Es gibt ganz gute Gründe, nicht unbedingt bei der Premiere der Bayreuther Festspiele dabei sein zu wollen. Natürlich ist es einerseits spannend, dem Lüften des diesmal nur relativ gut gehüteten Regiegeheimnisses beizuwohnen. Andererseits sind die Herrschaften auf der Bühne auch nur Menschen. Und bei „Die Meistersinger von Nürnberg II“ am Montag (31. Juli) wurde man den Eindruck nicht los, dass es sich deutlich entspannter singt, wenn der Trubel des ersten Mals vorüber ist und nicht Fernsehkameras jedes Schweißdetail einfangen. Ein Drama wiederholte sich aber auch bei der zweiten Aufführung: Jubel gab es für alle – nur nicht für Eva. (Beitragsbild: © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele)
Vorwissen ist besser
Als Zuschauer hat man zu diesem Zeitpunkt die Familiensaga Wagner, als die Barrie Kosky die „Die Meistersinger von Nürnberg“ inszeniert hat, mindestens einmal gesehen, oder mehrmals – im Internet, im Fernsehen, wenn man zu den ganz Glücklichen gehörte, auch schon in einer Probe. Die Kritiken sind gehört und gelesen und man kann sich nun deutlich entspannter auf den engen Sitz im Festspielhaus Bayreuth fallen lassen, weil man nicht ständig gefordert ist, zu schauen, welches der Details auf der Bühne nun tatsächlich wichtig ist, was nur Gag. Zum Beispiel die beiden Neufundländer Molly und Marke, die Herr Wagner nach dem Spaziergang gleich im Vorspiel hereinbringt. Die beiden wohl gepflegten Burschen sind so niedlich – wie belanglos. Davon lässt sich das eine oder andere in den kommenden fünf Stunden zwischen Villa Wahnfried und dem Schwurgerichtssaal der Nürnberger Prozesse entdecken.
Zu erleben sind aber auch wundervolle Momente und beeindruckende Bilder zu denen Chor mit Statistenverstärkung im ersten und im dritten Aufzug eindrucksvoll erstarren. Jeder ist Richard Wagner: David, Walther von Stolzing, Hans Sachs auch. In dieser Konsequenz haut indes die Rolle der Cosima-Eva nicht hin. Denn sie ist nicht wenigstens zwei- oder dreimal besetzt, sondern muss den Rollenwechsel allein vollbringen, weshalb man Anne Schwanewilms als Opfer der Regie bezeichnen möchte. Siehe Beitragsbild: Übers schwarze Kleid kommt ein bunter Schal und Cosima ist Eva.
Viertelstunde Jubel
Regisseur Kosky hatte sich ausdrücklich eine ältere Eva gewünscht, damit Evchen auch Cosima geben kann. Anne Schwanewilms lässt sich auf das Experiment ein und übernimmt Eva als Debüt. Und das, wo sie längst die Marschallin (Rosenkavalier) singt. Da ist sie sicher ganz formidabel. Jetzt aber wie ein Backfisch herumhüpfen und ihren Traummann bedingungslos anhimmeln zu müssen, das wirkt bei der offensichtlich gestandenen Frau kein bisschen authentisch. Beim schwulen Meistersinger Hans Folz (Timo Riihonen) schaut das wesentlich witziger aus. Die Männer kommen da bei Koskys „Meistersingern“ besser weg.
Am Ende kommt es, wie schon bei der Premiere kam: Buhs für Schwanewilms, die sich noch dazu in dieser nahezu perfekten Besetzung einfach nicht behaupten und einem allein darum leid tun kann. Michael Volle als Sachs, Klaus Florian Vogt als Stolzing, Johannes Martin Kränzle als Beckmesser, Daniel Behle als David, Günther Groissböck als Vater Pogner bzw. Franz Liszt – besser geht nicht. Und da auch Magdalene in kein Schema gepresst wurde, ist auch mit Wiebke Lehmkuhl eine hervorragende Besetzung geglückt. Fast selbstredend, dass auch der Chor unter seinem Leiter Eberhard Friedrich eine Spitzenleistung ablieferte, ebenso sowie das Orchester, das unter Philippe Jordan viel Pomp aus der Partitur genommen hat. Bei lautstarkem Getrampel mochte man Angst ums ehrwürdige Festspielhaus haben. Umso bitterer, wenn der fast viertelstündige Jubel nur fast allen gilt.
Über die Regie ist ja mittlerweile vieles, wenn nicht alles gesagt. Nach der Premiere am 25. Juli haben wir einige interessante Kritiken gesammelt. Hier zum Nachlesen und Nachhören.
Gesammelte Meistersinger-Kritiken
http://www.nordbayerischer-kurier.de/nachrichten/die-meistersinger-endlich-wieder-ein-coup_593482
http://www.tagesspiegel.de/kultur/bayreuther-festspiele-wahnfried-vor-gericht/20110970-all.html
http://www.stern.de/weckruf-barrie-koskys-bayreuther–meistersinger–umjubelt-7553736.html
festspieleblog berichtete am Premierenabend vom Livestream auf BR-Klassik.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Jordan hatte das Orchester vor allem bei den großen Chorszenen nicht im Griff.Hier lagen oft Chor und Orchester weit auseinander.Eine andere Eva und noch Thielemann.Das wäre wohl eine Jahrhundertaufführung geworden…