Was für eine Premiere bei den Bayreuther Festspielen. Als die letzten Takte im Zuschauerraum des Festspielhauses verklingen, bleibt es kurz ruhig. Dann — kein Buh, sondern Bravo! Auch und erst recht für die Regisseurin Katharina Wagner.
Einiges ist ja in den letzten Tagen schon bekannt geworden ist, wie Katharina Wagner als Regisseurin das Werk ihres Urgroßvaters deutet. Wer erwartet, sie würde — wie vor acht Jahren die „Meistersinger von Nürnberg“ — frech daherkommen, die Fenster aufreißen und Staub aufwirbeln, wird enttäuscht, ebenso wie der, der sich aufregen mag, weil eine ganz andere als die eigentliche Geschichte erzählt wird, die Öl-Geschichte zum Beispiel wie bei Castorfs Ring. Katharina Wagner erzählt die Liebesgeschichte von Tristan und Isolde. Und die geht nicht gut aus.
Und so dominiert dunkel, schwarz, ein paar schwache Lichtsternchen oder grelle Scheinwerfer, die das Liebespaar verfolgen. Frank Schlößmann und Matthias Lippert als Bühnenbildner haben grandiose Bilder geschaffen. Es dominiert das Dreieck. Zum einen, weil es ja eine Dreiecksgeschichte ist, zum anderen weil das Dreieck die Bühne in einen beklemmend engen Raum verwandelt. In Blau sind die Liebenden gewandet, in grün ihre Begleiter, Kurwenal und Brangäne, senfgelb kommen die Bösen daher, Marke und die Seinen.
Marke als fieser Staatsmann
Es gibt keinen enttäuschten alternden König, sondern einen echten Fiesling, der sein Eigentum, Isolde, haben nur will. Doch keiner kann verhindern, dass die sich in Tristan verliebt und umgekehrt. Der treue Diener Kurwenal nicht, er wird am Ende hingemetzelt, Brangäne nicht, sie dreht durch und steht am Ende fassungslos, mit den Fingern nervös fistelnd an Tristans Totenbett. Vermutlich kickt auch Isolde durch, die den Tod des Geliebten nicht glauben mag, die „Leiche“ aufrichtet, streichelt, sich trösten lassen will. So stirbt sie ihren Liebestod. Den Tod der Liebe, nicht den physischen. Überraschend trister Schluss: Marke packt sein Eigentum Isolde nach deren ergreifendem Ende und zieht sie wie ein Stück Vieh mit sich hinaus.
Was braucht’s einen Trank?
Das ist eine überraschende Idee der Regisseurin, die zweite: Tristan und Isolde gehen nicht vom Liebestrank berauscht dieses tragische Verhältnis ein, sondern ganz bewusst, von Anfang an. Was braucht’s da den Liebestrank? Den kippen sie weg, nachdem das Irren durch die vielen, vielen Treppen, die auch das Schiffsinnere sein können, ein glücklich Ende hat.
Es gibt viele beklemmende Momente in diesem „Tristan“, vor allem im zweiten Akt, der sich nicht im Garten abspielt, sondern in einer Art Gefängnishof aus dem Brangäne und Kurwenal verzweifelt fliehen wollen, immer wieder einbrechen, eingesperrt werden. Gnadenlos gleißendes Licht werfen Spots von oben auf sie; Marke und sein Gefolge schauen zu, kalt. Wie ein römischer Kaiser in die Arena auf seine Gladiatoren blickt. Tristan und Isolde können sich notdürftig verstecken, eine kurze romantische Phase mit leuchtenden Sternchen ist ihnen gegönnt. Starke Bilder.
Tristans starker Fiebertraum
Die findet das Regieteam aber auch im dritten Akt, wo sich Tristan durch einen Traum fiebert und im Dunkel der Bühne immer wieder die Angebetete „entdeckt“: hier zeigt sich eine Isolde in einer matt beleuchteten Pyramide, ist plötzlich wieder weg, in einer anderen Ecke taucht sie mit dem Hochzeitsschleier auf, geht unter, dort bricht sie in sich zusammen, nimmt sich den Kopf vom Hals, lockt, blutet, ist nur eine Fratze. Das ist stark — und wird noch stärker, wenn ein Stephen Gould durch diesen Traum irrt. Selbst zu dieser Zeit seiner Partie kein bisschen müde, weder in Ausdruck noch in Stimme. Ein Traum-Tristan.
Überhaupt ist das eine Premiere wie sie für die Bayreuther Festspiele würdig ist: Evelyn Herlitzius kann zwar ganz ehrlich diesem Tristan nicht das Wasser reichen, ist etwas aufgeregt in der Stimme, aber ist unglaublich präsent. Eine Freude, ihr zuzuschauen. Nicht zu vergessen: Es ist ein echter Liebesdienst, den sie bei den Bayreuther Festspielen tut. Erst letzten Sonntag gab sie die Elektra in München und sprang vier Wochen vor der Premiere überhaupt ein.
Edle Besetzung
Absolut edel besetzt sind die weiteren Mitwirkenden: eine wundervolle Brangäne gibt Christa Mayer, Iain Paterson ist ein ausdrucksstarker und stimmblich beeindruckender toller Kurwenal, Raimund Nolte als Melod und Hirt und Seemann Tansel Akzeybek.
Ein Knüller als Marke ist Georg Zeppenfeld, der aus Marke einen echten unsympathischen Staatsmann macht. Allein diese kleine Geste, wie er sich am Schluss einen Fussel vom Trauerflor schnippt! Sein ganzes Bedauern — nur eine Farce. Zeppenfelds Bass — ein Genuss.
Das ist das Stichwort für den Graben. Das Festspielorchester zaubert unter Christian Thielemann unglaubliche Momente. Manchmal scheint es, als würde die Zeit im Festspielhaus stillzustehen. Thielemann weiß, wann er die Musik zügelt und wann die Emotionen in den Zuschauerraum fließen. Große Kunst. Dass am Ende in seinen Jubel, übrigens auch vom Festspielorchester, sich ein paar Buhs mischen, liegt eher an seinen derzeitigen Sympathiewerten als an seiner heutigen Arbeit.
Es ist keine neue Geschichte, die Katharina Wagner mit diesem „Tristan“ erzählt, es bleibt höchstens die Weisheit: Nirgends steht geschrieben, dass das Leben gerecht ist…
Es funktioniert. Am Ende Riesenjubel für alle – zurecht.
Spannende Frage: Wie reagiert das Publikum auf die Regie? Mit riesengroßem Applaus, als sich Katharina Wagner mit Dramaturg Daniel Weber, Frank Schlößmann und Matthias Lippert ganz kurz zeigt. Was für eine Premiere!
(Fotos: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele)