Reden wir über Regie: Auch in diesem Jahr ist Dr. Sven Friedrich, Direktor des Richard Wagner Museums in Bayreuth und damit Kenner von Werk und Person, exzellenter Begleiter für das Festspielpublikum. Jeden Morgen um 10.30 Uhr gibt er einen Einblick in die Regiearbeit des jeweiligen Werkes, das am Abend auf dem Festspiel-Programm steht. Ein Muss für jeden Bayreuth-Besucher. Und längst sind Friedrichs Einführungsvorträge kein Geheimtipp mehr. Die Veranstaltung wurde wegen des großen Andrangs vom Chorsaal ins Festspielhaus verlegt, so groß ist der Andrang. festspieleblog.de hat sich mit Dr. Sven Friedrich über die Regiearbeit der Bayreuther Festspiele unterhalten. Hier: „Tristan und Isolde“ in der Regie von Katharina Wagner.
festspieleblog.de: Was darf man von der Neuinszenierung erwarten?
Dr. Sven Friedrich: Man glaubt ja, wenn Katharina Wagner inszeniert, gibt es etwas Freches, Aufsässiges, einen gegen den Strich gebürsteten Wagner — wo Holländer in Müllsäcken verschwinden oder Lohengrine politische Reden halten oder ein Walther von Stolzing aus dem Flügel steigt und mit Farbe kleckert. Wer aber mit diesen Erwartungen kommt, wird sehr überrascht.
Da sind zwei Menschen, die sich begehren und zwar so sehr begehren, dass jede Vernunft zu klein ist, denen alles egal ist, die sterben wollen.“
Inwiefern?
Wir werden einen sehr puren Tristan erleben. Einen Tristan, der auf das, an was wir uns schon fast gewöhnt haben — mit Video auf der Bühne, mit Seitenaktionen, Fluxus, ein wie auch immer wieder geartetes Konzept, das auf die Produktion gestülpt wird — verzichtet. Es ist pures Theater, das das Stück „Tristan und Isolde“ sehr ernst nimmt. Todernst. Es gibt auch keine Ironisierung, keine Romantisierung. Es handelt sich tatsächlich um eine schwarze, existenzialistische Deutung. Ich kann sagen, dass ich aus jedem Akt beklemmt und bedrückt rausgegangen bin. Es ist schwarz, hoffnungslos. Liebe ist Tod, und Tod ist Liebe. Es gibt keine Perspektive, es gibt keine Metaphysik, es gibt keine Transzendenz, keine Erlösung. Da sind zwei Menschen, die sich begehren und zwar so sehr begehren, dass jede Vernunft zu klein ist, denen alles egal ist, die sterben wollen. Und auch sterben müssen. Es ist von Anfang an klar: Das sind Todgeweihte. Tristan sagt im zweiten Akt: „So waren wir Nachtgeweihte“. Wenn man nun Nacht durch Tod ersetzt — und die Nacht ist ja die Metapher für den Tod — dann ist man schon relativ nahe dran.
Tristan stirbt. Das ist klar. Was wird aus Isolde?
Das Projekt ist ja die große Vereinigung im Tod, der die Liebe ist oder die Liebe, die der Tod ist. Und das klappt ja nun nicht. Tragischer Weise kommt Isolde wenige Sekunden zu spät. Beziehungsweise, wenn sie erscheint, stirbt Tristan. Also das Projekt des gemeinsamen Sterbens geht schief. Tristan ist tot und Isolde wird wahnsinnig, weil sie nicht kapieren kann, dass das, worauf sie sozusagen die ganzen vier Stunden hingearbeitet haben, die einzige Perspektive, die auch bleibt in diesem Marke-Reich, gescheitert ist.
Markes Klage im zweiten Akt ist reine Rhetorik.“
Wie sieht das Marke-Reich aus?
Es ist ein Reich des Terrors, der Unterdrückung, der Kontrolle. König Marke ist überhaupt nicht der larmoyant klagende Greis, der um die schöne Isolde und um den Verrat von Tristan weint. Er ist so etwas wie ein Staatsmann, beinahe ein Mafioso, einer, der total kalt ist. Seine Klage im zweiten Akt ist reine Rhetorik, so wie wir das vom Film „Der Pate“ kennen, der, bevor er einen abknallen lässt, scheinbar niedergeschlagen sagt: ‚Luigi, warum enttäuscht du mich so…‘ In dieser Weise funktioniert auch die Klage Markes: ‚Tatest du es wirklich? …‘ Tristan soll regelrecht hingerichtet werden. Das ist einfach brutal. Diesem Marke ist auch Isolde völlig egal. Darum zerrt er sie am Ende des zweiten und am Ende rücksichtslos mit sich nach draußen. Wie ein Stück Vieh. Das ist sein Besitz. Er verfügt über Menschen und Sachen. Tristan ist tot und bekommt, wie Staatsmänner das so machen, ein schönes Begräbnis. Das war’s. Es ist schon grundböse, grundschwarz. Richard Strauss hat ja die symphonische Dichtung „Tod und Verklärung“ geschrieben. Über diesem Tristan könnte stehen „Tod ohne Verklärung“.
