Albert Dohmen als Alberich in Siegfried. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Albert Dohmen im Interview

Lasse mich nicht zum Enterich machen

Es war eine überraschende Rückkehr zu den Bayreuther Festspielen  — wenngleich unter traurigen Umständen: Albert Dohmen, vor fünf Jahren  gefeierter Wotan im „Ring des Nibelungen“ in der Regie von Tankred Dorst und unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann, wurde gefragt, ob er die Partie des Alberich übernehmen könne. Oleg Bryjak, der Alberich 2014, war an Bord der German-Wings-Maschine gewesen, die im März in den französischen Alpen zum Absturz gebracht wurde. Bryjak gehörte zur Siegfried-Produktion in Barcelona, ebenso wie Dohmen und weitere Sänger, die aktuell im Bayreuther Ring auftreten. Man hatte also nur kurz vor dem Unglück noch zusammen gearbeitet. Wegen dieser tragischen Umstände hatte sich Dohmen vier Wochen Bedenkzeit ausbedungen — und sagte schließlich zu. Ein Schritt, den er nicht bereut hat. Denn jetzt spricht Dohmen über den Abschied von Wotan, „ich will mich auf den Alberich konzentrieren“, sagt er im Interview mit festspieleblog.de. Dohmen, der nächstes Jahr 60. Geburtstag feiert, spricht dabei deutliche Worte, über die Regie von Frank Castorf und wo er seine Grenzen absteckt, über die Bedeutung der Regie im Allgemeinen. Und während des Gesprächs entwickelt sich ein interessanter Gedanke: Warum nicht selbst einmal Regie führen?

Albert Dohmen als Rheingold-Alberich. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

„Der Alberich ist unglaublich vielschichtig, hat die dämonischen, dunklen Elemente“, sagt Albert Dohmen über seine wiederentdeckte Rolle des Alberich.

Szenenfotos: © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

festspieleblog.de: Wie fühlen Sie sich als Rückkehrer bei den Bayreuther Festspielen?
Albert Dohmen: Wenn mir einer vor einem Jahr gesagt hätte: „Albert, du kommst nach Bayreuth als Alberich zurück!“ Hätte ich das nicht geglaubt. Vier Jahre lang haben wir hier mit Christian Thielemann einen musikalisch phantastischen Ring gemacht, anschließend auch noch an der Staatsoper Wien. Und dann passierte das tragische Unglück der German-Wings-Maschine. Ich habe gemeinsam mit Oleg Bryjak und Maria Radner (Anmerkung: die beiden Sänger kamen beim absichtlich herbeigeführten Absturz ums Leben), aber auch Stefan Vinke, Catherine Foster, Andreas Hörl in dieser Siegfried-Produktion in Bareclona gesungen. Jedes Mal, wenn wir uns hier sehen, denken wir an unsere Kollegen, die wir verloren haben. Ich kannte Oleg seit über 20 Jahren. Wir waren keine engen Freunde, aber gute Arbeitskollegen.

Ich singe hier auch für Oleg.“ (Über den tödlich verunglückten Oleg Bryjak)

Was für eine Ironie des Schicksals.
Ich singe hier auch für Oleg. Das nimmt mich emotional immer noch sehr mit. Darum hatte ich mir vier Wochen Bedenkzeit ausbedungen, als ich gefragt wurde, ob ich den Alberich hier singen will. Mein Problem war aber auch, was das für eine Wirkung hat, wenn man seit 25 Jahren den Wotan auf den Bühnen der Welt gesungen hat und dann in Bayreuth den Alberich. Dann heißt das, der Herr Dohmen macht ein Kapitel seines Weges zu.

