Ein teurer Sängerrauswurf; verprellte Mitwirkende, ein schon 2015 abgesetzter "Holländer". Verantwortlich für solche Pannen bei den Bayreuther Festspielen: Eva Wagner-Pasquier. Das erfährt festspieleblog.de bei ausführlichen Recherchen nach den Gründen für das angebliche "Hügelverbot" für die scheidende Festspielchefin (70). Dass die Geschichte jetzt hochkocht, könnte mit der Beförderung von Christian Thielemann vom musikalischen Berater zum Musikdirektor der Bayreuther Festspiele zusammenhängen. Damit hat er Kompetenzen, die bislang in den Machtbereich von Eva Wagner-Pasquier fielen. Thielemann wird der schwarze Peter zugeschoben. Doch er bekommt Rückendeckung, weshalb in den letzten Tagen das sonst übliche Schweigen rund um die Bayreuther Festspiele bröckelte.
Die fünf Top-Parkplätze hinter dem Festspielhaus von Bayreuth waren bis vor kurzem relativ leger zugewiesen: Theaterarzt, stand über dem einen, Dirigent auf dem anderen, der Rest war mit „Festspielleitung“ reserviert. Nagelneue Schilder hängen neuerdings dort. Und wo früher „Dirigent“ stand und die Besucher der Bayreuther Festspiele anhand des Kennzeichens auf dem jeweiligen Fahrzeug nachvollziehen konnten, wer heute den Taktstock im Festspielhaus in die Hand nimmt, liest sich jetzt „Reserviert für Musikdirektor C. Thielemann“. Ein kleines Schild das viel erzählt, nicht nur, dass es den Dirigenten-Parkplatz nicht mehr explizit gibt.
Vielleicht lässt sich daran der wahre Grund ablesen, warum der bevorstehende Abschied von Eva Wagner-Pasquier, Mit-Chefin der Bayreuther Festspiele, plötzlich so geräuschvoll ausfällt. Eva Wagner-Pasquier solle des Hügels verwiesen werden, heißt es. Und es stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Intrige gegen die 70-Jährige, deren Ende der Amtszeit am 31. August 2015 doch schon vor einem Jahr offiziell besiegelt wurde. Wer die ältere der Wagner-Schwestern im Vorjahr erlebt hat, hatte nicht den Eindruck, ihr Abschied geschehe unfreiwillig. Im Gegenteil. Sie erzählte selbst vom Beratervertrag, mit dem sie den Festspielen verbunden bleibe, und dass sie nach München umziehen wolle.
Wieso wird angesichts solch geklärter Verhältnisse ein „Hügelverbot“ von den Gesellschaftern, das sind der Bund, der Freistaat, die Stadt sowie die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, ausgesprochen? Warum wird ein Schriftwechsel zwischen der Gesellschafterversammlung der Bayreuther Festspiele und Wagner-Pasquier-Anwalt Prof. Dr. Raue vom Januar erst im Juni, pünktlich zu Probenbeginn bei den Bayreuther Festspielen, publik?
festspielblog.de hat recherchiert und in vielen Gesprächen und Telefonaten erfahren, warum Eva Wagner-Pasquier in dieser Saison noch repräsentativ tätig sein, aber keine Entscheidungen mehr treffen soll. Der scheidenden Festspielleiterin sind wohl während ihrer Amtszeit teure Schnitzer unterlaufen. Einmal abgesehen davon, dass es üblich ist, zum Abschied keine weitreichenden Entscheidungen mehr zu treffen. Es sollten sich solche Fehler nicht wiederholen.
Der „Alberich“-Rausschmiss
Mit den Bayreuther Festspielen verbindet Martin Winkler zu seinem Bedauern nicht nur schöne Erinnerungen: Als “Alberich“ im Castorf-Ring 2013 vom Publikum gefeiert (und eben auch wieder unter Adam Fischer in Budapest gefeiert) und von der Kritik gelobt („Ein Weltklasse-Alberich“), war er auch für 2014 wieder engagiert. Doch kurz vor der Generalprobe flog er raus. Der Ersatz war bereits engagiert als man den Künstler davon in Kenntnis setzte. Regisseur Frank Castorf tobte via Spiegel-Interview und drohte mit Klage, die nicht kam. Die Festspiele hatten ihren alljährlichen Skandal. Und niemand wusste, was eigentlich passiert war.
