Die zweite Saison von Axel Kober bei den Bayreuther Festspielen begann mit einem riesigen Krach: 2014, als die Festspiele mit „Tannhäuser“ eröffnet wurden, brach eine Bühnenkonstruktion — die Vorstellung musste eine Stunde unterbrochen werden. Tannhäuser ist abgesetzt, aber Axel Kober ist wieder da. Und wieder übernimmt er den Taktstock von Christian Thielemann, diesmal bei „Der fliegende Holländer“ in der Regie von Jan Philipp Gloger. Am 31. Juli ist Premiere. festspieleblog.de unterhielt sich am Ende der letzten Saison mit dem Dirigenten, für den die Bayreuther Festspiele quasi ein Heimspiel sind, über Franken, seine neue Wahlheimat Düsseldorf, wo er Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein ist, über Wagner, über Fußball und mehr.
festspielblog.de: Wie geht es Ihnen in Bayreuth?
Axel Kober: Sehr gut. Es ist ein Nachhausekommen. Ich bin ja in der Gegend aufgewachsen, meine Eltern und meine zwei älteren Schwestern wohnen noch hier. Ich habe natürlich schöne Erinnerungen an meine Schulzeit und die Zeit, als ich hier Proben besucht habe und in der Musikschule war. Insofern schließt sich ein Kreis.
Waren Sie früher bei den Festspielen tätig, als Statist zum Beispiel?
Nein, ich habe nie mitgewirkt, ich war auch nie Assistent. Ich war als Besucher hier, als Stipendiat und ganz früher mit der Musikschule bei den Proben.
„Es war laut und man hat auch gesehen, dass Teile herumfliegen.“
Über den Premierenabend
Hat sich die Atmosphäre zu den früheren Zeiten verändert?
Das kann ich wahnsinnig schlecht beurteilen. Ich glaube, dass ich die Festspiele früher noch größer wahrgenommen habe. Deswegen wäre ein Vergleich zu heute ungerecht.
Wie kamen Sie zur Musik. Gab es ein Schlüsselerlebnis? Hatte das mit den Bayreuther Festspielen vor der Haustür zu tun?
Eigentlich nicht. Ich bin sehr geprägt durch das Elternhaus. Meine Eltern haben darauf geachtet, dass wir Kinder mit Musik in Verbindung kommen. Ich habe früh Klavier und dann Geige gespielt und war in einigen Orchestern in der Region tätig: beim Musikschulorchester, beim Oberfränkischen Jugendorchester, im Bayerischen Landesjugendorchester. Insofern hatte ich von klein auf sehr viel mit Musik zu tun. Ein besonderes Erlebnis, das mich dann zur Musik gebracht hätte, gab es nicht.
Dann wurde die Musik Ihr Beruf. Hatten Sie eine Alternative in Betracht gezogen?
Andere Berufsgedanken gab es. Aber der Wunsch, Musiker zu werden, war mit ungefähr 17 Jahren schon ziemlich ausgeprägt. Und wenn, dann Dirigent.
Was ist das Reizvolle daran?
Ich fand das immer spannend. Ich habe in mehreren Orchestern gespielt und später als Konzertmeister auch viele Gruppenproben geleitet. Das hat mir Spaß gemacht.
Man muss dazu ja auch pädagogisches Geschick besitzen – oder?
Natürlich. Man muss auch Spaß an dem Miteinander haben. Das hatte ich von Anfang an.
Ihre „Tannhäuser“-Premiere 2014 machte durch die erste Unterbrechung einer Premierenvorstellung in der Festspielgeschichte Furore. Wie haben Sie die technische Panne im Orchestergraben erlebt?
Es war laut und man hat auch gesehen, dass Teile herumfliegen. Es war klar, dass etwas passiert ist. Aber was genau, stand nicht gleich fest. Ich war zunächst einmal in Sorge, ob die Bühne sicher ist.
„Das ist in der Beurteilung der Produktion viel zu kurz gekommen.“
Über das intensive Spiel der Sänger
Sie waren der dritte Dirigent des „Tannhäuser“ seit der Premiere 2011 und dirigieren das Werk nach Thomas Hengelbrock und Christian Thielemann nun im zweiten Jahr. Wie kamen Sie mit der Regie von Sebastian Baumgarten klar?
Ich habe sehr intensiv mit Sebastian Baumgarten zusammengearbeitet und war auch bei vielen szenischen Proben dabei. Im Spiel der Sänger, wie diese miteinander umgehen und zueinander stehen, konnte man noch einiges verändern. Da hat auch, wie ich finde, Sebastian Baumgarten in den letzten beiden Jahren sehr gut gearbeitet und die Inszenierung stringent weiterentwickelt. Für mich ist ganz wichtig: Wie agieren die Sänger miteinander, gibt es eine Motivation für Aktionen, dafür, was sie ‚sagen‘, was sie meinen. Ich finde, dass das in der Beurteilung der Produktion viel zu kurz gekommen ist. Man kann vielleicht über den einen oder anderen Punkt diskutieren. Aber insgesamt finde ich das sehr schlüssig.
