Siegfried, Bayreuther Festspiele 26. August 2017, Nadine Weissmann, Thomas J. Mayer

Siegfried wie ein Vulkan

„Siegfried“ ist das wohl am wenigsten populäre Stück im „Ring des Nibelungen“ von Richard Wager. Keine großen Chorszenen, kein Hojotoho. Nur lange Dialoge – zwischen Mime und Siegfried, Mime und Wanderer, Wanderer und Alberich, Siegfried und Waldvogel, Siegfried und Brünnhilde… So ein Dialog lässt sich langweilig gestalten, oder man schafft es, einen Vulkanausbruch nach dem nächsten zu zaubern – mit dem Höhepunkt Erda und Wanderer (Bild oben, © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele).

Beeindruckende Siegfried-Bühne

Bei dieser letzten Vorstellung dieses „Siegfried“ (26. August) möchte man schon wehmütig werden, als sich der Vorhang öffnet und den Blick auf den gigantischen Mount Rushmore freigibt, der nach dieser Vorstellung wohl leider ein Fall für die Kettensäge wird. Es ist ein Meisterwerk von Bühnenbildner Aleksandar Denic, samt  Gegensatz auf der Rückseite, dem miefigen Alexanderplatz mit Postamt, U-Bahnschacht und natürlich den Krokodilen. Die Reptilien – so hat es Frank Castorf in seiner Kinderheit gehört – seien bei den Bombenangriffen auf Berlin aus dem Zoo ausgebüxt und hausen nun im Untergrund hausen. Bei „Siegfried“ erobert das verrückte Rudel, mittlerweile auf sieben angewachsen, auch die Erdoberflächte, worüber selbst der alte Herr in der Vorderreihe herzhaft lachen kann.

Grandiose Orchesterleistung

Es ist eine Vorstellung, die ein bisschen mehr ist als eine normale Vorstellung. Freilich darf man davon ausgehen, dass alle Mitwirkenden, sei’s auf der Bühne oder im Graben, immer das Beste geben wollen. Oft gelingt das gut, manchmal grandios. So wie beim letzten „Siegfried“ bei den Bayreuther Festspielen. Das Orchester unter Marek Janowski war eine wahre Freude, da gelang alles ganz besonders schön, inklusive dem berühmten Siegfriedruf.

Die Spannung über so lange Zeit, in der im Grunde so wenig passiert, zu halten, das ist schon ganz große Kunst. Dazu gehört nicht nur eine durchwegs hervorragende Sängerleistung, sondern auch die Lust aufs Spielen. Und das wollten alle, was sicher auch Verdienst von Dauerstatist Patric Seibert ist, der sich so in die Szene steigert, dass niemandem mehr etwas peinlich sein muss. Als er auf dem Alexanderplatz Erda und Wanderer die fünfte Flasche schlechten Rotweins serviert, bekommt man es schon mit der Angst zu tun, dass es gleich Scherben gibt, so aufgeheizt wird die Stimmung.

Siegfried, Bayreuther Festspiele 26. August 2017, Stefan Vinke, Andreas Conrad
Großartige Leistung: Stefan Vinke als Siegfried und Andreas Conrad als Mime. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Und die Stimmen. Ganz große Klasse die Leistung von Stefan Vinke und seinem Kraftakt als Siegfried. Und man mag es ihm auch kaum verzeihen, dass er Mime Andreas Conrad zur Strecke bringt, so großartig hat er gesungen. Einen beeindruckend düsteren Alberich gibt Albert Dohmen, Karl-Heinz Lehner als Fafner gönnt man ebenfalls kein so brutales Ende. Einen wundervollen Waldvogel gibt Ana Durlovski, die trotz des schweren Prunkkostüms mühelos  nicht nur die Rolle, sondern auch ihre Partie gibt. Thomas J. Mayer als Wanderer ist keinen Moment lang anzumerken, dass er sein Debüt in dieser Produktion gibt. Das war eigentlich für letztes Jahr geplant, Mayer übernahm aber dann doch kurzfristig den „Holländer“ und gefällt somit erst diesmal in Siegfried mit kraftvoll-elegantem Auftritt, der bis auf den Gipfel des Mount Rushmore führt. Das ist zwar auf manchen Plätzen mit Höreinschränkungen verbunden, gibt aber ein beeindruckendes Bild von der tatsächlichen Größe der Menschen.

Siegfried, Bayreuther Festspiele 26. August 2017, Stefan Vinke, Thomas J. Mayer
Der Mensch ist plötzlich ziemlich klein: Stefan Vinke als Siegfried und Thomas J. Mayer als Wanderer auf dem Gipfel von Mount Rushmore in „Siegfried“. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Wenn die Handlung schon nicht so viel hergibt, macht das die Inszenierung wett – und immer wieder sagt sie: Achtung, so heil und strahlend ist die Welt nicht, und – wie man weiß – am Ende der Götterdämmerung geht ja alles den Bach hinunter. Am schönsten wird das im wahrsten Sinne des Wortes unterstrichen, wenn die großartige Catherine Foster als Brünnhilde das Licht begrüßt und sich über die Mount-Rushmore-Gesichter ein Licht wie Zuckerguss legt. Catherine Foster hat sich in den fünf Ring-Jahren so hervorragend in Bayreuth eingespielt, dass man sich den Ring ohne sie nicht vorstellen mag – und ja auch nicht muss, denn wenn nächstes Jahr nochmal „Walküre“ auf den Spielplan kommt, ist auch sie wieder in ihrer Paraderolle dabei.

Mondäne Erda

Eine Paraderolle hat in diesen fünf Jahren auch Nadine Weissmann gefunden. Als Erda muss sie keine langweilige, weise Alte spielen, sie gibt die mondäne Lady im Rheingold, verratene und betrogene Edelnutte in „Siegfried“. Und sie singt das mit unglaublicher Pracht und Wut in der Stimme.

Was war dieser „Ring“ von Frank Castorf ausgebuht und beschimpft worden. Das Bayreuther Wunder passiert gerade wieder: Am Schluss mag das Publikum diese Inszenierung, natürlich auch dank der großartigen Besetzung. Schade nur für die Statisten, die sich in den schweren Krokodilskostümen wirklich abgeschunden haben, dass sie ein paar Buhs abbekommen. Unterm Strich aber: Großer Jubel für alle.

Siegfried, Bayreuther Festspiele 26. August 2017
Die Krokodile auf dem Alexanderplatz, auch sie sind nach fünf Jahren Kult geworden. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Ralf Grossmann
    27. August 2017 17:08

    Da sitzen also die passiven Leute, deren kreativen Verdienste im Vagen bleiben, vielleicht ist Ihr Geld ihr einziges Verdienst, und buhen Statisten aus. Wie arm ist das denn?

    Antworten

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