Sehr zufrieden mit meinen Szenen
Grande Dame und Vamp — Erda ist beides im „Ring des Nibelungen“ von Frank Castorf bei den Bayreuther Festspielen. Und es ist authentisch, sagt Nadine Weissmann.
Die Mezzosopranistin aus Berlin singt und verkörpert diese Erda seit der Premierensaison 2013. Einige ihrer Fans reagierten entsetzt auf ihren Auftritt, vor allem im Siegfried, wo sie sich mit Wolfgang Koch als Wotan eine heiße Szene liefert. Ihr gefällt dieser Auftritt und gezwungen, wie gemutmaßt wurde, wurde sie zu gar nichts. Das erzählt die Berlinerin im Gespräch mit festspieleblog.de.
Nadine Weissmann gehört übrigens zu der Hälfte der Ring-Mannschaft, die auch 2016 noch mit an Bord in Bayreuth sein wird. Im Interview geht reden wir natürlich auch über die Arbeit mit Regisseur Frank Castorf und Dirigent Kirill Petrenko und über ihre Pläne für die Zukunft.
festspieleblog.de: Sie sind in der dritten Saison bei den Bayreuther Festspielen. Stellt sich eine Gewöhnung ein?
Nadine Weissmann: Eher ein Suchtfaktor: nach dem Festspielhaus, nach der Atmosphäre, die sehr kollegial ist, gerade die Stimmung bei den Endproben, bevor die Saison richtig los geht. Man geht so ungezwungen miteinander um — vielleicht so, wie es ursprünglich immer war. Ich kenne das noch aus Studienzeiten, wo man einfach gerne zusammen Musik machte. Natürlich hier auf hohem Niveau, aber auch mit dem Spaß dabei.
Ist Wagner Ihr Lieblingskomponist?
Das ist eigentlich Mahler. Aber natürlich mache ich jetzt seit vielen Jahren gehäuft und gerne Wagner. Ich finde es gut, zwischendurch auch anderes zu singen. Dieses Jahr hatte ich noch das Glück, in Carmen und Falstaff zu singen. Wenn man in andere Genres der Oper eintaucht, bleibt die Stimme flexibel. Auch mit anderen Sprachen umzugehen, ist interessant. Aber ich komme immer wieder gerne zu Wagner zurück.
Sprechen Sie die Sprachen?
Französisch spreche ich sehr gut. Italienisch hatte ich lange nicht mehr und finde es schön, da wieder einzutauchen. In Marseille hatte ich nur französische und italienische Kollegen. Das war eine gute Übung. Es war eine traumhafte Inszenierung. Wahnsinnig lustig. Wir waren alle große Tiere — ich zum Beispiel ein großer Truthahn. Da musste ich an Walküre in Bayreuth denken (lacht!). Aber es waren unglaublich phantasievolle Kostüme und eine sehr schlüssige Regie. Wir hatten einfach Spaß.
Ich habe die Ring-Inszenierung sehr genossen.“
Apropos Walküre — die Ring-Regie in Bayreuth ist ja heftig umstritten. Wie geht es Ihnen damit?
Ich habe die Inszenierung sehr genossen. Natürlich war ich am Anfang auch sehr skeptisch. Es hat einige Zeit gedauert, Frank Castorf aus der Reserve zu locken, bis er uns vertraut hat, dass wir selbst auch Darsteller sind und anbieten, was Sinn macht und eine Story weiterbringt. Dann kam auch von ihm nach und nach immer mehr.
Sie treten als Erda als grande dame im „Rheingold“ auf, später im „Siegfried“ wird ihr Auftritt ziemlich verrucht. Es herrschte Entsetzen in Teilen Ihrer Fangemeinde, „wofür Sie sich hergeben“ müssten. Zurecht?
Ich muss sagen, ich bin mit meinen Szenen sehr, sehr zufrieden. Die Energie stimmt, die Geschichte zwischen Wotan und Erda, wie die Beziehung zustande kommt, was sie für eine Anziehung haben, wird absolut nachvollziehbar erklärt. Wenngleich die Beziehung auch furchtbar schief geht.
So krass die Szene ist, sie ist sehr authentisch“
Inklusive der nicht bezahlten Rechnung, auf der Sie sitzenbleiben.
