Ein Krokodil schnappt nach dem Waldvogel; Amöben durchwabern die Geschichte vom Sängerkrieg auf der Wartburg; im „Holländer“ gibt’s kein Meer dafür von Ventilatoren bewegte Luft, und „Lohengrin“ ist nichts anderes als ein Laborversuch, weshalb Ratten dort nur konsequent sind. Was soll das?, fragt das Publikum rat- bislang verständnislos. Also reden wir über Regie: mit Dr. Sven Friedrich.
Der Theaterwissenschaftler beschäftigte sich unter anderem in seiner Dissertation mit Richard Wagners Theaterästhetik. Seit über 20 Jahren ist Friedrich Direktor des Richard-Wagner-Museums mit Nationalarchiv und Forschungsstätte der Richard-Wagner-Stiftung in Bayreuth. Darüber hinaus leitet er das Franz-Liszt- und des Jean-Paul-Museum der Stadt Bayreuth. Bei den Einführungsvorträgen (10.30 Uhr, Festspielhaus, Eingang Straßenseite) erklärt er dem Publikum die Regie. Nicht, damit die Zuschauer gnädiger gestimmt werden, sondern „damit Sie wissen, warum Sie sich ärgern“, wie er erklärt.
Mit www.festspiele.de klärt Friedrich einige Punkte im Allgemeinen über den „Ring des Nibelungen“ von Frank Castorf.
• Über Frank Castorf, den Ring-Regisseur.
„Wenn man Castorf kennt, weiß man, wie er inszeniert: Ich sage immer, wenn man in den Supermarkt geht und eine Tüte Kartoffelchips kauft, kann man nicht erwarten, dass Gummibärchen drin sind. Also, Castorf bleibt seiner Ästhetik treu. Und das ist eine Ästhetik des Postdramatischen. Castorf benutzt die Partitur ganz explizit als Material.“
• Über das Regieverständnis des Publikums.
„Wir sind es ja gewöhnt, dass hermeneutisch inszeniert wird. Hermeneutik bedeutet die Lehre von den Bedeutungen, also etwas ist da, und das bedeutet dann etwas und kann entschlüsselt werden. So sind wir, zumindest seit den 1970er Jahren, codiert und trainiert, dass man Inszenierungen hermeneutisch – also verstehend – entschlüsseln kann.“
• Über postdramatische Ästhetik.
„Hier gibt es erstens keine Geschlossenheit mehr, kein durchgehendes Narrativ, demzufolge gibt es auch keinen durchgehenden Sinn. Es gibt nur noch Fragmente. Und die lassen sich auch nicht mehr ohne weiteres entschlüsseln, sondern sie liegen da wie Teile eines riesigen Puzzles, von denen man nicht einmal weiß, ob sie überhaupt zusammenpassen. Und das macht’s schwierig, etwas zu erklären, was sich einer Erklärung nicht nur entzieht, sondern geradezu widersetzt und gar nicht verstanden werden will – in einem hermeneutischen Sinne.“
• Über die Frage nach dem Sinn des Krokodils auf der Bühne.
„Das zu hinterfragen, macht keinen Sinn, nein. Die Arbeit von Castorf ist sehr impulsiv, sehr spontan, bezieht auch den Zufall, die Panne mit ein. Und Castorf ist jemand, der sich sehr schnell langweilt – und dann macht er halt irgendwas. Ob das semantisch, hermeneutisch sinnvoll ist – für ihn ist es das sicherlich. Aber das ist völlig individuell, so wie jeder anders träumt.
Theater mit dem Material „Ring“ –
und das verstört das Publikum
• Über Symbole und Assoziationen.
„Es geht hier nicht um ein Gesamtbild. Es geht um Mikroerzählungen, die gar nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun haben müssen. Das ist so ein Prinzip der Collage, ein Stück weit beliebig, aber in dieser Beliebigkeit tauchen Symbole auf wie das „Golden Motel“ im Rheingold. Hier schwingt vielleicht auch Bates Motel („Psycho“) mit und die Figuren erinnern an „Pulp Fiction“ von Quentin Tarantino. Das sind Allusionen, keine Interpretationen. Also Anspielungen, die sich in relativ freier Assoziation durchs freie Bewusstsein bewegen. Wie ein Kieselstein, der ins Wasser geworfen wird und Kreise zieht. Beim einen mehr, beim anderen weniger. Wer Quentin Tarantino nicht kennt, wird das „Rheingold“ nicht mit „Pulp Fiction“ assoziieren. Und wer „Plaste und Elaste“ („Götterdämmerung“) nicht kennt, der wird das auch nicht assoziieren können.“ Castorf sagt aber: Das ist egal, weil es ist das Ganze. Er ist da wie Wagners Gesamtkunstwerk-Ästhetik – nur ganz anders. Wagner versucht ja, das Gesamte als Gebilde zu zeigen, in dem alles aufeinander verwiesen ist und alles voneinander abhängt, und in dem sich die einzelnen Aspekte und Faktoren verstärken.“
• Was will uns der Regisseur sagen?