Und ist das so?
Ja und Nein. Das Engagement hier in Bayreuth fiel mit meinem Rolldebüt des „Rocco“ in Fidelio am Grand Théâtre de Genève zusammen. Das allein ist schon eine Riesenpartie und gleichzeitig dazu noch „schnell“ drei Alberiche lernen und zwar auf einem Niveau, das Bayreuth-tauglich ist (und das zusammen mit Petrenko) – das war ein riesiges Wagnis. Aber Christian Thielemann und Katharina Wagner haben mir zugeredet und hatten so großes Vertrauen in mich. Hätte ich nicht außerdem den Rheingold-Alberich schon vor 25 Jahren am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden über 30 Mal gesungen, hätte ich abgesagt. Denn der Rheingold-Alberich ist ja fast eine Titelpartie.

Wie bekamen Sie alles geregelt?
Ich lerne meine Partien immer alleine. Als gelernter Oboist kann ich immer noch sehr gut vom Blatt singen. Das ist ein Vorteil. Ich habe jeden Morgen von 6 bis 9 Uhr einen Morgenblock für die Alberich-Partie eingelegt, also noch vor den um 10 Uhr angesetzten Fidelio-Proben. In Bayreuth gab es dann nur zwei Tage für die Bühnenprobe, was für mich bedeutete, dass ich nach der Vorstellung in Genf die Frühmaschine nach München nahm, mit dem Auto hierher fuhr, hier an den beiden Tagen 16 Stunden lang den Alberich probte und dann zurück zur Rocco-Vorstellung nach Genf fuhr. So ein Wochenende wäre nichts für Anfänger.

„In dieser wichtigen Szene des Alberich-Fluchs kann ich mich nicht zum Enterich machen.“ (Über die Regie von Frank Castorf)

Und wie kamen Sie mit der Regie des „Ring“ in Bayreuth klar?
Ich konnte hier nicht ankommen und alles torpedieren. Ich habe aus Respekt vor Frank Castorf versucht, den Spagat zwischen Regie und meiner eigener Auffassung von der Rolle zu machen. Ich wollte meine Persönlichkeit in die Rolle einbringen und nicht zum lächerlichen Wiederholer von irgendwelchen zufälligen Eventualitäten werden. Das war meine klare Botschaft.

Bei der BO, der Bühnenorchesterprobe, hatten Sie das Alberich-typische Senf-Gemetzel unterlassen, nicht aber in der Vorstellung. Wie kam das?
Ich habe versucht, eine klare Zäsur in diesen Wahnsinns-Alberich zu bringen und wollte einen anderen Grundtenor schaffen. Ich kann in dieser für den Ring so unglaublich wichtigen Szene des Alberich-Fluches mich nicht zum Enterich machen. Mit dieser Symbolfigur, dieser kleinen Plastikente, die aus einem Zufall entstanden ist, spiele ich eine gewisse Zeit mit, aber dann ist Schluss. Sonst werden die Autorität und die Musik, die der Richard geschrieben hat, die Kraft des Fluches, die aus der Verzweiflung und Verletzbarkeit des Alberich kommt, ins Lächerliche gezogen.

Ließ sich das durchsetzen?
Ich habe versucht, den Spagat zu machen, diese eigenartige Castorf-Inszenierung zu verfolgen und dabei meine eigene musikalische Persönlichkeit durchzukriegen.

Junge Leute fanden die Inszenierung cool.“ (über Publikumsreaktionen)

Gab es Punkte, die sie vielleicht auch ganz lustig fanden?
Ja, es ist schon lustig. Aber es passiert so viel. Man wird förmlich überschüttet von Eindrücken. Natürlich ist das von Castorf gewollt, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Ob das eine gültige Deutung ist, kann ich nicht werten. Ich habe aber vor allem von jungen Leuten, die keine Vorerfahrung hatten, gehört, dass sie die Inszenierung cool fanden.

Ist Bayreuth mehr Arbeit oder mehr Urlaub?
Dieser Alberich, der ist schon Arbeit. Das wird aber vielleicht nächstes Jahr leichter.