Der vor die Tür gesetzte Sänger hielt vertragsgemäß den Mund. Es gibt in jedem Mitwirkendenvertrag in Bayreuth eine Schweigeklausel. Jetzt redet Martin Winkler: „Ich habe die Partie natürlich nicht zurückgegeben“, sagt er auf die Frage von festspieleblog.de. Das war von Bayreuth allerdings zunächst so erklärt worden; dann war von einem Missverständnis zwischen der Festspielleitung und Kirill Petrenko die Rede. Der Dirigent habe von einer Erkrankung des Sängers gesprochen und das Künstlerische Betriebsbüro habe aus diesem Grund Ersatz engagiert. Martin Winkler weiß bis heute nicht, wer die Entscheidung wirklich getroffen hat. Es soll sich unseren Informationen zufolge um Eva Wagner-Pasquiers alleinige Entscheidung gehandelt haben. Sie führte jedenfalls das entscheidende Gespräch mit Martin Winkler, zumal sie ja zuständig für Besetzungen war: „Sie hat mich erschossen“, fasst der Österreicher zusammen und berichtet vom Inhalt: Frau Wagner Pasquier habe ihm gesagt, dass das, was er auf der Bühne mache, dem Publikum nicht zuzumuten sei. Er sei untragbar.
Dabei hat sich Martin Winkler hat nach eigenem Bekunden sehr wohl gefühlt im Ring-Team um Frank Castorf und Kirill Petrenko, mit dem er übrigens nach wie vor zusammenarbeitet. Das Stück sollte ja, wie von Richard Wagner selbst gewünscht, im Sinne des Werkstattgedankens immer weiter entwickelt werden, “und wenn man das nicht zulässt, ist der Gedanke auch nicht mehr existent“, bedauert Winkler. Warum er rausgekickt wurde, ist dem Sänger heute noch ein Rätsel. Bekanntermaßen ist das Verhältnis zwischen Festspielleitung und Castorf nicht das beste. Warum aber nur ein “Alberich“ entfernt wurde, kann auch dieser nicht erklären. Weder von Katharina Wagner noch von Eva Wagner-Pasquier habe er eine Erklärung erhalten, erinnert sich Winkler an die unschöne Zeit vor einem Jahr.
Doppelt besetzt, doppelt bezahlt
Ohne Zeit zu verlieren und ohne mit dem Sänger vorher Rücksprache gehalten zu haben, sei jedenfalls gleich Ersatz engagiert worden: Der bulgarische Sänger Oleg Bryjak, der an Bord des Horrorflugs von German Wings in diesem März war und ums Leben kam, übernahm damals kurz vor knapp. Die Scharade hatte freilich ihren Preis: Martin Winkler hatte einen gültigen Vertrag. Nachdem es keinen in seiner Person gelegenen Grund für die Vertragsauflösung gab, musste die Gage auch bezahlt werden. Und das wurde sie auch, wie Winkler bestätigt. Es wurde also doppelt bezahlt. Über die Höhe sagt er natürlich nichts, aber es dürfte sich aber in dieser Kategorie um einen mittleren fünfstelligen Betrag handeln. „Steuergelder“, wie Winkler anmerkt.
„Holländer“ frühzeitig abgesetzt
Weit teurer wäre ein Fauxpas mit „Der fliegende Holländer“ geworden. 2013 soll Festspielleiterin Eva Wagner-Pasquier die Absetzung der Produktion 2015 an Agenturen gemeldet haben, wie festspieleblog.de aus zuverlässiger Quelle erfährt. Einige Agenten hatten, erfahren wir weiter, sich gewundert und bevor sie die Sänger anderweitig verpflichten, sich in Bayreuth rückversichert. Resultat: der „Holländer“ steht noch mindestens bis 2016 auf dem Spielplan. Niemand mag sich ausmalen, was ohne die Rückfrage der Agentur passiert wäre.
„Es gibt kein Hügelverbot“
Ob wirtschaftliche Entscheidungen Auslöser für einen frühzeitigen Abschied vom Festspielhaus für die erste Tochter Wolfgang Wagners ausschlaggebend waren? Das fragen wir Georg Freiherr von Waldenfels, Vorsitzender der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“ und in dieser Funktion derzeit auch amtierender Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Bayreuther Festspiele. Über Interna gibt Waldenfels keinerlei Auskünfte, findet allerdings „den Aspekt durchaus interessant“, gleichwohl er sich selbst die Frage stellt, warum ausgerechnet jetzt die Geschichte mit dem Hügelverbot, „das es nicht gibt!“, hochkocht. Er bedauert, dass Eva Wagner-Pasquier ihrem Anwalt Prof. Dr. Peter Raue erlaubt habe, aus internen Briefwechseln zu berichten. Richtig sei, dass man nach einem „gemeinsamen Weg“ für den Abschied der Festspielleiterin gesucht habe: „Wir wollen, dass Eva Wagner-Pasquier einen würdigen Abgang bekommt, nach dem, was sie für die Bayreuther Festspiele geleistet hat“, betont Waldenfels. Darauf hätten die Verhandlungen abgezielt. Jetzt bedauert Waldenfels: „Ich dachte, dass mir das gelungen ist.“ Der Inhalt der Schreiben? „Vertraulich und dabei bleibt es auch.“
festspieleblog.de hat Fragen an Prof. Dr. Peter Raue per E-Mail geschickt: Gab es Kompetenzstreitigkeiten über aktuelle oder künftige Besetzungen? Wie lange war von Frau Wagner-Pasquier aus geplant, noch Engagements vorzunehmen bzw. weiter in die Zukunft der Festspiele zu planen? Warum gelangte der Schriftwechsel vom Januar jetzt erst an die Öffentlichkeit? Gab es seitens der Gesellschafterversammlung Kritik an der Arbeit von Frau Wagner-Pasquier, zum Beispiel im Zusammenhang mit Engagements bzw. Kündigungen? Besteht ein Zusammenhang mit eventuell erweiterten Kompetenzen für Christian Thielemann bei den Bayreuther Festspielen? Wird Frau Wagner-Pasquier nun zur fraglichen Zeit im Festspielhaus sein oder nicht? Und gibt es diesen Beratervertrag oder gibt es ihn doch nicht?