„Castorf sagt: ‚Nein, das geschlossene große Ganze gibt es nicht mehr‘, sondern es gibt nur noch Fragmente, die sich zum Teil überlappen, zum Teil völlig der Wahrnehmung entziehen. Es geht ihm auch nicht mehr um den Text. Es geht ihm nicht darum, Wagners Ring zu erzählen oder zu interpretieren, sondern er macht sein Theater, das er immer macht, diesmal eben mit dem Material „Ring“. Und das ist etwas, was viele Zuschauer verstört, weil sie sich fragen, warum Alberich nun diese gelbe Gummiente ableckt oder Siegfried dem Marx mit dem Hammer auf den Kopf haut. Das macht einen Sinn – aber keinen, der sich hermeneutisch entschlüsseln ließe. Es gibt eben nicht, „das will mir der Regisseur damit sagen…“ Es löst eine individuelle Empfindung aus, aber es gibt keine durchgehende kollektive Wahrnehmung mehr.“
„Es passiert garantiert
nicht das, was man erwartet.“
• Über die Frage nach Zusammenhängen.
„Es gibt keine Kohärenzen mehr: Wotan macht dieses, weil er vorher jenes gemacht hat, das gibt es nicht mehr. Dass die Brünnhilde ganz woanders aufwacht als sie eingeschlafen ist, und alles auch ganz anders aussieht, gehört zu dieser Sprunghaftigkeit. Im Grunde ist das ähnlich dem „Ring“ in Stuttgart, wo jeder Teil von einem anderen Regisseur inszeniert worden ist. Das braucht man hier gar nicht mehr. Man kann bei Castorf auch sagen: Das, was man erwartet, passiert garantiert nicht; dafür passiert irgendetwas, was man nicht erwartet.“
• Über die Frage nach dem Gefallen dieses Rings.
„Castorfs Idee ist nicht die, dass Kunst gefallen muss. Eher im Gegenteil. Für ihn besteht das Vitale in der Kunst ja gerade in der Provokation, im Widerstand. Es ist interessant, dass viele Leute sagen, sie sind überfordert und sie sind von der Musik abgelenkt.“
• Musik, kein gefälliges Gefühlsaggregat.
„Überforderung ist ja ein Modus unseres realen Lebens in unserer Medienwelt. Und genau diese Überforderung ästhetisiert Castorf mit seinen Videos. Und das andere ist, dass er sagt: Es geht nicht um die Musik. Er arbeitet ganz bewusst dagegen, damit die Musik gegen die Szene kämpfen muss, und dass durch diese Energien, die da entstehen, von der Musik noch mehr verlangt wird. Die Musik ist also nicht gefälliges Gefühlsaggregat.Die Szene kämpft mit der Musik, das Publikum kämpft mit der Szene. Diese dauernden Konflikte und Aggressionen will Castorf, weil sich für ihn hier die Virilität des Theaters entfaltet und sich das Theater so ausschließlich legitimiert.“
• Über diesen Ring an diesem Ort?
„Viele, viele Menschen verwechseln Geschmack und Ästhetik. Über Ästhetik lässt sich streiten. Problematisch wird es nur dann, wenn man meint, aus einem subjektiven Geschmack ein ästhetisches Urteil ableiten zu können. Ich glaube, dieser Ring ist wichtig für Bayreuth, erstens, weil er in einer ganz klaren Linie steht: Schlingensief, Baumgarten, Castorf. Das ist eine konsequente Entwicklung. Wobei es bei Baumgarten und mehr noch bei Schlingensief so etwas wie ein übergreifendes Konzept gab. Das gibt es jetzt nicht mehr. Selbst das Konzept wird dekonstruiert.“
Eine Form, Wagner zu inszenieren,
die neu ist für Bayreuth
• Advantgarde oder alter Hut?
„Kunst ist, das hat Wagner selber immer wieder betont, nicht dazu da, um einen Markt von Angebot und Nachfrage zu befriedigen. Das war ja Wagners Hauptkritik an der französischen Grand Opera, dass sie auf die Rezeptionserwartung des Publikums abzielt, dass sie auf den Effekt geht, auf den wirtschaftlichen Ertrag. Also dem Publikum quasi nach dem Munde geschrieben wird. Und genau deswegen hat Wagner Bayreuth gefunden als einen Ort exklusiv für die Kunst, als Kunst. Kunst darf gar nicht danach fragen, gefällt es denn den Leuten. Denn das wäre Kunstgewerbe. Aus diesem Selbstverständnis, Bayreuth als Ort der Kunst um der Kunst willen, ist man hier nicht nur berechtigt, sondern nachgerade verpflichtet, Avantgarde zu machen. Ob das, was Castorf macht, nun wirklich Avantgarde ist, oder schon ein alter Hut, darüber kann man trefflich streiten. Das kommt auf den Betrachtungswinkel an. Castorf macht an der Volksbühne seit 20 Jahren das Gleiche, konsequenterweise, das ist seine Handschrift. So gesehen ist das vom Theaterdiskurs her ein alter Hut. Für Bayreuth ist das aber neu. Das ist eine Form, Wagner zu inszenieren, die es so bisher nicht gegeben hat.“
• Buh als Bestätigung.
„Für Castorf waren die Buhs im vergangenen Jahr die höchst denkbare Affirmation, dass er recht hat. Die Entfaltung dieser unglaublichen Aggression, das ist genau das, was er möchte. Darum ja seine Geste, als er sich mit dem Finger an die Stirn getippt hat, in dem Sinne von „Leute, denkt doch mal nach!“. Die Ablehnung gibt ihm gerade nach seinem Verständnis im höheren Sinne recht.“
• Die Ring-Regie 2014.
„Konzeptionell – so man von einem Konzept sprechen will – hat sich nicht viel geändert. Aber in den Details ist einiges passiert. Die Personenführung ist dichter, viel dichter, viel schneller, die Übergänge klappen besser.“
Glaub nicht, dass du eine
Chance hast zu schwelgen
• Und die Musik?
„Wir haben das Glück, dass wir mit Kirill Petrenko und dem Festspielorchester einen phantastischen Klangkörper haben. Man hat nun manchmal das Gefühl, dass mit einer gewissen Wut musikalisch auf diese Inszenierung draufgeschlagen wird. Es entsteht dadurch eine ganz besondere Intensität. Castorf unterläuft die Rezeptionserwartungen und Wünsche und Bedürfnisse des Publikums nicht mehr – er zerbricht sie. Darum auch diese geradezu groteske Schlussszene des „Siegfried“ mit dem Krokodil. In dem Moment, wo sich Wohlbehagen beim Zuschauer einstellen könnte, kommt Castorf und sagt: ‚Ich nehm’ dir deinen Sch…-Wagner weg!, Glaub nicht, dass du bei mir irgendeine Chance hast zu schwelgen.‘ Da bewegt er sich ganz in der Tradition Brechts, der einmal gesagt hat: ‚Glotz nicht so romantisch!‘. Das Kraftwerk der Gefühle, als das Oper bezeichnet wird, will Castorf und kann Castorf von seinem Selbstverständnis her gar nicht zulassen.“
• Über die Diskussion über den Bayreuther Ring.
„Das provoziert natürlich Widerstand. Aber das will Castorf ja auch. Das ist ja die gesellschaftliche Energie, die er mit seinem gesellschaftlichen Theater bezwecken will. Er macht nicht Theater, um schöne Kunst zu machen. Theater hat für ihn immer diese eminent wichtige politische und gesellschaftliche Funktion, nämlich Energien und Dynamiken zu entfesseln. Es wird über diesen Ring viel mehr diskutiert als zum Beispiel über den Ring von Tankred Dorst. Da hatte man das Gefühl, dass beim Publikum eine gewisse Lahmheit eingetreten ist, weil es meinte, beim „Ring“ jetzt doch schon alles gesehen zu haben. Und das stimmte ja auch. Vielleicht ist mit Castorf in gewisser Weise das Regietheater zu einem Ende gelangt. Das werden wir aber erst in zehn, 15 Jahren beurteilen können.“
Aufgezeichnet von Regina Ehm-Klier
Foto oben: Szene aus „Götterdämmerung“ 2013 von Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele
Sven Friedrich hat mehrere Bücher über Wagner verfasst: „Richard Wagners Opern – Ein musikalischer Werkführer“ (C.H.BECK ISBN 978-3-406-63305-8, 8,95 €); „Wagner im Spiegel seiner Zeit (Fischer Klassik, ISBN 978-3-596-90519-5, 10,99 €), sowie unter anderem die Wagner-Werke für die Reihe „Klassik (Ver)führer). Die Bücher sind in der Markgrafen Buchhandlung (Opernstraße und Kiosk am Festspielhaus) erhältlich.
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[…] Eine Gesamtbetrachtung auf den Ring: https://www.festspieleblog.de/2014/08/reden-wir-ueber-regie/ […]
[…] Reden wir über Regie […]
[…] Mehr über die Ring-Regie: https://www.festspieleblog.de/2014/08/reden-wir-ueber-regie/ […]
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