Wolfgang Koch und Albert Dohmen in Siegfried. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Konkurrenzkampf erwünscht: Albert Dohmen (r.) als Alberich im Wettstreit mit Wolfgang Koch, dem Wanderer in „Siegfried“. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Wie kamen Sie mit der neuen Rolle zurecht, auch damit, dass Sie nicht mehr den Wotan singen?
Ich habe mit Wolfgang Koch, der ja wiederum jahrelang Alberich gesungen hat, großen Spaß gehabt. Kirill Petrenkos größte Befürchtung war, dass in der großen Szene im Siegfried einer die Partie des anderen singt. Mir ist das bei den Proben passiert, dass Wolfgang Koch plötzlich zu mir sagt: „Du singst gerade meine Partie.“

Hier gehen wir auf Konfrontation“ (über die Szene Wotan-Alberich in Siegfried)

Bei der Aufführung hatte man den Eindruck, gerade in dieser Siegfried-Szene würde auch sängerisch ein Machtkampf ausgetragen. Täuscht der Eindruck?
Nein. Das braucht man auch gar nicht in Abrede zu stellen. Die Szene wo Alberich mit Wotan konfrontiert wird, ist ein Machtkampf. Das kann gerne auch genauso rüberkommen. Wolfgang Koch und ich kommen persönlich bestens miteinander klar, aber da haben wir gesagt: „Hier gehen wir auf Konfrontation.“

Wolfgang Koch wird ja nächstes Jahr nicht mehr nach Bayreuth zurückkehren. Wie groß war für Sie die Verlockung, sich um die Partie zu bemühen?
Überhaupt nicht. Nach dieser Erfahrung hier will ich mich nun auf den Alberich konzentrieren. Es gibt jetzt schon Anfragen von anderen Häusern, die mich als Alberich haben wollen. Wenn man nicht pfuscht und wirklich jeden Ton singen will, wie er geschrieben steht, ist die Partie des Alberich unglaublich schwer.

Aber nicht so anstrengend wie die des Wotan?
Richtig. Ich fange an mit einem großen, schweren Rheingold-Alberich – und dann habe ich zwei Ruhetage bis zum Siegfried. Ich wünsch Wolfgang nach jedem Rheingold Toi, Toi, Toi für den nächsten Abend, weil ich genau weiß, was es heißt, nach so einer Partie am nächsten Tag gleich eine Walküre zu singen.

Wie hält man sich und die Stimme bei dieser Anstrengung fit?
Wenn früher Freunde kamen und feiern wollten, habe ich mich immer ausgeklinkt und gesagt: „Leute, ich habe morgen Vorstellung, das ist Spitzensport.“ Am Tag nach dem Rheingold habe ich versucht, im Hotel für mich zu sein und mich auszuruhen. Ich war auch immer noch im Wald, hier in der wunderbaren Fränkischen Schweiz. Nach dem Waldspaziergang ging ich direkt in die Vorstellung. Die Planung in Bayreuth ist schon grenzwertig, aber immer mehr große Häuser übernehmen sie. Dabei ist es doch wirklich egal, ob das Publikum beim Ring sechs oder sieben Tage hier ist. Birgit Nilsson hat es als einzige geschafft, dass man einen Ring-freien Tag nach Walküre und nach Siegfried legt, weil sie keine Brünnhilde ohne Ruhetag singen wollte.

Wären Sie ohne dieses „Schicksal“, das Sie nach Bayreuth führte, überhaupt auf die Idee gekommen, sich künftig dem Alberich zu widmen?
Wir haben oft geredet, wie es nach 25 Jahren Wotan weitergehen soll. Aber der Alberich war so konkret nicht im Gespräch. Es war eine Überraschung zu sehen, wie man flexibel ist und sich in die Rolle hineinfühlen kann. Dadurch, dass ich mein Leben lang immer wieder Bösewichter gesungen habe, war mir das nichts Neues, diese dunkle Farbe hinein zu bekommen. Gerade an der Stelle, wo Alberich die Wotan-Welt zitiert – das hat mir wahnsinnig Spaß gemacht. Der Alberich ist unglaublich vielschichtig, hat die dämonischen, dunklen Elemente.