Anwalt äußert sich „nicht zur Befindlichkeit der Personen“
Die Antwort von Prof. Raue kommt ebenfalls per Mail: „Ich habe für Aspekte ausführlich zu dem Vorgang Stellung genommen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Zur Befindlichkeit der Personen äußere ich mich überhaupt nicht.“
Wenn man als Prinzessin geboren wurde, erwartet man auch, als Prinzessin behandelt zu werden, das hörte Martin Snell eigenem Bekunden nach am Ende des Festspielsommers 2013. Danach war Schluss: „Ich wurde von meinem vorgesehenen Bayreuth-Engagement ausgeladen, da ich als Solistensprecher wagte, die Festspielleitung über ihr Verhalten gegenüber 20 langjährigen Mitarbeitern zu kritisieren“, berichtet Snell nach einer festspieleblog.de-Anfrage. Hintergrund war damals die uncharmante Ausladung der Mitarbeiter, die über 65 Jahre alt waren. Per Brief zwei Tage vor Ende des damaligen Festspielsommers seien sie informiert worden, dass sie ihres Alters wegen nicht mehr nach Bayreuth eingeladen würden. „Die Art und Weise dieses Schreibens sorgte für Kopfschütteln und Empörung. Die Betroffenen waren selbstverständlich sehr bestürzt“, erinnert sich Martin Snell. Er protestierte.
Solistensprecher protestiert und fliegt
„Meine Ausladung war unangemessen und kindisch“, erklärt nun der neuseeländische Sänger, der seit 2005 in vielen Partien in Bayreuth zu hören war. Am Tag nach den Festspielen 2013 habe ihm der Chefdisponent mitgeteilt, dass er mit „Frau Eva Wagner-Pasquier etwas angestellt“ habe. „Meine Antwort war, dass ich Frau Wagner-Pasquier die Wahrheit gesagt habe und wenn diese unappetitlich wäre, bin ich dafür nicht verantwortlich“, gibt Martin Snell das Gespräch von damals wieder, in dem schließlich auch die Aussage mit der „Prinzessin“ fiel. Snell: „Natürlich eine Darstellung und Behauptung, die ich abgewiesen habe. Respekt ist nicht automatisch. Er muss verdient werden.“
Dabei hat ähnlich wie Martin Winkler auch Martin Snell mit den Festspielen abgeschlossen und auch keine sonderlich gute Meinung über Stil und Führung im Hause.
Katharina Wagner zufrieden mit Proben
Das färbt freilich auch auf die verbleibende und künftig alleinige Festspielleiterin Katharina Wagner ab. Die mag sich überhaupt nicht zu den Vorkommnissen um ihre Halbschwester äußern, „das ist Sache der Gesellschafterversammlung und der gehöre ich nicht an“, erklärt sie und eilt weiter. Katharina Wagner ist in diesem Jahr nicht nur Festspielleiterin, sondern auch Regisseurin und befindet sich mitten in den Proben für „Tristan und Isolde“, das Premieren-Stück 2015 in Bayreuth. Mit dem Stand der Proben zeigt sie sich „sehr zufrieden“.
Gejubelt wird schon jetzt über die Traumbesetzung. Stephen Gould als Tristan, Christian Thielemann als musikalischer Leiter. Und wer derzeit im Kosmos Festspiele unterwegs ist, sucht vergeblich nach Hinweisen schlechter Stimmung: Techniker, selbst Sängerinnen grüßen freundlich im Vorübergehen. Gespannte Atmosphäre sieht anders aus.