Denn dieser Tristan ist nicht einmal ein bisschen lustig.“
Wie verarbeiten Sie das in Ihren Einführungsvorträgen, die Sie ja üblicherweise mit heiterem Anstrich versehen?
Das wird schwierig, in der Tat. Denn dieser Tristan ist nicht einmal ein bisschen lustig. Wir haben uns an ironisierende Tendenzen gewöhnt, ob bei Christoph Marthaler (Tristan und Isolde in Bayreuth 2005 bis 2012) oder bei Frank Castorf (Ring des Nibelungen), wo man, wenn man sich nicht ärgern möchte, ja herzhaft lachen kann über das Eine oder das Andere. Genauso beim Tannhäuser (Sebastian Baumgarten, 2011 bis 2014 in Bayreuth). Das sind postdramatische Inszenierungskonzepte. Da schaut man eben, wie ein Kochrezept auf den Tannhäuser, den Ring oder den Tristan angewendet wird, und wie das funktioniert. Aus dieser Reibung entstehen natürlich auch Dinge, die man ironisch sehen kann. Bei diesem Tristan gibt es tatsächlich keine Ironie. Das ist natürlich werkgetreu, denn Wagners Tristan ist überhaupt nicht ironisch. Und der Tristan heißt nicht umsonst so wie er heißt — TRISTan. Es könnte auch ein Stück über Depression sein.
Und die Tristan-Bilder?
Es gibt ein exquisites Bühnenbild, das Frank Schlößmann gebaut hat. Das auch musikalisch funktioniert. Ich denke, Christian Thielemann fühlt sich sehr wohl. Sowohl im Graben als auch mit der Inszenierung.
Das Stück wird wirklich sehr ernst genommen.
Kann man etwas kritisieren?
Wohl nur dann, wenn einem die ganze Richtung nicht passt und man sich nach ein bisschen Romantik und Schönheit sehnt. Aber wenn man den Text wirklich ernst nimmt, dann versuchen Tristan und Isolde ja wirklich, sich umzubringen. Bei Katharina Wagner gibt es eine Art Tötungsmaschine, in der sie sich die Pulsadern aufschneiden — das wird unterbrochen durch Marke und Melot. Das Stück wird wirklich sehr ernst genommen. Was man der Inszenierung vielleicht verübeln könnte, ist, dass sie dadurch extrem rauschbremsend ist. Viele Wagnerianer wollen ja nun, gerade hier im Festspielhaus, wenn die Tristan-Musik so vor sich hintobt und -wabert, ihren Rausch. Das ist auch ganz legitim. Nur, diese Sehnsucht nach dem Rausch wird durch das Bedrückende der Bilder und der Situation erdrückt. Da bleibt einem fast die Luft weg. Es passieren natürlich auch wunderbare Bühneneffekte, insbesondere im dritten Akt.
Es bleibt erbarmungslos existenzialistisch, ist von daher noch konsequenter, weiter und zu Ende gedacht.“
Wie, glauben Sie, wird das Publikum reagieren?
Ich bin sehr unschlüssig. Dass der ‚Ring‘ ein Skandal wird, war mir klar, als ich die erste Bühnenorchesterprobe gesehen habe. Hier bin ich mir sehr unschlüssig. Ich möchte nicht von Tradition reden. Aber sie erinnert mich in manchen Teilen der Ästhetik an Heiner Müller, auch in der Schwärze und der Beziehungslosigkeit. Bei Müller, der ja doch die romantischen Durchbrüche hat, wenn man an den Liebestod von Waltraud Meier denkt, konnte man doch schwelgen. Und das ist hier wieder nicht der Fall. Es gibt keine Rettung ins Ästhetische. Es bleibt erbarmungslos existenzialistisch, ist von daher noch konsequenter, weiter und zu Ende gedacht.
Ist das neu oder überraschend für Bayreuth?