Glücksfall für Bayreuth“ (über Marek Janowski, der ab 2016 den „Ring“ dirigiert)

Bleiben Sie Alberich bis zum Schluss 2017 in Bayreuth?
Ich singe ihn nächstes und übernächstes Jahr wieder. Und ich freue mich auf Marek Janowski, den ich hier schon getroffen habe. Meine allererste Wagner-Partie – eine konzertante Aufführung der Götterdämmerung – habe ich 1985 oder 86 unter Janowski in Köln gesungen. Das werde ich nie vergessen. Wir haben in der Folge viel zusammen gearbeitet, und dass er nun hierher zurückkommt, ist für mich eine Riesen-Freude. Und ich verspreche jetzt schon: Das wird phänomenal. Er hat eine riesige Ring-Kenntnis und ist einer der ganz Großen. Ich denke, es ist ein Glücksfall für Bayreuth, so einen Dirigenten zu gewinnen.

Andererseits trauern Mitwirkende und Publikum schon jetzt Kirill Petrenko nach.
Er ist ein anderer Glücksfall für Bayreuth. Ich habe in 36 Jahren Oper keinen Dirigenten erlebt, der so in der Musik lebt wie Petrenko. Er kommt mit Notizblättern in die Garderobe und dann sprechen wir über Achtelpunktierungen oder Sechzehntelauftakte. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Es ist unglaublich, wie sich dieser Mensch der Musik, ich möchte fast sagen, geweiht hat. Ich habe wirklich schon unter den ganz Großen Musik gemacht. Aber so, wie das bei Petrenko ist, habe ich das noch nicht erlebt.

Man ist also nie zu erfahren für neue Erkenntnisse?
Natürlich nicht. Man muss immer wieder offen sein für Neues, sich darauf einlassen. Natürlich hört’s dann auf, wenn man in der Ausübung der Musik gestört wird.

Durch die Regie?
Zum Beispiel. Ich sage immer: Liebe Regie, wir Sänger sind die Instrumente. Und wir brauchen, um diese Höchstleistungen zu erreichen, bestimmte physische Grundvoraussetzungen. Und wenn wir die nicht haben, weil wir einen doppelten Salto vorwärts machen müssen, dann gehen wir in den Zirkus. Wir brauchen Grundbedingungen, damit wir mit unserem Körper diese Töne produzieren können, die über das Orchester hinaus einen 2000-Zuschauer-Raum füllen.

Nun sind wir wieder bei der Regie. Wie bewerten Sie deren Rolle?
Seit den 70er Jahren ist in Deutschland die Regie die Primadonna. Früher waren es die Dirigenten, dann standen die Sänger im Vordergrund. Heute sind die Sänger oft Störelemente und es geht nur noch um Regie.

Dank Thielemann auf der richtigen Schiene (über die Wertigkeit der Sänger in Bayreuth)

Auch in Bayreuth?
Ich freue mich, dass in Bayreuth, vor allem auch durch unseren Musikdirektor Thielemann, die Tendenz wieder dahin geht, dass hier wieder die Besten der Besten singen. Dass unter phantastischen Bedingungen Außergewöhnliches geleistet werden kann. Die Inszenierung von Tristan und Isolde von Katharina Wagner hat mir unglaublich gut gefallen, das ist die richtige Schiene.

Wie wichtig ist die Regie?
Regie ist natürlich wichtig. Eine Opernproduktion ist Teamwork. Alle – von der Schneiderei über die Bühnentechnik bis zu den Sängern – müssen zusammenwirken. Aber in der Bewertung ist einiges aus dem Ruder gelaufen, das entstand aber auch unter großer Mitwirkung der so genannten Experten der Feuilletons. Die sehen zum 580. Mal eine Walküre und haben einen ganz anderen Bewertungsmaßstab als einer, der zum ersten Mal in so eine Oper geht. Natürlich ist es für den Herrn Kritiker banal, wenn dem Publikum einfach die Geschichte erzählt wird. Es ist aber völlig essenziell für all die, die diese Oper zum ersten Mal sehen. Da müssen wir uns überlegen: Wollen wir was Elitäres, Abgehobenes, für die Leute, die zum 580. Mal eine Oper sehen oder machen wir Oper auch für die Menschen, die zum ersten Mal kommen? Und letztendlich müssen wir auch an die nächste Generation denken. Wie wollen wir junge Leute in die Oper bekommen, wenn wir uns in abgehobene Inszenierungen hineinsteigern, die kein Mensch versteht.

Wo liegen die Maßstäbe?
Die Meisterwerke, die uns der Richard da geschaffen hat, oder überhaupt die Meisterwerke der Musik, sind für mich vergleichbar mit den Meisterwerken der Kunst. Wenn ich so ein Meisterwerk vor mir habe, eine Mona Lisa zum Beispiel, kann ich mir höchstens erlauben, es in einen anderen Rahmen zu setzen. Aber ich kann nicht drüber malen. Und was in der zeitgenössischen Opernregie viel zu oft passiert, ist, dass von den Herrn Kritikern das Übermalen der Mona Lisa als völlig normal dargestellt wird. Da stimmt doch was nicht.

Als zählte die Übertünchung und nicht die Mona Lisa“ (über die Bedeutung der Regie in der Kritik)

Wo ist für Sie dieser Rahmen?
Für mich ist die Kunst einer phantastischen Inszenierung – um im Bild zu bleiben –, dass diese Mona Lisa vielleicht einen anderen Rahmen oder eine andere Beleuchtung erhält, damit wir sie in einem anderen Licht wahrnehmen. Aber es bleibt die Mona Lisa und nicht das Übertünchte. Ich habe den Eindruck, die Übertünchung von Mona Lisas ist wichtiger geworden als die Mona Lisa neu darzustellen.

Wo ist die Alternative?
Immer wenn ich in der Welt konzertant Ringe gemacht habe, waren die Leute begeistert. Es kann doch nicht sein, dass heute konzertante Aufführungen den Menschen mehr geben als Opernaufführungen.

Können Sie sich vorstellen, im Bayreuther Festspielhaus konzertant eine Oper zu geben?
Ich fände das in dieser besonderen Akustik unglaublich prickelnd. Das würde ich gern mal vorschlagen. Wo steht denn, dass man hier nur inszenierte Stücke aufführen darf? Natürlich: Ich habe auch unglaublich tolle Opernaufführungen gemacht, wo die Musik durch die Inszenierung erhöht wird.

Sie können ja den „Ring“ von Tankred Dorst direkt mit der aktuellen Inszenierung von Frank Castorf vergleichen. Wie war da die Arbeit?
Der Dorst-Ring hat phantastisch schöne Bilderwelten geschaffen. Aber was mir gefehlt hat, war die Konzeptverknüpfung, dass die Alltagswelt mit der Götterwelt ineinander greift. Die lebten immer aneinander vorbei. Ich hatte Tankred Dorst mehrmals gefragt, ob man das nicht ein wenig mehr verzahnen sollte. „Ja, wir wollen mal sehen“, hat er geantwortet. Ich glaube, er wollte es einfach nicht.

Haben Sie sich die anderen Aufführungen hier angesehen?
Ganz ehrlich: Nach über 35 Jahren Oper höre ich mir am liebsten Kammermusik an oder sinfonische Werke, wo keiner singt. Denn wenn jemand singt, gehen bei mir sofort die Kontrollmechanismen los. Der war zu hoch, das Passaggio zu tief, der Viertelton dort, der hätte besser atmen müssen. Und, und, und… Da entspann ich mich nicht.

Hören Sie Aufnahmen Ihrer Auftritte?
Selten. Wenn ich mal alter Pensionär bin und auf meiner Terrasse mit Meerblick sitze, will ich mir dann abends die alten Platten anhören.

Denken Sie ans Aufhören?
Ja und Nein. Aber ich liebe die Musik noch viel zu sehr, vor allem die von meinen beiden Richards – Wagner und Strauss. Sie haben es geschafft, die Menschen so zu emotionalisieren, sie so gefühlsmäßig abheben zu lassen – egal, wo man ist auf der Welt. Bei allem Respekt für meine italienischen Komponisten, Verdi und Puccini. Aber so bedingungslos emotional die Menschen zu packen, in eine andere Sphäre zu transzendieren, das ist einzigartig.

„Ich bin immer ein Suchender“ (über neue und Traumpartien)

Sie haben schon alle großen Partien gesungen. Gibt es trotzdem noch eine Traumpartie für Sie?
Die gibt es! Aber da kann ich jetzt noch nicht drüber reden. Ich freue mich aber auf mein Debüt in „Moses und Aaron“ von Arnold Schönberg in Madrid. Ich bin immer ein Suchender und daher auch immer noch erstaunlich neugierig. Und das will ich mir erhalten.

Auch außerhalb Ihrer Richards?
Immer. Außerdem gibt es noch so viel anderes als Musik auf dieser Welt. Ich habe noch so viele andere Ideen. Meine Frau und ich haben eine große unternehmerische Ader. Wir wollen mit Immobilien noch etwas auf die Beine stellen.

Ist für Sie Regie ein Thema?
Gute Frage. Ich komme gerade von einer Produktion, da sagte der Regisseur: „Albert, ich weiß nicht weiter, was sollen wir machen?“ Ich habe dann weitergemacht – und es ist sehr gut geworden. Da hab ich mich auch gefragt, warum machst du das nicht?

„Ich denke mal darüber nach!“ (über die Idee, selbst Regie zu führen)

Könnte ein regieführender Sänger sich besser in die Mitwirkenden hinein versetzen?
Da sagen Sie was… Ich habe noch nie genauer darüber nachgedacht. Aber ich wüsste, was ich von einem Sänger erwarten kann und wie er am besten stehen sollte. Wir als Sänger kennen ja die Musik wie kaum ein anderer. Von daher hätten wir natürlich einen riesigen Vorsprung. Also, ich denke mal drüber nach.

Sie sind Oboist, wurden Jurist, dann Sänger. Wie kam das?
Ich komme aus einer Familie, da bin ich meinen Eltern jetzt noch dankbar, in der immer gesungen wurde: Samstagabends, vierstimmige Kanon. Dieses gemeinsame Singen, war ein so tolles Erlebnis. Die Stimme habe ich wohl von meinem Vater geerbt. Er hatte eine phantastische Naturstimme, eine dunkel gefärbte Heldentenorstimme. Er hatte nur nicht die Nerven, vor Publikum zu singen. Mein ältester Bruder und dessen Freund, ein Wagner-Experte, haben bei mir früh erkannt, dass das eine Wagner-Stimme werden könnte. Ich hatte als Kind eine schöne Stimme. Aber mit dem Stimmbruch war das vorbei – dann kamen die Mädels und die Oboe. Das war interessanter.

Und wie wurden Sie schließlich doch entdeckt?
Reiner Zufall. Wir haben mit dem Orchester die Krönungsmesse gespielt; ich pack die Oboe ein und singe so unbewusst vor mich hin. Das hörte der Orchesterleiter und meinte, dass wir mit meiner Stimme etwas machen müssen. Mein ältester Bruder und der Freund der Familie haben ein Vorsingen arrangiert. Außerdem nahm ich noch an einem Wettbewerb vom VDMK (Deutscher Tonkünstlerverband) teil und habe in meiner Kategorie, das war die für Anfänger, das Bundesfinale gewonnen. Mein Vater erfuhr davon aus der Zeitung und sagte: „Schön, wie du Jura studierst.“ Die Liebe zum Gesang war einfach zu groß.

Haben Sie Jura nicht als Absicherung fertig studiert?
Nein, nur bis zum ersten Staatsexamen. Und dann kam sofort ein Vertrag der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Das war 1982. Es waren gute Lehrjahre. Der internationale Durchbruch kam 1997, also 15 Jahre später, bei den Osterfestspielen in Salzburg.

