An Tristans Schuhen klebt Blut — und stört beim Gehen. Wir befinden uns in der heißen Phase von „Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen. Draußen legt die Hitzewelle die Stadt lahm. Und drinnen geht es um Schritte, Bewegungen, oder eben die noch suboptimale Blutkonsitenz. Oder um Isolde, die rechts neben ihrem toten Geliebten in die Knie geht, aber findet, links wäre es besser.
Sängerwohl geht vor
Regisseurin Katharina Wagner lässt mit sich reden. Wenn es Sinn macht. So wie in diesem Fall, „rechts kommt die Unterbühne hoch, da ist links wirklich sicherer“. Die 37-Jährige ist Teamarbeiterin. Scherzt hier, redet dort, zeigt die Gesten, die sich sich vorstellt. Wie Tristan Isolde umarmen soll, wie der tote Tristan aufgebahrt wird, wie Marke sich darstellt, um noch ein bisschen fieser zu wirken. Die Regisseurin erklärt, warum Isolde sich nicht einfach zum Liebestod neben den Dahingeblichenen stellen und lossingen soll. Katharina Wagner hört immer zu. Gibt sie auch nach? „Wenn die sängerische Qualität leiden würde, ja. Ich bin die Letzte, die die Sänger behindern würde“, erklärt sie ihre Zugeständnisbereitschaft. Über ihr grundsätzliches Konzept aber nochmal diskutieren, kommt allerdings nicht in Frage.
Die Erwartungen sind hoch. Und die Nerven liegen blank, möchte man zumindest meinen. Und sucht nach Anzeichen, denn der Umgangston ist nett und freundlich, überall im Haus.
Gerüchte und Realität
Angeblich, wird im Festspielhaus jedoch gemunkelt, wolle Christian Thielemann, mittlerweile zum Musikdirektor der Bayreuther Festspiele aufgestiegen, niemanden, absolut niemanden, der nicht mit der Produktion beschäftigt ist, im Zuschauersaal haben. Nicht bei der Generalprobe und schon gar nicht bei den Proben davor. Er kontrolliere sogar Logen und Ränge, um garantiert jeden Eindringling persönlich zu entfernen, heißt es. Entsprechend gespannt fällt also die persönliche Begegnung im Zuschauerraum aus, schließlich gehört man ja eben nicht zur Produktion.
Thielemann leitet selbst die Klavierprobe, eilt immer wieder von seinem Platz im Graben die Stufen herauf, durch die schwere Eisentür ins Foyer und schließlich zu Tür II in den Zuschauerraum, um hier einen Gesamteindruck in Reihe 13 zu gewinnen. Was passiert? Thielemann findet’s berechtigter Weise heiß im Haus, zumal, „wenn man arbeitet“. Und das tut er denn auch, ohne sich im Geringsten dafür zu interessieren, wer da alles im Saal ist, und warum. Soweit Bayreuther Gerüchteküche und Realität.
In der Zwischenzeit klettert Regisseurin Katharina Wagner zwischen Zuschauerraum und ihrem Arbeitstisch, der noch auf der Bühne platziert ist, über eine Brücke, die über den Orchestergraben führt, hin und her. Nirgends hält es sie während der Proben länger. Jeder Schritt, jeden Handgriff, jedes Schulterklopfen, jede Betroffenheit, jede Gefühlsregung ihrer Protagonisten gibt sie vor, erklärt. Und notfalls springt sie als Isolde ein, während eine Sängerin von der Seite singt — in der Generalprobe ist das sogar Linda Watson. Evelyn Herlitzius kann da aber schon selbst zumindest darstellerisch im Einsatz sein.
Tristans Schatten
Die neue Isolde — das war auch schon wieder so eine Geschichte. Mit Anja Kampe waren die Proben gestartet; dann trennte man sich, vereinbarte Stillschweigen und fand Evelyn Herlitzius. Es waren nur knapp sechs Wochen bis zur Premiere. „Umbesetzungen sind in anderen Häusern Alltag“, kommentierte Katharina Wagner knapp den Fall. Der Wechsel war nicht optimal, aber verkraftbar und nicht mehr zu ändern. Also Augen zu und durch. Obendrein investierte sie ihr Sorgenpotenzial in „Tristan“. Ihr größter Horror: Stephen Gould, für sie der Tristan schlechthin, könnte bei den Proben etwas auf der düsteren Bühne übersehen, stolpern, umknicken. Sich irgendwie verletzten und ausfallen. Also begleitete die Regisseurin höchstpersönlich ihren Star wie einen Schatten, damit ja kein Unglück passieren möge. Irgendwann ging das so weit, dass sie es sich richtiggehend abgewöhnen musste, auf der Probe- und erst recht der großen Bühne, ständig hinter Gould zu stehen, wie sie später über sich selbst amüsiert zugibt.