Ja, die Rechnung, das war Franks Idee. Es ist eine ganz geschlossene Geschichte. Und ich höre auch immer wieder, dass die Leute sagen, dass meine Szenen funktionieren, vor allem im Siegfried. So krass die ist, sie ist sehr authentisch. Und darum geht es mir beim Theater. Es muss nicht unbedingt meine Idee von der Figur oder der Geschichte sein. Aber wenn ich es nachvollziehen kann, wenn ich etwas Authentisches höre, was ich in der Musik oder im Text wieder finde, dann kann ich gut damit leben. Was mich immer gewundert hat, dass die Leute — sowohl Kritiker als auch Freunde — sagten, Frank habe uns dazu gebracht, Darsteller zu sein. Nichts gegen die Arbeit von Frank. Aber Darsteller sind die Leute in anderen Inszenierungen auch. Vielleicht sieht man das nicht so, weil keine Videokamera dabei ist.
Wird die Darstellung wichtiger als die Stimme?
Nein, das nicht. Aber sie wird auch nicht unwichtiger. Es heißt ja Musik-Theater. Und es wäre ja furchtbar, einfach an der Rampe zu stehen und die Musik zu singen, ohne sich mit dem Körper ausdrücken zu dürfen. Für mich wäre das die halbe Miete. Das macht die Arbeit nicht spannend.
Finden Sie dann konzertante Aufführungen nicht wirklich prickelnd?
Ich habe schon konzertante Opern gemacht, aber da fehlt mir immer was.
Der Umgang war sehr respektvoll“
Haben Sie gemerkt, dass Sie als Sänger gefordert waren, sich einzubringen, dass Sie sogar aggressiv werden sollten, um mehr auf der Bühne zu geben?
Ich weiß nicht, ob wir aggressiv gemacht werden sollten. Aber ja, Castorf gab am Anfang erst einmal nicht viel. Ich denke, er wollte erst einmal schauen, wer wir so sind, um wirklich zu wissen, was er von uns will. Es war aber ein sehr respektvoller Umgang mit uns und auch ein respektvoller Umgang zwischen ihm und Kirill Petrenko. Beide waren sehr offen. Wenn einer sagte, das funktioniert so nicht. Dann wurde eben was geändert.
Passierte das oft?
Eigentlich nicht. Denn Kirill war wirklich bei jeder szenischen Probe dabei ist, sofern er nicht parallel mit dem Orchester beschäftigt war. Gerade im ersten Jahr war das wichtig. Er wusste immer, wo wir sind, was wir brauchen. Das ist natürlich traumhaft.
Und dennoch müssen Siegfried und Wotan zehn Meter über Leitern klettern.
Ja, aber es funktioniert. Auch wir als Walküren sind ja mehrere Höhenmeter voneinander entfernt. Aber offensichtlich läuft es musikalisch doch so gut zusammen.
Wie viele Proben waren dafür notwendig, um die Walküren wirklich so abzustimmen?
Wir haben viel musikalisch geübt. Und vor jeder Vorstellung gibt es in der Pause noch einmal eine Ansingprobe mit Kirill. Dann schaut er noch auf einige Stellen, die vielleicht beim letzten Mal nicht so funktioniert haben. Er hört sich ja alle Mitschnitte an und notiert sich, welche Stellen er nicht gut fand.
Jede Kritik, die Kirill Petrenko anbringt, stimmt.“
Ein Arbeitstier?
Ja. Das habe ich so noch nicht erlebt. Aber bei ihm macht das Sinn. Es ist bei ihm nie zu viel. Denn jede Kritik, die er anbringt, stimmt. Es wird alles noch besser. Wenn man das nur von außen mitbekommt, könnte man meinen, das sei ein Berserker, der ohne Herz und Seele einfach arbeitet. Aber dahinter steckt eine unglaubliche Emotionalität, die bei aller Akribie durchkommt, gerade bei den Vorstellungen. So verbissen er bei den Proben arbeitet — bei den Vorstellungen lächelt er uns strahlend an und trägt uns. Er freut sich über die Leistungen, über das Orchester und kann dann auch wirklich loslassen. Und wir wissen, es ist so top geprobt, sodass man absolut sicher ist.
Hat sich das im Laufe der Zeit gesteigert?
Ich hatte auch das Gefühl, dass alles, was er vorhatte bis jetzt gedauert hat, um es so umzustellen und zu erreichen, was er wollte, auch im Orchester.
Gerade für Opernsänger ist es ja nicht selbstverständlich, von der Kamera ständig verfolgt zu werden. War das irritierend?