Ich finde es überraschend, weil es ein Rückgriff auf die Oper als Musiktheater ist. Es ist eben kein postdramatisches Theater, es ist eigentlich nicht einmal Regietheater, was man so Regietheater nennt. Natürlich kann man sagen, hier wird eine Geschichte über staatliche Repressionen erzählt. Doch das steht nicht im Zentrum. Tristan ist kein Parsifal oder kein Ring. Das sind Gleichnisse oder Parabeln, die nach einer Deutung verlangen. Der Tristan ist kein Stück, das irgendwie interpretatorisch über sich selbst hinaus verweist. Der Tristan ist das, was er ist, was Wagner ‚das Opus Metaphysikum der Liebe‘ genannt hat. Das heißt: Es gibt im Grunde genommen bei Tristan gar nicht so viele Interpretationsmöglichkeiten, es sei denn, man sagt, das Ganze ist nur ironisch zu greifen, wie Marthaler das gemacht hat. Oder man sagt, das Ganze ist nur eine Fieberphantasie des sterbenden Tristan, der durch Morold verwundet worden ist. Am Ende liegt er tot und allein an dem Baum und Isolde ist gar nicht erschienen, und auch der Liebestod ist nur eine Sterbevision. Das ist es hier nicht. Katharina Wagner versucht, nach meinem Empfinden, dem, was im Text steht, einen sehr radikalen Ausdruck zu geben. Und das ist ungewohnt. Und die Menschen reagieren auf das Ungewohnte eher mit Ablehnung. Wobei das eine Produktion ist, die dem Wagnerianer sehr entgegenkommen müsste. Ich bin sehr gespannt.
Was erzählen Sie in den Einführungsvorträgen über diesen „Tristan“?
Diese Vergleiche. Und dann wird es noch einige Ausflüge in die Kunst- und Literaturgeschichte geben, um das Ganze auch dramaturgisch zu begründen. Zum Beispiel im zweiten Akt, den ich unter dem Motto sehe: „Die ganze Welt ist ein Gefängnis.“ Die Symbolik kann man ja erklären. Ich bin ja fast geneigt zu sagen, Katharina Wagner entpuppt sich als Nichte ihres Onkels Wieland. Es ist nicht diese archaisch stilisierende Symbolisierung wie bei Wieland, dazu ist sie zu konkret. Die Gestalten sind nicht Archetypen wie bei Wieland, das sind hier schon Menschen aus Fleisch und Blut. Aber sie handeln sehr symbolisch.
Die brauchen den Trank gar nicht mehr, die Liebe selber ist das Gift.“
Und sie kippen den Liebestrank weg. Was sagen Sie dazu?
Der Ritus, wie Tristan und Isolde statt zu trinken, den Trank immer hin- und herreichen. Wie ein Ritual — um ihn dann auszukippen. Das finde ich eine schlagende Idee. Ich weiß gar nicht, ob es eine Inszenierung gibt, in der das auch so gemacht wurde. Der Regisseur steht ja hier immer vor der Frage, was er mit diesem Trank anfangen soll. Brangäne tauscht ihn aus, es ist der Liebestrank, die Beiden glauben aber, es ist der Todestrank. Sie trinken in Erwartung des Todes. Passiert nun alles, was nun weiter passiert unter Drogeneinfluss? Bei Katharina Wagner ist es so, dass die beiden sich nicht erst lieben in dem Moment, in dem sie den Trank getrunken haben. Der Trank ist ja bei Wagner schon der Katalysator, der das freisetzt, was längst da ist. Aber bei Katharina geht das noch ein Stück weiter. Da ist Isolde so etwas wie die Schwester von Kleists Panthesilea. Auch sie ist die Aktive. Schon die erste Begegnung ist wie ein Amour fou, Liebe auf den ersten Blick. Irgendwann greift sich die Isolde auch den Tristan und küsst ihn wild — lange vor der Trankszene. Das heißt, es ist eigentlich schon klar, die brauchen den Trank gar nicht mehr, die Liebe selber ist das Gift. Das hatte ja schon Thomas Mann festgestellt: Beim Isoldentrank hätten beide im Grunde auch reines Wasser trinken können und der Effekt wäre der selbe. Hier trinken sie überhaupt nicht und dadurch wird die Geschichte vollständig schlagend, dass sie des Trankes als dramaturgisches Vehikel überhaupt nicht bedürfen. Das Gift ist die Liebe, die Liebe ist das Gift. Und daran werden sie zugrunde gehen.
Interview: Regina Ehm-Klier // Szenenfotos: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele