Die „Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner werden bei den Bayreuther Festspielen 2017 in neuer Inszenierung von Barrie Kosky zu sehen sein. Bei den Opernfestspielen der Bayerischen Staatsoper standen die „Meistersinger“ in diesem Jahr auf dem Programm und wurden am 8. Oktober zum letzten Mal aufgeführt. festspieleblog.de war dabei (Foto oben: Wolfgang Koch als Hans Sachs und Emma Bell als Eva, © Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper München)
Stark anfangen, zwischendurch schwächeln
Die „Meistersinger von Nürnberg“ sind wie ein Marathon — da heißt’s, die Kräfte gut einzuteilen, um fit für den Endspurt zu sein. Das Konzept beherzigt Regisseur David Bösch bei seinen „Meistersingern“ am Münchner Nationaltheater ganz ausgezeichnet. Erst mal stark anfangen, in der Mitte hin nachlassen, um am Ende ein Feuerwerk abzufackeln, das die Schwächen mehr oder weniger vergessen macht.
Ähnliches, also die Steigerung am Schluss, hätte man auch von Meister-Bewerber Robert Künzli alias Walther von Stolzing erwartet, zumindest erhofft. Bei aller grandioser Leistung des Abends, zeigt sich Künzli leider nicht als auch nur annähernd würdige Vertretung des Premieren-Stolzing, Jonas Kaufmann. Dass der Münchner Startenor sämtliche Partien vorerst abgesagt hat, mag ein Grund dafür sein, dass außergewöhnlich viele Karten am Eingang des Nationaltheaters angeboten wurden.
Meistersinger Wolfgang Koch
Es muss kein Kaufmann sein, um dennoch außerordentliche „Meistersinger“ zu erleben. Einer von mehreren Gründen dafür ist Wolfgang Koch, der die Mammutpartie des Hans Sachs wuppt, ohne zwischendurch sparsam werden zu müssen.
Ein grandioser Sachs-Sänger und erst recht -Darsteller. Er gibt dem Schuster die glaubwürdige Tiefe, lässt ahnen, dass zwischen ihm und Eva vielleicht doch ein bisschen mehr als Bewunderung gelaufen ist. Und sein „Wahn, Wahn, überall Wahn“, gerät zur düsteren Szene, die man heute auch wieder vielen Querköpfen vorhalten möchte. Den immer wieder wundervoll musikalischen, jedoch semantisch problematischen Schlusschor mit dessen „heil’ger deutscher Kunst“, für den man sich in Zeiten wie diesen immer irgendwie fremdschämen möchte, nimmt er das Himmelhochjauchzend, indem er sich abwinkend hinsetzt, sich eine Zigarette – bei Koch übrigens echt! – anzündet und sämtliches Heil dir, Hans Sachs eines sein lässt, das ihm herzlich egal ist.
Regieeinfälle schon gesehen
In den Pausen und auch an der langen Reihe vor der Garderobe am Schluss wird gejubelt über die Inszenierung. Sämtlicher Staub sei weg, in der Inszenierung, im Orchestergraben. Über die Regie lässt sich trefflich streiten, wobei es keine Bilder gibt, bei denen man nicht das Gefühl hat, sie nicht schon mal gesehen zu haben, zum Beispiel den Beckmesser im Goldanzug, betontriste Fassaden, und der Schuhwagen von Sachs kommt einem aus Castorfs Ring in Bayreuth auch bekannt vor.
So wendet man sich lieber der musikalischen Seite zu. Kirill Petrenko und sein Orchester sorgen tatsächlich für Glücksmomente, verzichten auf allzuviel Pomp, für die die Meistersinger ja zurecht geliebt werden, weil sie auch Fein- und Zartheiten herausfeilen. Das Vorspiel des dritten Aufzugs ist so nachdenklich, dass man sich an die Endzeitstimmung aus Parsifal erinnert fühlt.
Jubel fürs Orchester, Buhs für Stolzing
Der Jubel für Petrenko — auch von den Sängern — ist denn auch keineswegs eine Überraschung. Wohingegen Robert Künzli mit gnadenlosen Buhs abgewatscht wird. Das ist zwar nicht die feine Art, aber wie bereits angemerkt, war er in dieser musikalischen Topbesetzung die echte Schwachstelle. Darstellerisch bemüht, stimmlich unterpräsent, in beiden Meisterliedern galoppiert er dem Orchester geradezu davon, weshalb man das Gefühl nicht los wird, dass der Mann nicht weiß, was er da singt, weshalb er schnellstmöglichst damit fertig werden will.
Die weiteren Spitzen des Abends: Natürlich Georg Zeppenfeld, dessen Partie des Veit Pogner nicht allzuviel Zeit lässt mit edlem Bass zu glänzen (wir führten im Sommer ein ausführliches Interview mit Georg Zeppenfeld). Benjamin Bruns gibt einen netten David und brilliert vor allem in den Höhen mit glasklarer Stimme. Eine angenehme Überraschung ist Martin Gantners Sixtus Beckmesser. Weniger sein Kostüm, dessen Goldpallietten-Anzug wir schon anno 2010 in Bayreuth gesehen haben, als seine Präsenz auf der Bühne und sein strahlender Tenor sind es, die begeistern. Mühelos überflügelt er Konkurrent Stolzing.
Die Damen liefern sehr solide Leistungen ab. Claudia Mahnke gibt eine jugendlich frische Lene. Emma Bell als Eva versprüht jugendlichen Charme, wenngleich man dankbar für die Übertitel ist. Allerdings: Das Quintett im dritten Aufzug hat enorme Gänsehautqualität.
Wahre Meistersinger
Die Münchner Meistersinger machen also ihrem Namen zum Großteil alle Ehre. Ein Genuss, diesen Abend erleben zu können. Und nicht zufällig trifft man im Publikum eine Vielzahl von Bayreuth-Stammbesuchern (Eva Wagner-Pasquier wird übrigens in der Proszeniumsloge gesichtet). Einige sind so große Fans dieser Inszenierung bzw. der Besetzung bzw. von Kirill Petrenko geworden, dass sie schon zum wiederholten Male da sind, um begeistert zu sein und gespannt der Festspielsaison 2017 entgegenzublicken. „Die Meistersinger von Nürnberg“ haben ja 2017 Premiere bei den Bayreuther Festspielen in der Regie von Barrie Kosky, gerade als Regisseur des Jahres 2016 von der Fachzeitschrift „Opernwelt“ gekürt.
2017 Premiere bei den Bayreuther Festspielen
Auf der Sängerseite wird Klaus Florian Vogt als Walther von Stolzing sicherer Punktsieger bei den Bayreuther Festspielen gegen die „Meistersinger“ von München sein; Michael Volle gibt den Sachs, sicher ein interessanter Vergleich zu dem, was Wolfgang Koch in München abgeliefert hat. Zu befürchten steht indes, dass derzeit wohl kaum jemand zu finden ist, der Kirill Petrenkos Künste im Graben überflügeln kann.