Die Reihe müsste eigentlich „Wagner für Anfänger“ heißen oder „Wagner für Eilige“. Sie heißt aber „Wagner für Kinder“, wenngleich das Durchschnittsalter in den jeweils fünf Reihen, die sich auf drei Seiten um die Bühne scharen, wegen der erwachsenen Begleiter meist enorm nach oben geschraubt wird. Glücklich sind in diesen Tagen diejenigen, die Kinder oder Enkel oder irgendeinen Nachwuchs aus dem Bekanntenkreis haben, mit denen sie zur Kinderoper, wie sie genannt wird, der Bayreuther Festspiele gehen können. Wie zu hören ist, kämen zum Teil drei Erwachsene als Begleitung auf ein einziges Kind. Und sie würden wahrscheinlich sogar mehr zahlen als die 20 Euro fürs Erwachsenen-Ticket.
Tolle PR-Maßnahme
Es ließe sich also gut Umsatz machen mit dieser Reihe, die schon bei ihrem Beginn 2010 richtig gut ankam. Doch „Wagner für Kinder“ — verantwortlich dafür ist Katharina Wagner mit BF-Medien — ist ausdrücklich keine Einnahmequelle, sondern dient der „Kundengewinnung“. Tolle PR-Maßnahme: Kinder haben freien Eintritt, nur die erwachsene Begleitung zahlt. Und die Produktion ist richtig aufwendig: Mit einem echten Orchester, mit Sängern von den „Festspielen“, mit witzigen und aufwendigen Kostümen, teils opulenter Ausstattung und schönem Programmheft als Erinnerung. Alles kostenlos für die Kinder — sicherlich aber nicht umsonst.
Entsprechend schwer sind die Karten zu haben. Ein Wunder, dass sich hier noch kein Schwarzhandel entwickelt hat. Aber wer ein Ticket hat, gibt’s nicht freiwillig her. Wenn die Kartenvergabe stets im Mai online geht, heißt es schnell „ausverkauft“. Kinder sind außerdem schon während der Inszenierung angesprochen. Im jährlichen Kostümwettbewerb an Schulen werden die besten Entwürfe gekürt und in die Tat umgesetzt. In diesem Jahr hat die Klasse 6 C des Comenius-Gymnasiums Düsseldorf die phantasievollsten Ideen eingebracht.
Zum Beispiel wurde der Klingsor, der Bösewicht im Parsifal, als eine Art Batman gezeichnet. Kay Stiefermann spielt ihn. Mit düster geschminktem Gesicht und roten Umhang, genau so wie auf der Zeichnung, tritt er nun auf die „Bühne“, besser gesagt, die Spielfläche, auf die man von den Sitzreihen hinunter schaut, und versucht, seinen Speer, den ihm Parsifal (Benjamin Bruns) abnehmen will, zu verteidigen — natürlich vergeblich. Das Gute gewinnt am Ende.
Ein schönes Stück Wagner
Es ist ein schönes Stück Wagner, das in der Fassung von Festspielleiterin Katharina Wagner, Nicolaus Richter und Tristan Braun liebevoll in Szene gesetzt ist. Das vier-Stunden-Stück hat Marko Zdralek musikalisch bearbeitet und daraus eine ausgewogene Mischung herausgearbeitet. So gibt es viel Musik, aber zur Erklärung kann auch viel geredet werden.
Darsteller haben Spaß
Die Mitwirkenden haben offensichtlichen Spaß an Szene und Sprache. Parsifal (Benjamin Bruns, Steuermann in „Der fliegende Holländer“) findet die Aufgabe, die ihm Gurnemanz (herrlich: Jukka Rasilainen, Telramund in „Lohengrin“), stellt, nämlich den Speer zurückzuholen, „superspannend“.
Und der merkwürdige Alte, als der Titurel (Andreas Hörl) beinahe beängstigend von oben herab nörgelt, bricht im gruseligsten Moment ab, um Sohn Amfortas (Raimund Nolte) wenig weihevoll als „Idiot“ zu beschimpfen, weil der sich den Speer hat „klauen lassen“. Das ist wirklich lustig. Ohne Speer keine Gralsenthüllung, was immer das auch sein mag. Da hält sich das Stück nicht länger auf, schließlich haben sich an diesem „Gral“ schon viele Regisseure abgearbeitet. Die Frage muss man auf dieser Bühne nicht wirklich klären, sondern stellt sie am Ende als feierliche Zeremonie mit Feuer dar.
Es gibt Wichtigeres zu klären. Zum Beispiel, woher Amfortas eigentlich seine Verletzung, die ihm so arg zusetzt, her hat. Diese Vorgeschichte wird als eine Art Schattenspiel hinter dem Vorhang zum Vorspiel gezeigt. Zu sehen ist, wie sich der Ritter hat ablenken lassen von Kundry und dann eben Batman Klingsor kam, sich den Speer schnappte und diesen Amfortas in die Rippen jagte.
Mit einfachen Mitteln werden hier tolle Geschichten erzählt. Auf die berühmten Chorszenen wird verzichtet. Dafür gibt es viel zu sehen: Zum Beispiel fröhliche Kostüme, wie die der Blumenmädchen, die Parsifal mit Lollipops, Luftballons und anderen süßen Sachen ablenken wollen. Oder die dampfenden Mittelchen, mit denen Amfortas‘ Wunde geheilt werden sollen.
Nach einer Stunde ist Klingsor besiegt, der Speer zurück, Parsifal wird neuer König — und die Kinder, die gebannt das Spektakel verfolgten, sind begeistert.
Hier wird nicht nur der Komponist ernst genommen, sondern auch das Publikum, dem nicht irgend ein Klamauk vorgesetzt wird, sondern denen der Weg in die Welt Richard Wagners geebnet wird. Dazu gibt es wieder ein Programmheft mit allen Mitwirkenden und Geschichten zum Nachlesen und Basteln.
Original Gralsglockenklavier
Dafür werden kaum Kosten und noch weniger Mühen gescheut. Sogar ein eigenes Orchester wird aufgeboten, das sogar das Original Gralsglockenklavier, das von Eduard Steingraeber für die Uraufführung des Parsifal in Bayreuth 1881/1882 gebaut wurde, zu sehen und zu hören ist. Boris Schäfer führt das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) souverän und hat die Akustik so gut im Griff, dass ein angenehm tiefer Orchesterklang das Geschehen begleitet. Sehr würdig für Bayreuth.
Wenn am 6. August die letzten beiden Parsifal-Vorführungen über die Bühne gehen, ist die Kartennachfrage nach zehn Vorstellungen längst nicht befriedigt. Aber so ist das nun einmal in Bayreuth.