Es ist schon die ganz große Kunst, eine Top-Besetzung für einen Isolden-Wechsel in letzter Minute zu finden: Evelyn Herlitzius wird also die Isolde der Bayreuther Festspiele 2015. Dass es mit Anja Kampe nicht gutgehen wird, hatte sich bereits abgezeichnet und war spätestens zu vermuten, als diese Woche der Trailer für die Kinoübertragung von „Tristan und Isolde“ von den Bayreuther Festspielen am 7. August veröffentlicht wurde. Beim Video auf YouTube fehlt schlicht die Isolde. „Tristan“ Stephen Gould ist in Szene und Kurzinterview zu sehen. Auch Dirigent Christian Thielemann schwärmt im Werbefilm über seine persönliche Beziehung zu „Tristan und Isolde“ in Bayreuth. Von Isolde keine Spur.
Kampe bleibt Sieglinde
Tatsächlich erfolgte die Trennung exakt in dieser Woche. Und wie wir aus gut unterrichteten Kreisen erfahren, war es Christian Thielemann, Neu-Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, der das Gespräch mit der Sängerin, die auch die gefeierte Sieglinde (Walküre) an der Seite von Johan Botha ist — und bleibt —, geführt hat. Das lässt freilich Spekulationen zu: Das Privatleben von Anja Kampe oder Verwicklungen um die Wahl bei den Berliner Philharmonikern, ebenfalls in dieser Woche, wurden als Gründe für einen „Rausschmiss“ bemüht.
Abstrus, heißt es in Bayreuth. Es sei kein Rausschmiss gewesen, sondern eine Einigung. Und hätte es tatsächlich menschliche Animositäten gegeben, ließe sich das unter Profis regeln. Sie wären vielleicht ein Tüpfelchen auf dem i, aber kein Grund für eine Trennung vier Wochen vor der Premiere.
Szenisch war Anja Kampe wohl absolut professionell in der Regie von Katharina Wagner unterwegs. Aber während Stephen Gould als „Tristan“ mit „in der Verfassung seines Lebens“ beschrieben wird und zu hören ist, dass er bei jeder Probe — selbst im für ihn anstrengendsten dritten Akt — seine Partie begeistert aussingt, als wäre es ein Kinderliedchen, war Anja Kampe in der letzten Zeit wohl an die Grenzen ihrer Kraft gegangen. Die „Welt“ schreibt heute (27. Juni) online von der „problematischen Mittellage“ der Sängerin. In gut informierten Kreisen in Bayreuth wird das nicht dementiert.
Keine Begeisterung, aber Verständnis
Und so stößt Thielemanns Gespräch mit Kampe und dessen Ende zunächst zwar nicht auf Begeisterung, unterm Strich aber auf Verständnis. Dass der „Krach“ nicht so groß gewesen sein kann, zeigt übrigens, dass Anja Kampe weiterhin als „Sieglinde“ bei den Bayreuther Festspielen 2015 auf der Besetzungliste steht und überdies Größe bei der Vertragsabwicklung zeigt. Es werden, wie wir erfahren, keine zusätzlichen Kosten für die Festspiele wegen der Umbesetzung anfallen (im Gegensatz zum letzjährigen Alberich-Rauswurf, über den wir berichtet haben — hier).
Organisatorischer Rattenschwanz
Dennoch zieht die Umbesetzung einen Rattenschwanz an organisatorischem Aufwand nach sich. Denn der meisterliche Ersatz, Evelyn Herlitzius, hat am Vortag der Generalprobe bei den Bayreuther Festspielen noch die Elektra in München zu singen, wird also erst bei der Premiere die Partie, die sie laut „Operabase“ 2013 zuletzt in Essen gegeben hat, richtig ins Team einsteigen können. Heißt: Keine Filmaufnahmen während der Generalprobe, sondern erst bei der Premiere und am 7. August. Das bedeutet eine lange Nacht für Orchester, Ensemble und Kino-Macher. Staatsempfang und andere Fröhlichkeiten, die zu einer Premiere gehören, fallen für sie ins Wasser. Wenn die anderen feiern, sitzen sie im Festspielhaus zur Nachbereitung für die Kinoaufzeichnung.
„Diese Magie beherrscht nur Thielemann“
Da fielen die Mundwinkel schon hier und da im Festspielhaus nach unten; viele waren sauer über Thielemanns Entscheidung. Aber spätestens bei der letzten Orchestersitzprobe im Steigenberger-Restaurant waren sie wieder versöhnt mit der Welt und Thielemann. Die Probe muss sensationell gut gewesen sein. Ein Teilnehmer: „Wenn Thielemann den Taktstock hebt, ist alles andere vergessen. Diese Magie beherrscht nur er“.
Mehr über die Übertragung von „Tristan und Isolde“ von den Bayreuther Festspielen in deutsche Kinos unter www.wagner-im-kino.de