Das werde ich nie vergessen. Wir lebten damals in Sizilien, meine Frau ist Sizilianerin. Und es kam ein Anruf meiner Agentin: „Herr Dohmen, was halten Sie von Wozzeck?“. Ich sage: „Sehr schöne Oper.“ Sie: „Haben Sie den schon gesungen.“ Ich sage: „Nein, nie.“ – „Schön, dann haben Sie jetzt sechs Wochen dafür.“ Claudio Abbado hatte mich gehört, wie ich den Rheingold-Wotan sang. Ich bin heute noch dankbar, dass er das Vertrauen in mich hatte. Den Wozzeck musste ich in kürzester Zeit lernen. Regisseur Peter Stein war anfangs überhaupt nicht begeistert, weil ich Zeit brauchte, um musikalisch die Partie wirklich zu vertrauen, bevor ich mich auf die Szene konzentrieren konnte. Er hatte dann widerwillig diese Geduld. Und hinterher sind wir sehr, sehr gute Freunde geworden.

Sie waren zu diesem Zeitpunkt schon in den 40ern. Bekämen Sie heute noch die Zeit, sich zu entwickeln?
Das ist genau der Schwachsinn unserer Zeit. Ich habe meine ersten großen Partien wie den Walküren-Wotan und den Wanderer-Wotan nicht vor 40 gesungen. Ich habe die zehn Jahre lang vorbereitet. Und diese Zeit nimmt sich heute keiner mehr. Ich sehe bei vielen jungen Kollegen, dass es heute alles immer noch schneller gehen muss. Aber die Stimme lässt sich nicht manipulieren. Das ist wie in der Leichtathletik. Du kannst nur körperliche Höchstleistungen schaffen, wenn du das behutsam aufbaust. Muskeln sind schnell übertrainiert. Zu schnell, zu hoch, zu viel. Die Tendenz sieht man bei vielen jungen Sängern. Die wollen auch nicht mehr warten. Alles soll schnell gehen, die Agenten und die Besetzungschefs beschleunigen das. Sie wollen ständig neue Namen. Wer soll dann in zehn Jahren noch diese großen, schweren Partien singen können?

Wer singt in zehn Jahren noch die großen, schweren Partien?“ (über die Schnelllebigkeit im Sängerbetrieb)

Wie sind Sie dieser Schnelligkeit entkommen?
Der Trend war zu meiner Zeit auch schon da. Aber ich hatte zum Glück einen Agenten, der mich verstanden hat. Ich wollte erst die kleineren Partien sehr gut an Tophäusern singen und weiter an den großen Partien arbeiten. Das war die richtige Entscheidung. Ab Wozzeck wurde dann alles anders.

Ihr Terminkalender, zum Beispiel nächstes Jahr, ist nicht mehr allzu üppig.
Ich will ihn auch nicht mehr vollstopfen. Wenn man 35 Jahre durch die Welt gejettet ist, kommt ein Punkt, wo man mehr Zeit mit der Familie und Freunden zusammen sein will. Man erlaubt sich dann dieses Privileg. Ich werde nächstes Jahr 60 Jahre alt und muss niemandem mehr irgendwas beweisen. Und ich erlaube mir deshalb den Luxus, jetzt einfach mehr Freiheit zu haben.


Mehr Interviews mit Ring-Mitwirkenden auf festspieleblog.de:

Nadine Weissmann (Erda)

Catherine Foster (Brünnhilde)

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Prof.Peter Baberkoff
    18. Dezember 2017 19:46

    Göttliche Begabung ist Albert Dohmen.Bravissimo!!!
    Ich tue es auch mit dem Wörtern von uns wollbekannten genialen Denker und Philosoph Pythagoras, / 570 v. Chr. /
    „Ich schwöre es auf Jenen, der unserer Seele die göttliche Tetraktys offenbart hat“.
    Heute  besonders.
    PS, Zitat“tetraktys=Zahll10=Harmonie,Comos,Göttliche Einheit, Musik gemeint.

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