Schade, dass solche Veranstaltungen nicht während der Bayreuther Festspiele stattfinden. Dann hätte der Saal der „Villa Wahnfried“ definitiv nicht ausgereicht, um die Zuhörerschaft beim unterhaltsamen wie gehaltvollen Talk in Wagners Wohnzimmer zu fassen. Gut drei Wochen vor der Auffahrt bei den Bayreuther Festspielen parlieren drei Hochkaräter über Richard Wagner: Stardirigent Christian Thielemann, der Musiker und Musikwissenschaftler Dr. Ulrich Drüner und Museumsdirektor Dr. Sven Friedrich (Bild oben, Mitte) als Gastgeber unternehmen unter dem Titel „Der fremde Vertraute“ eine Annäherung an Richard Wagner.
Diskurs ohne Streit
Es sollte ein Diskurs werden, hoffte Gastgeber Friedrich. Aber ein tiefenentspannter Christian Thielemann, Musikdirektor der Bayreuther Festspiele und bedeutender Wagner-Dirigent der Gegenwart schlechthin, sah an diesem Abend keinen Grund zum Streit – schon gar nicht mit seinem nicht minder interessanten Gegenüber, Dr. Ulrich Drüner, Bratschist, wie Thielemann selbst, wenngleich mit etwas differenzierterem Verhältnis zu Richard Wagner, was er in drei Büchern niedergeschrieben hat. Gerade erschien „Die Inszenierung eines Lebens“, eine 800-seitige Biografie über den Komponisten. „Was hat Sie da geritten?“. Moderator, Dr. Sven Friedrich, Theaterwissenschaftler, „geübter Zuschauer“ (Einführungsvorträge bei den Festspielen), Direktor des Richard-Wagner-Museums in Bayreuth und Gastgeber, gibt schon bei der Vorstellung den Vorgeschmack auf die Tonlage des Abends.
Keine Witze über Bratscher
Nur über Bratscher-Witze kann Christian Thielemann überhaupt nicht lachen, wie er zugibt: „Ich nehme die persönlich, da bin ich völlig humorlos“, verteidigt er den Berufsstand, der einmal seiner war und ihn immerhin bis in die Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker geführt hat, bevor er sich schließlich doch fürs Dirigentenleben entschied. Die Bratsche sei verantwortlich für die Harmonie im Orchester, argumentiert Thielemann und findet ein sich Lustigmachen als „ungerecht“. Das kann Dr. Ulrich Drüner nur unterstreichen: „Wir sitzen in der Mitte und hören alles“, nennt er den nächsten Vorzug des Instruments. Die Bratschen prägen den Gesamtklang, die Musiker können aus ihrer Perspektive das Werk auch als Kunstwerk verstehen, „es kann nur sein, dass wir ein bisschen mehr Zeit haben, darüber nachzudenken“, meint Drüner launig.
Ulrich Drüner, der von 1963 bis 1969 Musik und Musikwissenschaft studierte und 1987 über Richard Wagner promovierte, war Bratschist im Stuttgarter Kammerorchester und im Orchester der Staatsoper Stuttgart, wo er bei zahlreichen hochrangigen Wagner-Aufführungen mitwirkte. 3000 Dienste seien es gewesen, hat er grob überschlagen.
Die Mär vom armen Schlucker
Darüber hinaus ist Drüner Wissenschaftler: 1983 gründete er ein Musikantiquariat , was ihn auf die Spur von Richard Wagner brachte. 2003 legte er die erste Biografie vor, „aber ich war sehr schnell unzufrieden damit“, erklärt Drüner, warum er sich nochmal mit dem Komponisten auseinandersetzte.
„Ab der Pariser Zeit hat Wagner sein Leben nicht mehr dargestellt, wie es war, sondern hat es instrumentalisiert“, ist Drüner überzeugt. Da war der Beleg des Musikverlegers Schlesinger, der Wagner 1839 die Zahlung von 1425 Franc quittierte. Diese Quittung brachte den Musikantiquar auf die Spur. Und er fand weitere Belege, die einfach nicht auf einen Komponisten am Hungertuch hinwiesen. Drüner nennt die Anmietung einer feudalen Wohnung Paris samt noch luxuriöserer Ausstattung, womit er 7000 Franc Schulden anhäufte. Das war 1840. Damals verdiente, hat Drüner recherchiert, ein Landarbeiter 500 Franc im Jahr. Der Autor kommt zu dem Schluss: „Wagner hat in Paris sehr viel Geld verdient.“
Also hat er an seinem Image gestrickt. Da war der Luxus auf der einen und das Verschleiern von Geldproblemen auf der anderen Seite, „also findet man Feinde, denen man die Schuld in die Schuhe schieben kann“, erklärt Drüner. Und diese Feinde waren im jüdischen Musikverleger Schlesinger und im jüdischen Komponisten Giacomo Meyerbeer gefunden.
Erst Revolution, dann Geld verdienen
Immerhin habe Wagner ein ganz anderes Problem aufgedeckt: dass die meisten Musiker damals unter erbärmlichen Zuständen lebten. Dieser Kampf, sagt Drüner, den Wagner und auch sein Kollege Guiseppe Verdi („auch er hat getrickst“) 50 Jahre lang geführt haben, hätten den Grundstein für einen funktionierenden Kulturbetrieb gelegt. Drüner sieht aber auch einen Unterschied zwischen beiden Komponisten-Genies: „Wagner machte erst Revolution und verdiente später Geld. Verdi verdiente erst Geld und hat dann die Oper revolutioniert.“ Während Verdi pragmatisch seine Ziele verfolgt habe, ging es Richard Wagner ideologisch an.
Damit fiel bei aller heiteren Auseinandersetzung das zwangsläufige Stichwort, wenn es um Richard Wagner geht – seine Ideologie, sein Antisemitismus. Christian Thielemann erfuhr davon nach eigenem Bekunden nicht in der Jugend, „ich bin in einem absolut unpolitischen Haus aufgewachsen“, sagt er. Dass die Nazis („Der Mann mit dem Schnauzer“, Thielemann nennt den Namen Hitler nicht) Wagners Musik feierten, hat indes Museumsdirektor Friedrich verunsichert: „Warum gefällt mir etwas, was dem auch gefallen hat?“, habe er sich gefragt.
„Wollte Wagner verteidigen können“
Drüner wiederum begann, nachdem er zunächst von der Musik „wie von einer Wucht getroffen“ war, Mitte der 1970er Jahre, gerade frisch im Opernorchester angekommen, mit den Forschungen über Richard Wagner. Grund waren erste „Großangriffe“, also Veröffentlichungen über Wagner und seine Ideologie: „Das passte einfach nicht zusammen mit dem, was ich im Orchester erlebe“, erinnert er sich. Also begann er selbst mit der Forschung: „Ich wollte Wagner verteidigen können.“ Doch der Plan ging nicht ganz auf, Drüner stellte im Laufe seiner Recherchen fest, „dass nicht alles falsch war“, was er über Wagner gelesen hatte und saß „zwischen den Stühlen, zwischen einer historisch begründeten und einer musikalischen Wahrheit, die ich im Orchester erlebe“. Mittlerweile hat er sich arrangiert, aber „es war sehr harter und langer Kampf“.
Man sitzt ja im Wohnzimmer Wagners in der Villa Wahnfried. „Was würden Sie ihn fragen, wenn er jetzt hereinkäme?“, lässt Sven Friedrich spekulieren: „Warum sind Sie so ein furchtbarer Kerl gewesen?“, möchte in dem Fall Dr. Ulrich Drüner wissen, „er würde wahrscheinlich antworten: Ich musste so ein furchtbarer Kerl sein, um das Werk überhaupt zu schaffen, über das Sie 50 Jahre arbeiten können.“
„Ganz schnell weggehen“
Christian Thielemann würde im Fall, Wagner käme zur Tür herein, „ganz schnell weggehen und würde uns die Begegnung ersparen.“ Er hat eine ähnliche Situation ja schon erlebt, erzählt er von einem ersehnten Treffen mit einem von ihm hoch verehrten Künstler („keine Namen!“) – ein Desaster: „Ich war fassungslos und wünschte, hätte ich doch bloß nie dieses Gespräch geführt“, erinnert sich der Stardirigent an die unerfreuliche Begegnung. Das würde einem bei Wagner womöglich sogar bei Bach passieren („Who know’s?). Insgesamt fragt er sich, warum ausgerechnet Wagner und sein Werk in politischen Kontext gesetzt wird, Maßstäbe, die bei Bach oder Beethoven nicht angesetzt werden.
„Am Ende grandiose Musik“
Thielemann geht um die Musik. Und dass die Beschäftigung mit Wagner immer in einer politischen Diskussion zu münden habe, „will ich eigentlich bis heute nicht wahrhaben“. Ja, die Diskussion und die Biografie müsse man zur Kenntnis nehmen, „aber für uns als Musiker ist doch allein die Note wichtig.“ C-Dur habe keine politische Aussage, findet Thielemann – und bekommt Widerspruch von Dr. Drüner: Es sei schon ein Unterschied, wo das C-Dur gesetzt werde. C-Dur von vier Blockflöten gespielt, ergebe einen anderen Gesamtklang als von vier Posaunen, „das ergibt eine ganz andere Idee“. Der Kontext des Musikalischen kann brandgefährlich werden, es kommt sehr darauf an, was aus diesem Klangmaterial gemacht wird“, erklärt der Wissenschaftler. Thielemann gibt ihm „teilweise recht“. Natürlich verändere die Instrumentierung den Klangcharakter, was aber bei einer Orchesterfassung „nicht so weit geht“.
Thielemann stellt vielmehr die Frage: „Was hilft mir das Wissen um seine Biografie?“. Antwort: „Nichts. Ich werde den Tristan oder Meistersinger deshalb nicht anders interpretieren können.“ Der Text stehe an zweiter Stelle. Würde der des Preislieds von Hans Sachs ausgetauscht, „am Ende bleibt es grandiose Musik“.