Jahrbuch der "Opernwelt"

Kommentar über das „Ärgernis“

Das eigentliche Ärgernis

Der Ritterschlag wird jährlich im Oktober erwartet: Die „Opernwelt“, die wohl renommierteste Opernzeitschrift im deutschsprachigen Raum, kürt die Besten des Jahres. Glückwunsch an alle, die sich in der vergangenen Saison dieses Lob von 50 Kritikern erworben und sicherlich redlich verdient haben.

Jahrbuch der
Titel von Opernwelt

Die Bayreuther Festspiele bekommen den Titel „Ärgernis des Jahres“. Zitat aus der offiziellen Pressemitteilung: „Als ÄRGERNIS DES JAHRES empfanden die Kritiker Fehlleistungen rund um die Bayreuther Festspiele – von der «Hügelverbot»-Debatte um Eva Wagner-Pasquier über undurchsichtige Besetzungsänderungen bis zu Missständen in den Bayreuther Archiven.“ Das Heft selbst hatten wir heute (30. September) noch nicht im Briefkasten, konnten also die einzelnen Kommentare der Kritiker nicht durchforschen, aber im Internet ist ja schon alles nachzulesen.

Die Begründung über das „Ärgernis des Jahres“ liest sich allerdings weniger wie das Ergebnis von Experten, denn als bloßes Unbehagen, ein sich nicht Wohlfühlen in der bayerischen Provinz. Was gab es doch in früheren Jahren für „Ärgernisse des Jahres“ in der Opernwelt: Versandete Millionen oder dreiste Versuche politischer Machtausübung, die vor einem Opernhaus nicht halt machten. Und nun? „Fehlleistungen rund um die Bayreuther Festspiele“.

Buhwort und Buhmann

Da missfällt ein angebliches Hügelverbot, das keine Erfindung der Festspiele war, sondern in einer eindrucksvoll recherchierten Geschichte der Süddeutschen Zeitung sechs Wochen vor Eröffnung der Festspiele auftauchte. Allerdings bestätigten die Recherchen dieses „Hügelverbot“ eben nicht. Dennoch war das Bäh-Wort der Saison geboren. Ein neuerliches  „Hügelverbot“ in Bayreuth. Es passte wunderbar ins Klischee. Zumal mit Christian Thielemann, zu diesem Zeitpunkt übrigens längst Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, der Schuldige im Spiel ausgemacht war. Er hat die eindrucksvolle Gabe, sich nicht grundsätzlich beliebt gemacht zu haben, hat heftig dementiert, etwas mit einem Hügelverbot für Eva Wagner-Pasquier, das es ja nicht gab, zu tun zu haben. Sein Parkplatzschild auf dem Festspielgelände sollte eigentlich nur eine witzige Nebengeschichte werden. Doch darüber wurde bald mehr geredet als über die überragende Leistung, die er als Tristan-Dirigent ablieferte. Thielemann war plötzlich Buh-Mann der Saison.

Sollte das nicht der eigentliche Unsinn der Saison sein? Als wäre es wichtig, wer wen leiden kann und wer mit wem nicht kann. Das mag erheblich beim  Pausenklatsch sein. Aber ein echtes Ärgernis?

Eva Wagner-Pasquier war vor und während der Festspielsaison im Festspielhaus wie immer anwesend. Und dass sie explizit weder Thielemann noch den kaufmännischen Geschäftsführer, Heinz-Dieter Sense, zu ihrem Abschied am vorletzten Festspieltag zum kleinsten Kreis geladen hatte, zeigt, dass nicht alle die besten Freunde waren. Müssen sie auch nicht. Unterm Strich war es doch eine starke Leistung, dass Frau Wagner-Pasquier und ihre Halbschwester Katharina sieben Jahre lang gemeinsam trotz nicht unbedingt günstigster Vorzeichen ihre Aufgaben als Festspielleiterinnen sehr ernsthaft erfüllten. Das war indes zuvor nicht der Rede wert.

Eine Besetzungsänderung

Bleiben „undurchsichtige Besetzungsänderungen“. Wir fanden trotz heftigen Blätterns nur eine Besetzungsänderung: Anja Kampe, die nicht mehr Isolde, sondern nur noch Sieglinde war. Die Gründe blieben geheim, obwohl wir durchaus darüber berichteten (hier der Beitrag) Das ist üblich, nicht undurchsichtig. Zwei Mitwirkende kamen beim Flugzeugabsturz ums Lebens, weshalb es die traurige Aufgabe gab, auf die Schnelle Ersatz zu engagieren. Und dass die Ring-Besetzung 2016 erheblich verändert wird, stand bereits 2014 fest. Auch da verstehen wir unter „undurchsichtig“ etwas anderes. Im Gegenteil:  ausgerechnet in diesem Jahr wurde die Besetzungsliste 2016 erstmals sehr frühzeitig veröffentlicht. Man könnte das lange erwartete Transparenz nennen.

Bleiben am Ende noch die „Missstände in den Bayreuther Archiven“. Das Festspielhaus und das Richard-Wagner-Museum sind nicht nur räumlich, sondern auch verantwortungsmäßig kilometerweit voneinander entfernt. Diese  Feinheiten der Zuständigkeit sollten Fachleute kennen und berücksichtigen bei ihrem „Ärger“.

Bräsige Klage

Vielleicht empfinden es manche Kritiker nachgerade als Beleidigung, jeden Sommer in diese Provinz reisen zu müssen, wo die Festspielleitung keine Purzelbäume schlägt, sondern durch Abwesenheit bei der Pressekonferenz o. ä. glänzt. Mag sein, dass das nicht die glücklichste Entscheidung ist, mag auch sein, dass  die stets bejubelten Festspielorte wie Salzburg oder München mit Charme und nicht mit fränkischer Kantigkeit glänzen und damit sich und ihre Sache besser verkaufen. Aber sind das die Kriterien für den Stempel „Ärgernis des Jahres“?

Es werden im Kunstbetrieb Stellen gestrichen, stehen Häuser vor dem Ende oder sollen zusammen gelegt werden. Immer mehr kulturelle Einrichtungen werden finanziell sich selbst überlassen mit dem Rat, sich Sponsoren zu suchen, immer mehr zählt die Rendite nicht die Kunst. Das sind Ärgernisse. Aus dieser Perspektive betrachtet, wirkt das frisch gekürte „Ärgernis des Jahres“ der Opernwelt wie eine bräsige Klage über schlecht gemachte Canapees, nicht wohl temperierten Champagner, über die Hitze oder sonst etwas.

Und das ist das eigentliche Ärgernis.

Regina Ehm-Klier

Berichtet aus dem Bayreuther Festspielhaus und drumherum: Regina Ehm-Klier, verantwortliche Redakteurin von www.festspieleblog.de
Die Autorin: Regina Ehm-Klier, Gründerin und Chefredakteurin von festspieleblog.de, ist ausgebildete Journalistin und berichtet seit 2010 von den Bayreuther Festspielen. festspieleblog.de wurde 2014 gegründet und berichtet unabhängig, wenngleich nicht frei von einer Affinität zu Wagner und den Festspielen.

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