Albtraum Liebe
„Tristan und Isolde“ ist nicht zum Lachen. Vor vier Jahren, zu dieser Zeit liefen ihre „Meistersinger“ noch bei den Bayreuther Festspielen, hatte sie sich das schon so vorgestellt, erzählte von der ausweglosen Situation für Tristan und Isolde, beschrieb Räume, die auftauchen und wieder verschwinden sollen, von Dunkelheit. Beschrieb schlicht einen Alptraum Liebe. Und genau so einen bringt sie nun — zusammen mit ihren Bühnenbildnern Frank Schlößmann und Matthias Lippert, der schon für die Frühwerke-Aufführungen im Jubiläumsjahr 2013 die Oberfrankenhalle ausstattete — auf die Bühne. Da ist die Ausweglosigkeit zu Beginn durch die sich wegklappenden Treppen, die Tristesse des „Gefängnishofs“ im zweiten Akt und die Isolden in Tristans Fieberwahn im dritten.
„Nichts lustig“
Sie hält sich an Richard Wagner, wie sie betont, hat darin aber eben auch die interpretatorischen Möglichkeiten entdeckt, die erlauben, König Marke nicht als einen armen, betrogenen Alten, sondern einen fiesen Diktator zu zeigen, Isolde nicht sterben zu lassen, sondern nur ihre Liebe, und den Liebestrank als überflüssiges Mittel zum Zweck schlicht zu verschütten. Aufmüpfig wie bei den Meistersingern ist das nicht. Nicht, dass sie nach sieben Jahren Festspielleitung der Depression anheim gefallen ist. „Im Tristan ist nun einmal nichts lustig“, sagt sie.
So — hallt ihre unverwechselbar tiefe Stimme über die Bühne, wenn sie wiederholen lässt, was gerade besprochen wurde: Christa Mayer soll doch noch mehr mit ihrer Kordel herumfisteln und wie irre herumtippeln. Isolde — zu dieser Zeit ist Anja Kampe noch in der Rolle, singt die Partie während dieser Proben im Gegensatz zu allen anderen übrigens nicht aus — soll beim Liebestod ihren Geliebten halten, streicheln, verzweifeln. Darüber wird diskutiert. Sieht es albern aus, wenn der „Tote“ hochgezogen wird, wenn sie sich nochmal an seine Schulter lehnt, seine Hand nimmt? Nein, sieht es nicht. Es ist anrührend, weshalb die Szene so bleibt.
Chefsache Klavierprobe
Zu den Proben mit Klavierbegleitung ist auch Christian Thielemann schon auf seinem Platz im Graben, um die Tempi vorzugeben, mit den Sängern zu arbeiten. Auch er ist keiner, der sich vom Ergebnis überraschen lässt, sondern Perfektionist und macht Arbeiten, die andere vielleicht ihren Assistenten überlassen, selbst.
Zieht ein Gewitter auf oder lacht die Sonne von strahlend blauem Himmel? Ist es jetzt Mittag, Vormittag, abends? Die Uhren ticken in der Probenzeit ganz anders. Ab Mitte Juni bis zur Premiere bekommen die Mitwirkenden kaum etwas mit vom berühmten Bayreuther Sommer. Es wird geprobt, morgens ab 10 bis 14 Uhr, dann weiter ab 18 Uhr, Ende frühestens um 22 Uhr, vielleicht auch später. Zwischendurch ruft Katharina Wagner mal „20 Minuten Pause“ und eilt dann mit ihrem Dramaturgen Daniel Weber und ihren Assistenten Christian Claas und Christian Stadlhofer zur Nachbesprechung in ihr Büro. Für die Festspielleitung hat sie „Zeit“ zwischen der Vormittags- und der Abendprobe. Doch das Ziel ist vor Augen und sie ist zufrieden: „Wir sind premierenreif“, freut sie sich. Die Arbeit mit einer neuen Isolde läuft und „Tristan“ ist gesund. Und die richtige Blutzusammensetzung wird sich auch noch finden.
Über die Regie haben wir uns mit Dr. Sven Friedrich unterhalten. Der Direktor des Richard Wagner Museums in Bayreuth hält die beliebten Einführungsvorträge (täglich 10.30 Uhr im Festspielhaus). Zum Interview geht es hier