Am Anfang waren wir schon verunsichert. Man wusste ja nicht, wie das aussieht. Beim Singen in Nahaufnahme sieht man ja nicht immer ästhetisch aus. Und die Kameraleute sind ja keine Musiker, die wissen, wer wann welchen Einsatz hat. In der Zwischenzeit sind sie uns aber richtig ans Herz gewachsen, die sind schon richtig Teil der Familie. Frank war ja auch nicht wichtig, die Leute zu zeigen, die gerade singen. Die Kameraleute mussten auch erst schauen, wo passiert wann und was, wo bin ich im Weg, wo kann ich näher ran. Mittlerweile kann ich mir den Auftritt gar nicht mehr ohne die vorstellen. In diesem Ring zumindest nicht.
Freue mich auf Zusammenarbeit mit neuen Kollegen“
Sie sprachen von der familiären Atmosphäre. Die wird ja nun nächstes Jahr sehr gestört, indem fast die Hälfte der Besetzung wechselt. Sie bekommen gleich zwei neue Wotane. Ist das ein Problem?
Nein, ich kenne ja den Thomas J. Mayer (Wanderer 2016/Siegfried) durch gemeinsame Konzerte und einer Walküre in Valencia. Da mache ich mir keine Sorgen. Und Iain Patterson (Wotan 2016/Rheingold) habe ich diesen Sommer hier schon ein wenig kennengelernt und freue mich auf die Zusammenarbeit.
Wie haben Sie die Hitze in Bayreuth überstanden?
Da hatten wir alle Kreislaufprobleme. Das ließ sich regeln. Aber es war schon anstrengend. Man hat das Gefühl, man kann gar nicht so viel trinken, wie der Körper brauchte.
Und Sie waren jedes Mal in einen großen Pelzmantel gehüllt.
Naja, Wolfgang Koch muss da im Rheingold zweieinhalb Stunden stehen.
Erda hat wenig zu tun?
Die Erda, so kurz die Auftritte sind, gerade im Rheingold, ist schon anstrengend. Denn man muss bei der Kürze der Partie immer sofort auf dem Punkt sein.
Pelzmantel musste abgeschnitten werden“
War Ihr Auftritt als Erda schon in dieser Form geplant oder hat sich das mit Ihnen dann so ergeben? Ist ja ein heißer Auftritt, den Sie da hinlegen.
Frank Castorf hat nie das Wort Puffmutter gesagt. Ursprünglich war das Kleid und der Mantel richtig bodenlang, als Hommage an Marlene Dietrich und ihren Abschiedsauftritt. Der Mantel von damals war ziemlich genau nachgeschneidert. Nur, dann haben wir das im Kostüm in diesem engen Zimmer im Rheingold ausprobiert und festgestellt: Ein Mantel mit Schleppe, das geht da überhaupt nicht. Er musste abgeschnitten werden. Dabei hatten ihn die Schneiderinnen fast drei Wochen lang per Hand genäht.
Haben Sie gleich in Kostümen geprobt?
Frank wollte das so. Als wir anfingen, waren die Kostüme und auch die Perücken fertig. Üblich ist das nicht. Dadurch hatten wir aber Monate vorher die Möglichkeit, in die Figuren richtig hineinzuwachsen und zu sehen, welche Bewegung sieht mit dem Kostüm gut aus, was funktioniert nicht.
Habe schon bei Produktionen mitgemacht, da war ich eher unglücklich“
Der Castorf-Ring ist umstritten in der Kritik ebenso wie im Publikum. Bei den Mitwirkenden hat man den Eindruck, dass sie ziemlich viel Spaß haben.
Ja. Sicherlich gibt es Kollegen, die weniger damit anfangen können als ich. Aber ich habe schon das Gefühl, dass keiner dort macht, was ihm total gegen den Strich geht. Ich habe schon bei Produktionen mitgemacht, da war ich eher unglücklich.
Gibt es bei Ihnen No-Goes in einer Inszenierung?
Wenn ich das Gefühl habe, ich bin überzeugt, dass die Szene etwas aussagen kann, dann mach ich schon ziemlich alles. Natürlich immer vorausgesetzt, dass ich dabei noch singen kann.
Sind Sie ein Bühnentier?
Ich wusste schon mit fünf Jahren, dass ich zur Bühne wollte — irgendwie.
Wie kamen Sie dann zum Gesang?
Ich bin in einer musikalischen Familie groß geworden, mein Vater ist Cellist im Deutschen Sinfonieorchester Berlin gewesen, seine Mutter hatte eine wunderbare Stimme. Ich bin also mit klassischer Musik groß geworden und habe schon als Kind viel gesungen. Das wurde auch in meiner Schule sehr gefördert. Zu Instrumenten hatte ich irgendwann mal keine Lust mehr, weil man ja viel üben musste. Aber Singen war ja keine Arbeit. Und dann bin ich dabei geblieben.
