Im Radio-Auditorium gab es andere Meinungen – im Festspielhaus ausschließlich Bravo, Jubel, Getrampel am Ende von Tristan und Isolde. Für alle Sängerinnen und Sänger und für Dirigent Christian Thielemann. Das soll schon einmal an erster Stelle stehen.
Buh vor dem Schlussakkord
Und dann erst kommt das Ärgernis des Abends: Ein Buh in die Schlussakkorde des Tristan. Es ist die Stelle, an der König Marke – neu: René Pape – die trauernde Isolde brutal wegzieht, während sie an Tristans Totenbett leidet.
Eine Regieidee von Katharina Wagner, die den König als besitzergreifenden Tyrannen zeigt, was im Grunde nicht abwegig ist, aber von Anfang an umstritten war. Es gibt viele Wagnerianer, die diesen Typus Marke nicht nachvollziehen können/wollen. So muss es auch sein. Katharina Wagner und ihr Dramaturg Daniel Weber stellen sich dieser Meinung auch beim Schlussapplaus und ernten nicht durchwegs Begeisterung. Doch es bleibt ein Rätsel, was einen Herrn – warum echauffieren sich eigentlich immer die Herren derart unflätig? – geritten hat, 2000 Menschen, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Ehemann Prof. Joachim Sauer, so brutal mit seinem Buh stören muss, zumal die Inszenierung ja bekannt ist. Man hätte also am Radio bleiben können. Nach dieser Tristan-Premiere gibt es überraschend viele Buhs für die Regie, gefühlt zumindest mehr als in den Vorjahren. Die Kanzlerin saß übrigens, wie so oft bei den Bayreuther Festspielen, ganz normal mitten im Publikum. Und: Sie zahlt ihre Karten selbst (Ausnahme: Premiere).
Werkstattgedanke bei Tristan
Zurück auf die Bühne: Der Werkstattgedanke Bayreuth zeigt sich bei diesem Tristan. Weniger, weil Regisseurin Katharina Wagner viele Änderungen vorgenommen hat. Sondern im Gegenteil: Weil etwas zusammenwächst. Nach dem holprigen Beginn 2015, als die ursprünglich gesetzte Isolde kurz vor der Generalprobe absprang und fürs Premierenjahr (inklusive Live-Übertragung und DVD-Produktion) kurzfristig ersetzt werden musste, übernahm 2016 Petra Lang – ein waghalsiges Rollendebüt. Und wie so oft bei Fachwechseln war es nicht unumstritten.
„Zu tief“ raunzt das Facebook-Publikum. Stephen Gould wiederum hat im Interview mit dem Festspielmagazin „Hojotoho“ kürzlich betont, dass seine und die Stimme seiner Partnerin hervorragend zusammenpassen und auch eine ausführliche Erklärung dazu geliefert. Das Interview gaben Petra Lang und Stephen Gould übrigens gemeinsam und man merkte bereits da, dass beide harmonieren.
Harmonie auf der Bühne
Diese Harmonie im persönlichen Sinne ist in diesem Jahr auch auf der Bühne angekommen. Petra Lang erklärte in besagtem Interview, dass die Partie ein Jahr nach dem Debüt und diverse Vorstellungen später jetzt Spaß zu machen. Und das merkt man. Glichen die Annäherungen zwischen Tristan und Isolde im Treppengewirr letztes Jahr noch als vorgegebene Gymnastik – Katharina Wagner führt eine sehr präzise Personenregie – sieht es in diesem Jahr tatsächlich so aus, als fielen Tristan und Isolde leidenschaftlich übereinander her.
Diese Emotion verliert sich auch in den folgenden Akten nicht. Sie verstärkt die Klaustrophobie, die Bühnenbildner Frank Schlössmann geschaffen hat. Sie bringt die zauberhaften Momente, in denen sich das Liebespaar unter der Decke, vor den gleißenden Scheinwerfern geschützt, mit Sternchenleuchten einen kleinen, friedlichen Platz schafft. Unglaublich berührend ist der Moment ihres Liebesduetts („Sink hernieder…“). Und mag man auch mit der „Todesmaschinerie“ mitten auf der Bühne irgendwie fremdeln, zeigt sie doch drastisch, dass Tristan und Isolde im Grunde zu diesem Zeitpunkt längst keine Lust mehr auf dieses Leben haben.
