Glücklich, wer eine Karte für „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen ergattert. Es ist der authentischste aller Aufführungsorte, weil genau dafür das Festspielhaus gebaut wurde. Und so ist auch knapp 150 Jahre später alles andere als die Musik noch Nebensache. Ob man also die aktuelle Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg nun langweilig oder dem Anlass voll und ganz angemessen findet – Hauptsache die Musik stimmt. Und dieser Anspruch wird in jedem Fall voll und ganz erfüllt.
Sogar das Ehepaar aus Oberbayern ist begeistert. Dabei waren die beiden älteren Herrschaften eigentlich wegen Klaus Florian Vogt gekommen und hatten gar nicht mitbekommen, dass der nur im Premierenjahr die Titelpartie sang. Es ist schon erstaunlich, wie uninformiert es sich auch heute noch gut leben lässt.
Hauptsache Musik
Wenn man einen schönen Platz in der Mitte des Parketts hat, genießt man die hervorragende Akustik des Hauses, aber leider unter Umständen unter suboptimaler Sicht, zumindest dann, wenn man die Rückseite eines 1,85-Meter-Herrn samt hohem Lockenkopf obendrauf nicht als unbedingt abendfüllend betrachtet und sich die Personenregie auf die Bühnenmitte beschränkt. In chorarmen Szenen sieht man dann – wenig bis nichts.
Das Blutbad des Six-Pack-Amfortas Ryan McKinny nicht – in der Szene fließen übrigens rund neun Liter Theaterblut unterschiedlicher Konsistenzen -, nicht den Verführungsversuch der wunderbaren Elena Pankratova als Kundry am temperamentvollen Andreas Schager als Parsifal ebensowenig wie ihre Auseinandersetzung mit Klingsor, und auch die unschuldige Duschszene im dritten Akt kennt man in dem Fall nur aus der Erinnerung des Vorjahres. Als Ausgleich kann man sich auf den Alten auf dem Stuhl über der Szene konzentrieren. Vielleicht thront er genau deshalb dort.
Die Sicht- und Sitzverhältnisse im Festspielhaus sind ja legendär. Es gilt der Musik – und die lässt keine Wünsche offen. Elena Pankratova hat ihre Kundry zum Premierenjahr noch einmal gesteigert, schraubt ihre Stimme scheinbar mühe- und völlig kreischlos in die Höhe, Andreas Schagers Tenor ist vielleicht manchmal zu heftig vor lauter Kraft, Ryan McKinny kann wunderbar als Amfortas leiden und Karl-Heinz Lehner als Titurel ziemlich ätzend sein. Auch mit Derek Welton ist ein hervorragender Klingsor gefunden.
Jubelfest im Festspielhaus
Kein Wunder aber, dass beim regelrechten Jubel-Fest am Ende Georg Zeppenfeld den größten Anteil bekommt. Seinen Gurnemanz zu hören ist reiner Genuss. Zeppenfeld gestaltet die Partie bewundernswert mühelos, was sie sicher keineswegs ist. In jeder Stimmlage nobel, dunkel, durchdacht und wenn’s sein muss über das Orchester hinweg.
Das Festspielhaus erlebt somit einen weiteren Abend voller glücklicher Menschen, die natürlich auch Dirigent Hartmut Haenchen für seinen filigranen Orchesterklang feiern. Es war der vorletzte Abend seiner Bayreuther Zeit. Nächstes Jahr wird Haenchen ja von Semyon Bychkow am Pult abgelöst (hier der Bericht über die weiteren Neuen bei den Bayreuther Festspielen 2018).
Die Kritik ist zwar nicht unbedingt glücklich mit der Inszenierung, das Publikum hingegen schon. Die Regie ist ruhig, es gibt – vielleicht vom blutenden Jesus-Amfortas abgesehen – keine verstörenden Bilder. Einzig ärgerlich ist, dass der Chor, der im Hintergrund in der Verwandlungsszene steht, wegen des robusten Kirchenschiffs kaum zu hören ist.
Erlösung für alle
Aber freilich wird der formidable Chor unter seinem Leiter Prof. Eberhard Friedrich wieder groß gefeiert, als dieser sich auf der offen gebliebenen Bühne formiert. Erlöst wurden nämlich alle, nicht nur die Herrschaften auf der Bühne, sondern auch das Publikum, was durch ein angehendes Saallicht zum Ende dieser wunderbaren Musik verdeutlicht wird.
Beachtlich: Nach jedem Akt herrscht erst einmal andächtige Stille. Das Publikum der Nach-Premierenzeit ist scheinbar Genuss-gewillter als Herrschaften in der Anfangszeit, die oft gar nicht schnell genug den Vorhang schließen sehen, um ihr Buh (seltener spontanes Bravo) loszuwerden.
Applaus nach dem ersten Akt Parsifal?
Die Stille hält vor allem nach dem ersten Aufzug, zumal es ja eine meisterliche Anweisung gibt, das Publikum möge doch Applaus unterlassen. „Ein Missverständnis“, sagt der Richard-Wagner-Experte Dr. Sven Friedrich, Leiter des Wagner-Museums in Bayreuth, vergangenes Jahr im Interview mit dem Festspielmagazin von TAFF: Wagner habe lediglich gebeten, die Sänger mögen nicht vor den Vorhang treten. „Er wollte die Illusion aufrecht erhalten und sah das durch sich verbeugende Sänger gestört“, erklärt Friedrich, der übrigens jeden Festspieltag im Festspielhaus den Einführungsvortrag hält (Beginn: 10.30 Uhr). Jene Anweisung habe jedenfalls dazu geführt, „vielleicht auch in Verbindung mit einer gewissen religiösen Ergriffenheit am Ende des ersten Aktes, dass nicht mehr geklatscht wurde“. Friedrich weiß jedoch, dass Wagner selbst seinen Blumenmädchen begeistert Applaus gespendet habe – in der Szene. Heute undenkbar! Darum: Wenn jemand nach dem ersten Akt seiner Begeisterung Ausdruck verleihen will, der sollte, so Wagner-Experte Friedrich, „das bitte unbedingt tun“.