„Es haben sich auch Leute ein Urteil erlaubt, die die Inszenierung überhaupt nicht gesehen hatten.“
Über die Tannhäuser-Inszenierung in Düsseldorf
Sie haben Ihre ganz eigene „Tannhäuser“-Geschichte. Sie waren 2013 Dirigent der Inszenierung von Burkhard C. Kosminski in Düsseldorf, die abgesetzt bzw. nur noch konzertant gezeigt wurde. Konnten Sie als Generalmusikdirektor der Oper und Premierendirigent ahnen, dass die Geschichte so ausgehen wird?
Wir haben gewusst, dass es eine kontroverse Sache wird. Es war zu einem gewissen Punkt auch beabsichtigt. Man muss diese Produktion als Teil des Gesamtprogramms des Richard Wagner-Jubiläumsjahrs sehen. Wir als Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg haben wirklich versucht, das Gesamtwerk zu beleuchten. Und wir hatten einige sehr traditionelle Inszenierungen. Wir haben Teile des ganz alten „Ring“ von Kurt Horres wieder aufgenommen, wir hatten eine sehr traditionelle Holländer-Inszenierung, wir haben parallel zu diesem „Holländer“ eine Uraufführung von Helmut Oehring im Programm: Von Elementen aus Wagners „Holländer“ ausgehend, hat er eine eigene Oper geschaffen. Damit haben wir das Werk Richard Wagners aus der modernen Sicht beleuchtet und wollten dann natürlich auch eine Regiearbeit, die das Werk Wagners aus einer heutigen Perspektive zeigen sollte. Das sollte ein ‚Gesamtblick‘ werden, der Diskussionen anregt. Aber das Ganze hat dann eine mediale Wucht entfaltet; es wurde viel darüber geschrieben und es haben sich auch Leute ein Urteil erlaubt, die die Inszenierung überhaupt nicht gesehen hatten. Die Geschichte ist ziemlich ausgeufert.
War die Entscheidung, den „Tannhäuser“ nur noch konzertant zu zeigen, richtig?
Die Sache hat eine große Eigendynamik bekommen. Letztendlich mussten wir auf das Publikum und vor allem auch aus Sorge um die Künstler reagieren.
Bedauern Sie das, dass der Kunst Grenzen gesetzt wurden?
Ein schwieriges Thema. Ich finde natürlich, dass Kunst frei sein muss. In der Berichterstattung hingegen wurden Grenzen überschritten. Die Art und Weise, wie große, renommierte Medien zum Teil auch falsch über diesen Abend berichteten und in welche Ecke dann die handelnden Personen gestellt wurden, war beängstigend.
Wenn Sie das geahnt hätten?
Die Regie war zwar drastisch, aber die Idee, diesen Schuldkomplex in Verbindung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu bringen, war an sich nichts Neues, das hat Götz Friedrich hier ja schon in den 70ern inszeniert. Es handelte sich also nicht etwa um etwas Bahnbrechendes, noch nie Dagewesenes. Deswegen waren wir von der Vehemenz der Reaktionen sehr überrascht.
Schlechte Nachrichten gelten ja mitunter als gute Nachrichten. Konnten Sie sich nicht über die PR für die Deutsche Oper am Rhein freuen?
Nein, in dem Fall gar nicht. Denn es war ja nicht möglich, adäquat zu reagieren.
Kommen wir zurück nach Bayreuth. Wie kamen Sie eigentlich zur Musik von Richard Wagner?
Ich habe mich schon früher mit dieser Musik beschäftigt und sie geliebt. Ich habe in der Schule eine Facharbeit über Tristan geschrieben, für die ich das Werk dann das erste Mal richtig gehört habe. Das hat mich damals sehr bewegt. Und in der Sturm- und Drangzeit wird man schon weggetragen von dieser Musik (lacht).
„Ich war kein verbohrter Klassiker.“
Über Tristan in der „Sturm- und Drangzeit“
In der Sturm- und Drangzeit hörten Sie Tristan?
Nicht ausschließlich, ich habe auch anderes gehört. Ich war kein verbohrter Klassiker. Aber dadurch, dass ich selbst sehr viel musiziert habe, lag diese Musik natürlich nahe und damit auch die Beschäftigung damit. Und dann hat sich das im Berufsleben so ergeben, dass die Werke im Arbeitsalltag hinzugekommen sind, sodass ich mich damit beschäftigen musste – und wollte.
Sehen Sie sich als Wagner-Dirigent?
Sagen wir so, ich habe für mein Alter sehr viel Wagner dirigiert, ich habe das komplette Werk gemacht. Aber ich mag keine Klassifizierung. Ich dirigiere auch sehr viel und sehr gerne anderes und bin ungern festgezurrt.
„Ich bin ungern festgezurrt.“
Über einen persönlichen Favoriten
Haben Sie Favoriten?
Schwierig. Es gibt das eine oder andere. Aber einen eigentlichen Favoriten habe ich nicht.
Ihre Lieblings-Wagner-Oper?