Einziger Wechsel im Tristan-Team war in diesem Jahr René Pape als König Marke. Es hätte kaum würdigeren Ersatz für Vorgänger Georg Zeppenfeld geben können. Ein präziser und gestrenger Bass, der nach zwanzig Jahren erstmals wieder in Bayreuth zu erleben ist.
Georg Zeppenfeld ist in diesem Jahr übrigens in Parsifal sowie erneut als Hunding zu erleben und sprang als Krankheitsvertretung kurzfristig zur Premiere als „Nachtwächter“ bei den Meistersingern ein. Fans haben also genügend Gelegenheiten, den noblen Bass bei den Bayreuther Festspielen zu erleben. Auch Zeppenfeld hatte ja, wie er im Interview letztes Jahr bekannte, durchaus seine Probleme mit der Rollendefinition des König Marke (hier das Interview mit Georg Zeppenfeld). Nichts destotrotz wird er ihn im nächsten Jahr wieder singen. Wie die Festspielleitung auf unsere Nachfrage bestätigte, wird die Partie des Marke in „Tristan und Isolde“ 2018 aufgeteilt: die eine Hälfte der Termine übernimmt René Pape, die andere Hälfte Zeppenfeld, der wiederum Gurnemanz abgeben muss. Es übernimmt, wie wir im Vorjahr schon berichtet haben, Günther Groissböck (hier das Interview). Zeppenfeld wiederum singt in der Neuproduktion „Lohengrin“ den König Heinrich (Interview folgt demnächst).
Wieder zurück zu „Tristan und Isolde“. Ein starkes Stück bei den Bayreuther Festspielen, das im dritten Jahr in ruhigeren Gewässern angekommen scheint. Katharina Wagner wirft ein neues Licht auf diese Liebesgeschichte ohne Happy End. Während es bei einem Stück wie den Meistersingern rund gehen kann, ist „Tristan“ mehr eine Interaktion zwischen zwei Menschen. Was zeigt man da in fünf Stunden? Nun, immerhin wird kein Klang durch Deckel über dem Bühnenbild gedämpft und es sind starke Momente zu sehen – und sei es eine völlig schwarze Bühne im dritten Akt. Durch den fetzt sich Stephen Gould mit unglaublicher Energie vorbei an 14 aufscheinenden Isolden und er lässt niemals erkennen, um welchen Kraftakt es sich hier handelt, an dessen Ende er mit einem „Isolde“ von dannen scheidet.
Großartiges Ensemble
Großartig, auch darüber ist sich das Publikum einig, ist Christa Mayer als Brangäne. Ihre Stimme klingt selbst aus dem Off – das ist die Beleuchtungsklappe, zu der sie während des Aktes und rennen muss – wunderbar. Ebenso wie Iain Paterson als Kurwenal und Tansel Akzeybek als Hirt und junger Seemann mittlerweile Top-Stammkräfte sind.
Was will man nach drei Jahren noch sagen?, befand Christian Thielemann kürzlich im Richard-Wagner-Museum, als er bei einer Veranstaltung „Tristan“ als wahres „Narkotikum“ beschrieb. Er pflegt es und beherrscht diese emotionale Giftmischerei par excellence. Im Gegensatz zum Vorjahr gab es diesmal auch kein einziges Buh für ihn. Und schon das damals war sicher nicht seiner musikalischen Leistung zu verdanken.
Riesiger Jubel also für diesen „Tristan“. Geteilte Meinungen für die Regie, wenngleich es auch viele Bravos gibt. Vielleicht macht es aber Spaß, einer Regisseurin, zumal wenn sie Festspielleiterin ist, bei dieser Gelegenheit eine reinzuwürgen.