Eine Operninszenierung von einst kann sehr langweilig sein, muss es aber nicht. Ein schönes Beispiel, dass Ästhetik von einst durchaus lebendig sein kann, ist das Revival von „Lohengrin“, den Wolfgang Wagner 1967 für die Bayreuther Festspiele inszenierte. Das Stück wurde nun als kompletter Nachbau am Nationaltheater Prag wieder aufgenommen. Katharina Wagner setzt die Inszenierung von damals anhand des Originalregiebuchs um und wurde mit ihrem Team bei der Premiere am Donnerstag (8. Juni) heftig gefeiert.
Revival-Regisseurin Katharina Wagner
Man denkt ja bei Opern von damals eher an andachtsvolles Schreiten oder an Damen, die sich dramatisch getroffen ans Herz greifen. So was gibt’s in diesem Lohengrin von 1967 zwar auch, dennoch lassen sich Charaktere finden. Elsa, zum Beispiel, die nicht grundsätzlich das Hascherl gibt, und sei es durch die Hand, die sie nicht begeistert, sondern eher zögerlich ihrem Ritter reicht.
Und wenn die Chordamen in wirklich ansehnlichen grau-silbernen Gewändern, nach den Ursprungsentwürfen von Thomas Kaiser herzvorragend nachentworfen, nach vorne schreiten, sieht’s aus wie ein Catwalk. Das sind kleine Feinheiten, aber sie bringen Leben und weniger Erhabenheit ins Stück.
Licht und Andeutungen beim Revival
Ein beeindruckendes Bühnenbild hat Marc Löhrer hinbekommen. Auch wenn durch die Größe des Nationaltheaters Prag – wie die Wiener Staatsoper nur kleiner und ohne 50er-Jahre-Restaurierungssünden! – die Dimensionen etwas gestutzt werden mussten, wirkt die Bühne kein bisschen langweilig oder gar altbacken. Wolfgang Wagner setzte auf Andeutung und den Zauber des Lichts. Im ersten und dritten Akten spielt die Szene vor kirchlichen Ornamenten, die sich auf dem abgestuften Bühnenboden fortsetzen. Es gibt kein Kämmerchen für die wunderhafte Szene zwischen Elsa und Ortrud, das Domportal ist angedeutet und das „Brautgemach“ gar nur eine Art Couch unter einem tempelartigen Baldachin.
Schwan als Projektion
Es gibt nicht mal einen echten Schwan. Der Ritters-Chauffeur erscheint lediglich als Lichtprojektion im Weißraum des Bühnenrunds und erinnert im dritten Akt an die berühmte Friedenstaube von René Magritte. Man möchte das fast als revolutionär bezeichen, angesichts von kitschigen Vogelvieh-Varianten, die man schon gesehen hat. Zum Beispiel 2016, als an der Semperoper Dresden die wesentlich jüngere Mielitz-Inszenierung ausgepackt wurde und alle Vorurteile von altmodisch bestätigte. Musikalisch freilich war’s in Dresden ein Hochgenuss.
Juwelen aus eigenen Reihen
Aber auch der aktuelle Prager Lohengrin muss sich nicht verstecken. Wobei man auch nicht vergessen darf, dass es sich beim Nationaltheater um ein klassisches Repertoire-Haus handelt, das sich weder einen Thielemann im Orchestergraben noch eine Anna Netrebko auf der Bühne leisten kann (und muss), dafür auch maximal 60 Euro fürs Ticket verlangt.
Dennoch bekam man alles andere als eine Sparversion zu sehen. Hoch ambitioniert und musikalisch einwandfrei. Vor allem die beiden Sängerinnen aus eigenen Reihen zeigen sich als wahre Juwelen: Dana Burešová als Elsa bezaubert stimmlich wie darstellerisch und optisch. Ein zierliches Persönchen, das nicht eine Sekunde lang ihre Stimme strapaziert, sondern glasklar und sicher eine zauberhafte Elsa gibt. Das boshafte Gegenstück, Eliška Weissová als Ortrud, steht mit ihrer wütenden Wucht in der Stimme nicht nach. Das hört man ebenso gerne wie den sicheren Bass von Jiří Sulženko.
Kurzfristig musste Stefan Vinke als Lohengrin für den erkrankten Christopher Ventris als Premieren-Lohengrin einspringen. Ein Gewaltakt. Wer Vinke jemals in Bayreuth gehört hat, also als Siegfried, weiß, dass seine Stimme mehr hergibt. Als Einspringer, der drei Tage zuvor noch „Siegfried“ in der Götterdämmerung an der Wiener Staatsoper gesungen hat, hielt er sich hörbar zurück. Am Ende gelang im jedoch eine einwandfreie Gralserzählung.
Vinke sprang kurzfristig ein
Von Constantin Trinks im Graben hätte man sich gewünscht, er würde weniger schwelgen und so auf der Tempobremse stehen. Sicher kam der Dirigent dem Sänger in Teilen entgegen. Aber schon das Vorspiel zog sich wie zäher Honig. Erst im dritten Akt taute Trinks langsam auf. Und der musikalische Leiter bekam am Schluss ebenso großen Applaus wie das gesamte Ensemble inklusive dem hervorragenden Chor.
Jubel gab es auch, als sich am Ende der Vorhang öffnete und sich das Regie- und Bühnenteam mit Katharina Wagner zeigte. Insgesamt ist diese Wiederaufnahme ein sehenswertes Experiment und ein ausgezeichneter Grund, die charmante Metropole Prag näher kennenzulernen.
Noch neun Aufführungen sind bis 2018 in unterschiedlichen Besetzungen auf dem Spielplan (Juni, September, März). Hier geht’s zum Nationaltheater Prag.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Die wiener Staatsoper wurde in den 50er jahren des letzten Jahrhunderts keineswegs restauriert sondern nach massiven Kriegszerstörungen wieder aufgebaut. In diesem Zusammenhang von „Restaurierungssünden“ zu sprechen mutet schon ziemlich merkwürdig an…
„Restaurieren“ bedeutet wiederherstellen, „renovieren“ erneuern, somit ist „restaurieren“ zweifellos das richtige Wort.