Auch das ist schwierig zu sagen. Sie sind alle so unterschiedlich, dass man da wirklich ganz schwer Vergleiche anstellen kann. Sie haben alle ihre Tücken und Schwierigkeiten – und Schönheiten.
2015 übernehmen Sie von Christian Thielemann die Arbeit im Orchestergraben beim „Fliegenden Holländer“. Ist es für Sie schwierig, zum zweiten Mal in eine Produktion einzusteigen?
Nein. Es gibt ja wieder ausreichend Proben, um Eigenes zu machen. Gut, ich bin nicht von Anfang an in die szenische Produktion mit eingebunden. Aber ich habe kein Problem damit, das Stück zu übernehmen.
Wie kommen Sie mit dem Klang im verdeckten Orchestergraben klar?
Man muss sich daran gewöhnen. Aber letztendlich ist es doch ein großartiger Klang, der da entsteht.
Für uns im Publikum ja, aber bei Ihnen?
Auch am Dirigentenpult ist das so. Am Anfang ist diese Ordnung erst einmal schwierig. Man muss eine enorme Bandbreite präsentieren. Vieles muss sehr viel stärker herausgehoben, artikuliert werden, weil der Graben so tief und überdacht ist. Es entsteht schon ein ganz anderes Klangbild als in einem offenen Graben.
„Richtig kann man das erst spüren und erleben, wenn es so weit ist.“
Über die erste Erfahrung im Bayreuther Orchestergraben
Waren Sie von der Klangentfaltung in diesem Graben überrascht?
Ja. Am Anfang sehr. Ich wusste, der Bayreuther Graben ist anders, man kennt natürlich auch den einen oder anderen Kollegen, der von der Arbeit dort erzählt. Aber man kann sich gar nicht darauf vorbereiten. Auch wenn man viele Augen- und Ohrenzeugen befragt. Richtig kann man das erst spüren und erleben, wenn es so weit ist.
Wie erlebten Sie diesen Moment, zum ersten Mal den berühmten Stuhl im Orchestergraben des Bayreuther Festspielhauses einzunehmen?
Sehr aufregend. Es ist etwas ganz Besonderes.
Was kommt als nächstes erstrebenswertes Ziel für Sie?
Ich habe nie solche Ziele, so, da muss ich jetzt unbedingt hin. Das Bayreuther Festspielhaus ist schon ein Traum, der wahrgeworden ist. Was jetzt kommt, das kommt. Da bin ich offen.
Wie kam der Kontakt mit Bayreuth zustande?
Es wurde angefragt, ob ich das machen würde.
Und Ihre Reaktion?
Ich sagte ja. Ich hab mich natürlich sehr gefreut.
Haben Sie schon Buhs erlebt?
Ja, hab ich.
Wie gehen Sie mit dieser Art der Kritik um? Nehmen Sie das zur Kenntnis oder ist das ein Zeichen, dass jemand die Arbeit nicht verstanden hat?
Man muss es reflektieren. Ich denke natürlich darüber nach, versuche, die Reaktion aber auch einzuordnen. Manchmal komme ich drauf, ja, es gibt Punkte, die haben mir selbst nicht so ganz gefallen; und manchmal sind es persönliche Befindlichkeiten. Denen darf man auch nicht zu viel Gewicht geben.
Wie verbringen Sie die Zeit in Bayreuth, wo Sie ja quasi Urlaub daheim machen können?
In erster Linie bin ich viel mit der Familie zusammen, da ich bei meiner Schwester wohne. Ich nutze natürlich auch die Zeit, viele Leute wieder zu treffen.
„Mein Herz schlägt jetzt eher schwarz-gelb.“
Über den Wechsel als Fußballfan
Sie haben ja Franken früh verlassen, erst an die Oper Schwerin, dann Nordrhein-Westfalen, wo Sie ja nach wie vor tätig sind. Zieht es Sie zurück in bayerische Gefilde?
Das wird sich alles zeigen. Mein Vertrag mit der Deutschen Oper am Rhein ist bis 2019 verlängert. Und ich bin ja auch viel unterwegs und regelmäßig hier. Deswegen habe ich jetzt kein übertriebenes Heimweh.
Sie haben die Aufgabe des Dirigenten mit der eines Fußballtrainers verglichen. Welchen Lieblingsclub haben Sie?
Früher war ich eingefleischter Bayern-Fan. Das hat sich in meiner Dortmunder Zeit dann sehr verändert. Als der BVB 2002 Deutscher Meister wurde, wohnten wir in Dortmund. Da war ich auch relativ oft im Stadion. Darum schlägt mein Herz jetzt eher schwarz-gelb.
Also ein Dirigent ist auch im Fußballstadion zu finden?
Ich habe drei Söhne. Und wir unternehmen das schon sehr gern gemeinsam.
Hat sich dem auch Ihr privater Musikkonsum angepasst? Was hören Sie?
Ich höre privat kaum Musik zur Entspannung oder nebenbei. Wenn ich Musik höre, dann will ich mich darauf konzentrieren. Das muss ich nicht immer haben. Ich genieße die Stille dazwischen.
Interview: Regina Ehm-Klier