Haben Sie Ihre Meinung in Sachen Arbeit mittlerweile gewechselt?
Ja, es ist dann doch viel Arbeit. Und man muss auf die Stimme aufpassen. Es gehört schon Disziplin dazu.
Ich war gar kein Sopran“
Wie verlief Ihre Ausbildung?
Ich hatte Lust, ins englischsprachige Ausland zu gehen, nachdem ich auch in einer Amerikanischen Schule gewesen bin. Ich wollte hinaus in die große Welt, deshalb fiel die Wahl auf London. Denn neben meiner Begeisterung für die Oper bin ich auch ein riesengroßer Musicalfan. Darum war London als Studienort naheliegend, auch in dem Gedanken, dass dort der Unterschied zwischen E- und U-Musik nicht so groß ist. Leider habe ich in diesen vier Jahren dort wenig gelernt. Denn niemand kam auf die Idee, dass ich vielleicht kein Sopran sei.
Wer kam dann auf die Idee?
Meine Lehrerin in Amerika. Mit einer Kassetten-Aufnahme habe ich mich bei der Indiana University Bloomington für den Masterstudiengang beworben. Ich kam zu einer phantastischen Musiklehrerin, Virginia Zeani, eine erfahrene Sängerin, die als Violetta auch Weltkarriere gemacht hat. Sie sagte mir nach zwei Unterrichtsstunden, du bist kein Sopran. Und sie brachte mir die Basics in Atemtechnik und Stimmtechnik erst einmal bei. Und plötzlich kam eine Stimme aus mir, von der ich immer vermutet hatte, das die in mir schlummert. Ich wollte auch gar kein Sopran sein.
Wollten Sie nicht eine weltberühmte Sopranistin werden?
Überhaupt nicht. Es war eine große Erleichterung, weil ich Rollen für Mezzo viel interessanter fand. Zwei Jahre lang habe ich dann meinen Master gemacht und habe noch ein Jahr angehängt, weil ich mit ihr noch arbeiten und den ganzen Fachwechsel verfestigen wollte. Dann habe ich noch meine beiden ersten Opernrollen dort gesungen. Es war toll, sich im Studium schon auszuprobieren — übrigens unter phantastischen Bedingungen. Die Bühne ist ein Nachbau der Met. Wenn man das durchlebt hat und zurück nach Deutschland kommt und anfängt, die ersten Vorsingen an kleineren Häusern zu machen, hat man nicht mehr so viel Angst.
Sie sind ja unterwegs zu einem Konzert des Festivals Junger Künstler Bayreuth. Hören Sie während Ihres Aufenthalts hier viel Programm wahr?
Ich probier’s. Das Festival Junger Künstler hat ein tolles Programm. Und wenn Kollegen Liederabende veranstalten und ich frei habe, gehe ich gerne da auch gerne hin. Als ich zwei Monate in München engagiert war, habe ich auch öfter die Konzerte im Gasteig besucht oder mir in der Staatsoper andere Stücke angesehen.
Als nächstes kommt die Zauberflöte“
Wie geht’s in diesem Jahr weiter für Sie?
Gleich im Anschluss singe ich Zauberflöte in Edinburgh, in der Produktion, die ich schon als Gast an der Komischen Oper in Berlin singen durfte, in der Inszenierung von Barrie Kosky. Die Zauberflöte singe ich dann auch im Winter noch einmal im Madrid. Da freue ich mich sehr drauf. Es war letztes Jahr meine erste Zauberflöte. Das Stück ist bis dahin an mir vorbei gegangen.
Haben Sie Traumpartien.
Ja. Die zwei Partien, die ich noch singen möchte, am liebsten bald: Amneris und Dalila. Und sicherlich gibt es noch vieles andere, was ich noch machen möchte. Samson und Dalila wurde in Weimar uraufgeführt und dem Haus bin ich noch sehr verbunden. Es wäre ganz toll, es dort zu machen. Mehr Verdi steht auch auf dem Wunschprogramm. Und ich mache nächstes Jahr meine erste Laura in La Gioconda in Gelsenkirchen.
Gibt es Häuser, die auf Ihrer Wunschliste stehen?
Ich würde gerne in Amerika singen, weil ich dort studiert habe, genauso in London. Es war auch toll, in München zu singen. In Asien war ich noch gar nicht. Ich hatte letztes Jahr zwei Angebote, war aber terminlich gebunden. Die Deutsche Oper in Berlin, wäre natürlich auch ein Traum — ich bin ja da in der Nähe aufgewachsen.