange glücklich Ehe einen Witz erzählt, der von einer alten Frau handelt, die seit 75 Jahren mit ihrem Mann verheiratet ist. Ob sie jemals an Scheidung gedacht habe, wird sie zur Kronjuwelen-Hochzeit von einem Reporter gefragt. „Nein, niemals“, bekräftigt sie, „nein, nie. An Mord dagegen mehrmals…“.
Rolando Villazón, der von Domingo entdeckt wurde und mit dem ihn heute eine offensichtlich gute Freundschaft verbindet, hält die Laudatio auf Plácido Domingo, „den Freund, den wunderbaren Menschen, den generösen Mann“, von dem er heute noch viel lernt. Villazón bewundert Domingo für seine Authenzitiät, seine Bühnenpräsenz, Großzügigkeit, die Vielseitigkeit und sein großes Engagement, „das alles verstärk durch Liebe zu allem was er tut“, schwärmt der quirlige Sänger in ausgezeichnetem Deutsch. Als Villazón mit einem „Viva Maestro Plácido Domingo!“ endet, schließt sich auch das Publikum mit Standing Ovations an und Verlegerin Angelika Diekmann überreicht den „MiE Kunstaward“.
Es gibt ein Live-Video von der eineinhalbstündige Veranstaltung in Passau, das hier zu sehen ist.
Beim Essen nicht stören!
Wir haben nun zwar (noch) nicht erfahren, wie sich Plácido Domingo, nachdem er 1992 bis 1995 Parsifal und 2000 Siegmund in „Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen gesungen hat, auf sein Debüt im legendären und schwierigen Orchestergraben des Festspielhauses vorbereitet (wir bemühen uns um eine Antwort). Dafür wissen wir jetzt, was den Star, der sicherlich „kein Divo“ ist, wie er selbst sagt und der auch an diesem Abend keine Allüren zeigte, nervt: Nach einer Vorstellung im Restaurant von Autogrammjägern belagert zu werden, da kennt seine Freundlichkeit dann Grenzen.
Bei den Bayreuther Festspielen 2018 ist Plácido Domingo als Dirigent dreimal zu erleben, in den Zusatzvorstellungen von „Walküre“, die in der Inszenierung von Frank Castorf am 31. Juli sowie 18 und 29. August auf dem Spielplan steht. Mehr