Thielemann will geschlossene Probe
Freilich ist viel zu tun. Es gibt Arbeit und Sonderwünsche. Einer lautet: geschlossene Generalprobe für „Tristan und Isolde“. Thielemann will unbeobachtet bis zum Schluss proben. Und das bekommt er auch. Das ärgert freilich diejenigen, die sich des Privilegs der Generalprobenkarten erfreuen. Mitarbeiter und gute Freunde der Festspiele kommen in den Genuss, die Stücke schon vor der Eröffnung der Bayreuther Festspiele zu erleben. Tristan-Karten suchen sie diesmal vergeblich.
Ist das der Anlass für jenes Zitat in der „Süddeutschen Zeitung“, Anfang des Monats zu lesen, Thielemann werde den Taktstock nicht heben, falls Frau Wagner-Pasquier anwesend ist? Thielemann hatte gegenüber der SZ dementiert, dies jemals gesagt zu haben und schob’s auf die „stille Post“. Das Demento war im selben SZ-Bericht zu lesen. Es nutzte nichts. Thielemann gilt als Verantwortlicher fürs angebliche „Hügelverbot“.
Warum das Schweigen bröckelt
Indes hat Thielemann mit der Beförderung zum Musikdirektor Kompetenzen aus Eva Wagner-Pasquiers Bereich bekommen. Es geht um das Festspielorchester, die Dirigenten und er wird auch bei der Besetzung ein wichtiges Wort mitzureden haben — bislang Eva Wagner-Pasquiers Domäne. Dass Christian Thielemann nun Buhmann sein soll, passt vielen nicht, weshalb das übliche Schweigen in und um die Bayreuther Festspiele bröckelt. Zu hören ist Kritik an Anwalt Raue, der bei seinem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung Christian Thielemann als Drahtzieher für das „Hügelverbot“ und damit Eva Wagner-Pasquiers unehrenhaften Abgang ausgemacht hatte. Und sie erzählen nun ihrerseits von Hintergründen wie geschassten Sängern oder einer abgesagten Festspielsaison. Punkte, die die Festspiele Geld gekostet haben oder hätten, weshalb eine Auskunft dazu von Anwalt Raue durchaus interessant gewesen wäre.
Dirigent Christian Thielemann kommentiert das Thema nicht weiter: „Er hat alles dazu gesagt“, heißt es in seinem Büro in Dresden.
Dirigentenkollegen waren gesprächiger. Daniel Baremboim hat sich unmittelbar nach Bekanntwerden der Geschichte öffentlich hinter Eva Wagner-Pasquier, mit der er seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden ist, gestellt und das „Hügelverbot“ als unmenschlich verurteilt; selbst Kirill Petrenko brach sein übliches Schweigen und ließ über die bayerische Staatsoper mitteilen, er würde am liebsten in Bayreuth hinwerfen und dirigiere diesen Sommer nur aus Respekt vor den Mitwirkenden-Kollegen.
Musikdirektor muss im Notfall einspringen
Hätte er seine Drohung wahr gemacht, wäre womöglich Plan B eingetreten: Musikdirektor C. Thielemann muss nun bei Dirigats-Notfällen einspringen, das gehört dem Vernehmen nach zu seinen Pflichten als Musikdirektor und erfahrenster aller Dirigenten von Bayreuth ist. 2018 hat er mit „Lohengrin“ dann sämtliche Wagner-Opern im Festspielhaus geleitet.
Zwölf Tristan-lose Jahre (2003, Wien) hat sich Thielemann gegönnt. Mit Spannung wird darum das Ergebnis am 25. Juli erwartet. Darum nimmt er sich auch das größte Maß an Probenzeit. Bei den Recherchen ist zu erfahren, dass die geschlossene Generalprobe willkommener Anlass war, Thielemann eins auszuwischen und Eva Wagner-Pasquier zu seinem Opfer zu machen. Die Festspielleiterin selbst war übrigens in der Vorwoche nach ihrem Urlaub ganz normal in ihrem Büro im Festspielhaus. Wie festspieleblog.de erfahren hat, musste sie sich von vielen Seiten vorhalten lassen, dass sie bzw. ihr Anwalt zwar die mediale Aufmerksamkeit erlangt, den Festspielen, die sie ja immerhin nach wie vor mit leitet, öffentlich ins negative Licht gestellt und ihnen damit geschadet habe.
Die fünf Parkplätze hinter dem Bayreuther Festspielhaus sind neben Theaterarzt und Musikdirektor übrigens jetzt namentlich der Festspielleitung vorbehalten. Auf den entsprechenden und nagelneuen Schildern ist zu lesen: H.D. Sense; K. Wagner und E. Wagner-Pasquier. Sieht so ein „Hügelverbot“ aus?